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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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fürdere Ausdruck der bauenden Kraft des Jahrhunderts mit seinem Namen
eine neue Aera der Architektur beginnen sollte? Niemand kann es dem Mo¬
narchen verdenken, daß er eine scheinbar so fruchtbare Idee, die ihm ja von
Fachleuten, also von berufenen Männern an die Hand gegeben wurde, lebhaft
ergriff und das auszuführen beschloß, was jene Urtheilsfähigen nicht nur für
den Ruhm seiner Regierung, sondern auch für die Aufgabe des Zeitalters er¬
klärten. Das aber läßt sich aus einzelnen Andeutungen, die der nun Heim¬
gegangene König nicht lange vor seinem Ende gab, wohl abnehmen, daß er --
auch darin in Uebereinstimmung mit den Einsichtigen seines Landes -- in den
fertigen Bauten nicht das erfüllt sah, was man ihn hatte hoffen lassen.

Kam diese Einsicht zu spät, um noch unter ihm die Rückkehr zu den
wahren Grundsätzen der Kunst und ihren gegenwärtigen Bedingungen zu
bewirken: so erregt dagegen die neue Regierung Ludwigs des Zweiten --
so viel schon jetzt sich sehen läßt, begründete Hoffnungen. Eine Redensart
Zwar, die nach altem Herkommen hinter jedem Thronwechsel daherhinkt, um
unvermerkt die allgemeinen Wünsche dem neuen Regenten als seine eige¬
nen Pläne unterzuschieben, die aber dieses Mal in vollem Ernst gemeint ist.
Kommt der Plan zur Ausführung, den der König, so viel wir wissen, jetzt fest
im Auge hat, so können Schöpfungen entstehen, in denen die Kunst des neun¬
zehnten Jahrhunderts, voran die Architektur, gereift und groß geworden
durch die Bildung, die ihr am Beginn unserer Epoche noch fehlte, befreit von
den fremden Rücksichten, welche die gährende Zeit ihr auflud, voll und un¬
gebrochen ihre Kräfte entfalten, den Reichthum von Formen, den sie aus der
Vergangenheit zu freiem Eigenthum sich erworben, zu neuen organischen Ge¬
bilden gestalten kann. Diese Kunst, in die lebendige Kette der Geschichte ein¬
gereiht und als ihr letztes Glied zugleich der erfüllte Ausdruck des die Gegen-
^art bewegenden Geistes würde kein Fremdling sein, noch ein über die Prosa
des Tages hinwegtäuschendes kümmerliches Spiel, sondern die Verkörperung
Ideals, das auch der modernen Welt nicht fehlt, aber wie verschüttet noch
unter der schweren Decke eines im Kampf und Drang der Wirklichkeit be¬
fangenen Lebens liegt. Daher würde sie auch einen Ton anschlagen, der in
der Seele des Volkes wiederklänge, seine Phantasie vom Zwang der kleinen
"ut gewöhnlichen Dinge löste und in ihm mit der Freude an der Form den
Sinn für den edleren Genuß des Daseins weckte. Doch ehe wir zusehen,
^lebe Richtung der bildenden Kunst diesem. Ziele zuführe, haben wir uns noch
^z mit dem zu beschäftigen, was die "neue" monumentale Architektur geleistet
und gewirkt hat.

Was wohl, wenn ihr Bausystem von Dauer wäre, aus dem Kunstsinn
Volkes werden würde? Und wenn man um diesen, da er in den Bedin¬
gungen des gegenwärtigen Lebens eine so kleine Rolle spielt, weniger besorgt


Grenzboten I. 1866. 43

fürdere Ausdruck der bauenden Kraft des Jahrhunderts mit seinem Namen
eine neue Aera der Architektur beginnen sollte? Niemand kann es dem Mo¬
narchen verdenken, daß er eine scheinbar so fruchtbare Idee, die ihm ja von
Fachleuten, also von berufenen Männern an die Hand gegeben wurde, lebhaft
ergriff und das auszuführen beschloß, was jene Urtheilsfähigen nicht nur für
den Ruhm seiner Regierung, sondern auch für die Aufgabe des Zeitalters er¬
klärten. Das aber läßt sich aus einzelnen Andeutungen, die der nun Heim¬
gegangene König nicht lange vor seinem Ende gab, wohl abnehmen, daß er —
auch darin in Uebereinstimmung mit den Einsichtigen seines Landes — in den
fertigen Bauten nicht das erfüllt sah, was man ihn hatte hoffen lassen.

Kam diese Einsicht zu spät, um noch unter ihm die Rückkehr zu den
wahren Grundsätzen der Kunst und ihren gegenwärtigen Bedingungen zu
bewirken: so erregt dagegen die neue Regierung Ludwigs des Zweiten —
so viel schon jetzt sich sehen läßt, begründete Hoffnungen. Eine Redensart
Zwar, die nach altem Herkommen hinter jedem Thronwechsel daherhinkt, um
unvermerkt die allgemeinen Wünsche dem neuen Regenten als seine eige¬
nen Pläne unterzuschieben, die aber dieses Mal in vollem Ernst gemeint ist.
Kommt der Plan zur Ausführung, den der König, so viel wir wissen, jetzt fest
im Auge hat, so können Schöpfungen entstehen, in denen die Kunst des neun¬
zehnten Jahrhunderts, voran die Architektur, gereift und groß geworden
durch die Bildung, die ihr am Beginn unserer Epoche noch fehlte, befreit von
den fremden Rücksichten, welche die gährende Zeit ihr auflud, voll und un¬
gebrochen ihre Kräfte entfalten, den Reichthum von Formen, den sie aus der
Vergangenheit zu freiem Eigenthum sich erworben, zu neuen organischen Ge¬
bilden gestalten kann. Diese Kunst, in die lebendige Kette der Geschichte ein¬
gereiht und als ihr letztes Glied zugleich der erfüllte Ausdruck des die Gegen-
^art bewegenden Geistes würde kein Fremdling sein, noch ein über die Prosa
des Tages hinwegtäuschendes kümmerliches Spiel, sondern die Verkörperung
Ideals, das auch der modernen Welt nicht fehlt, aber wie verschüttet noch
unter der schweren Decke eines im Kampf und Drang der Wirklichkeit be¬
fangenen Lebens liegt. Daher würde sie auch einen Ton anschlagen, der in
der Seele des Volkes wiederklänge, seine Phantasie vom Zwang der kleinen
"ut gewöhnlichen Dinge löste und in ihm mit der Freude an der Form den
Sinn für den edleren Genuß des Daseins weckte. Doch ehe wir zusehen,
^lebe Richtung der bildenden Kunst diesem. Ziele zuführe, haben wir uns noch
^z mit dem zu beschäftigen, was die „neue" monumentale Architektur geleistet
und gewirkt hat.

Was wohl, wenn ihr Bausystem von Dauer wäre, aus dem Kunstsinn
Volkes werden würde? Und wenn man um diesen, da er in den Bedin¬
gungen des gegenwärtigen Lebens eine so kleine Rolle spielt, weniger besorgt


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[0359] fürdere Ausdruck der bauenden Kraft des Jahrhunderts mit seinem Namen eine neue Aera der Architektur beginnen sollte? Niemand kann es dem Mo¬ narchen verdenken, daß er eine scheinbar so fruchtbare Idee, die ihm ja von Fachleuten, also von berufenen Männern an die Hand gegeben wurde, lebhaft ergriff und das auszuführen beschloß, was jene Urtheilsfähigen nicht nur für den Ruhm seiner Regierung, sondern auch für die Aufgabe des Zeitalters er¬ klärten. Das aber läßt sich aus einzelnen Andeutungen, die der nun Heim¬ gegangene König nicht lange vor seinem Ende gab, wohl abnehmen, daß er — auch darin in Uebereinstimmung mit den Einsichtigen seines Landes — in den fertigen Bauten nicht das erfüllt sah, was man ihn hatte hoffen lassen. Kam diese Einsicht zu spät, um noch unter ihm die Rückkehr zu den wahren Grundsätzen der Kunst und ihren gegenwärtigen Bedingungen zu bewirken: so erregt dagegen die neue Regierung Ludwigs des Zweiten — so viel schon jetzt sich sehen läßt, begründete Hoffnungen. Eine Redensart Zwar, die nach altem Herkommen hinter jedem Thronwechsel daherhinkt, um unvermerkt die allgemeinen Wünsche dem neuen Regenten als seine eige¬ nen Pläne unterzuschieben, die aber dieses Mal in vollem Ernst gemeint ist. Kommt der Plan zur Ausführung, den der König, so viel wir wissen, jetzt fest im Auge hat, so können Schöpfungen entstehen, in denen die Kunst des neun¬ zehnten Jahrhunderts, voran die Architektur, gereift und groß geworden durch die Bildung, die ihr am Beginn unserer Epoche noch fehlte, befreit von den fremden Rücksichten, welche die gährende Zeit ihr auflud, voll und un¬ gebrochen ihre Kräfte entfalten, den Reichthum von Formen, den sie aus der Vergangenheit zu freiem Eigenthum sich erworben, zu neuen organischen Ge¬ bilden gestalten kann. Diese Kunst, in die lebendige Kette der Geschichte ein¬ gereiht und als ihr letztes Glied zugleich der erfüllte Ausdruck des die Gegen- ^art bewegenden Geistes würde kein Fremdling sein, noch ein über die Prosa des Tages hinwegtäuschendes kümmerliches Spiel, sondern die Verkörperung Ideals, das auch der modernen Welt nicht fehlt, aber wie verschüttet noch unter der schweren Decke eines im Kampf und Drang der Wirklichkeit be¬ fangenen Lebens liegt. Daher würde sie auch einen Ton anschlagen, der in der Seele des Volkes wiederklänge, seine Phantasie vom Zwang der kleinen "ut gewöhnlichen Dinge löste und in ihm mit der Freude an der Form den Sinn für den edleren Genuß des Daseins weckte. Doch ehe wir zusehen, ^lebe Richtung der bildenden Kunst diesem. Ziele zuführe, haben wir uns noch ^z mit dem zu beschäftigen, was die „neue" monumentale Architektur geleistet und gewirkt hat. Was wohl, wenn ihr Bausystem von Dauer wäre, aus dem Kunstsinn Volkes werden würde? Und wenn man um diesen, da er in den Bedin¬ gungen des gegenwärtigen Lebens eine so kleine Rolle spielt, weniger besorgt Grenzboten I. 1866. 43

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/359>, abgerufen am 05.06.2024.