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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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Herr v. Golther für ein verhältnißmäßig freisinniges Element des Ministeriums
gilt, schien die Hoffnung nicht allzu kühn, daß, wenn einmal die gesetzgeberischen
K'äste in diesem Punkt angestrengt wurden, das Beispiel des badischen Nach¬
barstaats von einigem Gewicht sein und die Trennung von Kirche und Schule
wenigstens als allmälig anzustrebendes Ziel ins Auge gefaßt würde. Statt
dessen beschränkt sich das Gesetz, wie es auch von der Kammer angenommen
wurde, wesentlich darauf, die persönliche Stellung der Schullehrer zu bessern
und zu heben, ist also, wenn man so will, ein überaus milder Anfang in der
Richtung nach jenem Ziel. Gerade das Beispiel Badens schien für den Mini¬
ster wenig verlockend und er sprach sich etwas naserümpfend über die "experi-
mentirende" Regierung des Nachbarlandes aus, ein Wort, das ihm von der
Karlsruher Zeitung eine empfindliche Zurechtweisung einbrachte. Die Aeußerung
war um so weniger taktvoll gewesen, als eben am selben Tage König Karl
einen feierlichen Besuch am karlsruher Hofe abstattete und damit den anerken-
nungswerthen Anfang machte, ein nur allzu lang zum Nachtheil des Landes in
lächerlicher Weise gespanntes Verhältniß wieder in ein vernünftiges Geleise zu
bringen.

Uebrigens darf zur Entschuldigung des Cultusministers nicht verschwiegen
werden, daß in der That die öffentliche Meinung des Landes für die Trennung
von Kirche und Schule noch wenig vorbereitet ist. Auch in der Kammer sind
alle weiter gehenden Vorschläge mit großer Mehrheit abgeworfen worden. Wir
hätten leicht eine ähnliche Agitation erleben können, wie sie jenseits des
Schwarzwaldes aufgeführt wird, und dazu sind denn allerdings unsere Minister
schwerlich die rechten Leute, um trotz eines künstlich heraufbeschworenen Wider¬
standes, gestützt auf eine aufgeklärte Majorität, eine gute Sache kräftig durch-
zuführen.

Wie viel in unserm Lande die kirchlichen und religiösen Vorurtheile noch
bedeuten, sah man auch, als der bechersche Antrag, die Regierung um Vorlage
eines Gesetzentwurfes zur Abschaffung der Todesstrafe zu ersuchen, zur Ver¬
handlung kam. Wie auf ein gegebenes Signal sah sich die Kammer plötzlich
von einer Fluth von Petitionen um Beibehaltung dieser Strafe aus allen
protestantischen Theilen des Landes überschwemmt. Es zeigte sich, daß sie alle
aus den Pietistenconventikeln stammten, welche ein dieser Richtung angehöriger
Abgeordneter in Bewegung gesetzt hatte. Da überdies eine Anzahl protestan¬
tischer Prälaten in der Kammer sitzt (von welchen jedoch einer auch bei diesem
Anlaß zum Aerger seiner Collegen ein rühmliches Beispiel der Selbständigkeit
gab), so spielten die religiösen Gründe bei der Debatte keine kleine Rolle.
Hiervon abgesehen war übrigens die Debatte durchaus auf der Höhe des Gegen¬
standes. Das Resultat war eine unerwartet große Mehrheit zu Gunsten des
becherschen Antrags. Ob freilich die Negierung der Bitte entsprechen wird, ist


Herr v. Golther für ein verhältnißmäßig freisinniges Element des Ministeriums
gilt, schien die Hoffnung nicht allzu kühn, daß, wenn einmal die gesetzgeberischen
K'äste in diesem Punkt angestrengt wurden, das Beispiel des badischen Nach¬
barstaats von einigem Gewicht sein und die Trennung von Kirche und Schule
wenigstens als allmälig anzustrebendes Ziel ins Auge gefaßt würde. Statt
dessen beschränkt sich das Gesetz, wie es auch von der Kammer angenommen
wurde, wesentlich darauf, die persönliche Stellung der Schullehrer zu bessern
und zu heben, ist also, wenn man so will, ein überaus milder Anfang in der
Richtung nach jenem Ziel. Gerade das Beispiel Badens schien für den Mini¬
ster wenig verlockend und er sprach sich etwas naserümpfend über die „experi-
mentirende" Regierung des Nachbarlandes aus, ein Wort, das ihm von der
Karlsruher Zeitung eine empfindliche Zurechtweisung einbrachte. Die Aeußerung
war um so weniger taktvoll gewesen, als eben am selben Tage König Karl
einen feierlichen Besuch am karlsruher Hofe abstattete und damit den anerken-
nungswerthen Anfang machte, ein nur allzu lang zum Nachtheil des Landes in
lächerlicher Weise gespanntes Verhältniß wieder in ein vernünftiges Geleise zu
bringen.

Uebrigens darf zur Entschuldigung des Cultusministers nicht verschwiegen
werden, daß in der That die öffentliche Meinung des Landes für die Trennung
von Kirche und Schule noch wenig vorbereitet ist. Auch in der Kammer sind
alle weiter gehenden Vorschläge mit großer Mehrheit abgeworfen worden. Wir
hätten leicht eine ähnliche Agitation erleben können, wie sie jenseits des
Schwarzwaldes aufgeführt wird, und dazu sind denn allerdings unsere Minister
schwerlich die rechten Leute, um trotz eines künstlich heraufbeschworenen Wider¬
standes, gestützt auf eine aufgeklärte Majorität, eine gute Sache kräftig durch-
zuführen.

Wie viel in unserm Lande die kirchlichen und religiösen Vorurtheile noch
bedeuten, sah man auch, als der bechersche Antrag, die Regierung um Vorlage
eines Gesetzentwurfes zur Abschaffung der Todesstrafe zu ersuchen, zur Ver¬
handlung kam. Wie auf ein gegebenes Signal sah sich die Kammer plötzlich
von einer Fluth von Petitionen um Beibehaltung dieser Strafe aus allen
protestantischen Theilen des Landes überschwemmt. Es zeigte sich, daß sie alle
aus den Pietistenconventikeln stammten, welche ein dieser Richtung angehöriger
Abgeordneter in Bewegung gesetzt hatte. Da überdies eine Anzahl protestan¬
tischer Prälaten in der Kammer sitzt (von welchen jedoch einer auch bei diesem
Anlaß zum Aerger seiner Collegen ein rühmliches Beispiel der Selbständigkeit
gab), so spielten die religiösen Gründe bei der Debatte keine kleine Rolle.
Hiervon abgesehen war übrigens die Debatte durchaus auf der Höhe des Gegen¬
standes. Das Resultat war eine unerwartet große Mehrheit zu Gunsten des
becherschen Antrags. Ob freilich die Negierung der Bitte entsprechen wird, ist


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[0416] Herr v. Golther für ein verhältnißmäßig freisinniges Element des Ministeriums gilt, schien die Hoffnung nicht allzu kühn, daß, wenn einmal die gesetzgeberischen K'äste in diesem Punkt angestrengt wurden, das Beispiel des badischen Nach¬ barstaats von einigem Gewicht sein und die Trennung von Kirche und Schule wenigstens als allmälig anzustrebendes Ziel ins Auge gefaßt würde. Statt dessen beschränkt sich das Gesetz, wie es auch von der Kammer angenommen wurde, wesentlich darauf, die persönliche Stellung der Schullehrer zu bessern und zu heben, ist also, wenn man so will, ein überaus milder Anfang in der Richtung nach jenem Ziel. Gerade das Beispiel Badens schien für den Mini¬ ster wenig verlockend und er sprach sich etwas naserümpfend über die „experi- mentirende" Regierung des Nachbarlandes aus, ein Wort, das ihm von der Karlsruher Zeitung eine empfindliche Zurechtweisung einbrachte. Die Aeußerung war um so weniger taktvoll gewesen, als eben am selben Tage König Karl einen feierlichen Besuch am karlsruher Hofe abstattete und damit den anerken- nungswerthen Anfang machte, ein nur allzu lang zum Nachtheil des Landes in lächerlicher Weise gespanntes Verhältniß wieder in ein vernünftiges Geleise zu bringen. Uebrigens darf zur Entschuldigung des Cultusministers nicht verschwiegen werden, daß in der That die öffentliche Meinung des Landes für die Trennung von Kirche und Schule noch wenig vorbereitet ist. Auch in der Kammer sind alle weiter gehenden Vorschläge mit großer Mehrheit abgeworfen worden. Wir hätten leicht eine ähnliche Agitation erleben können, wie sie jenseits des Schwarzwaldes aufgeführt wird, und dazu sind denn allerdings unsere Minister schwerlich die rechten Leute, um trotz eines künstlich heraufbeschworenen Wider¬ standes, gestützt auf eine aufgeklärte Majorität, eine gute Sache kräftig durch- zuführen. Wie viel in unserm Lande die kirchlichen und religiösen Vorurtheile noch bedeuten, sah man auch, als der bechersche Antrag, die Regierung um Vorlage eines Gesetzentwurfes zur Abschaffung der Todesstrafe zu ersuchen, zur Ver¬ handlung kam. Wie auf ein gegebenes Signal sah sich die Kammer plötzlich von einer Fluth von Petitionen um Beibehaltung dieser Strafe aus allen protestantischen Theilen des Landes überschwemmt. Es zeigte sich, daß sie alle aus den Pietistenconventikeln stammten, welche ein dieser Richtung angehöriger Abgeordneter in Bewegung gesetzt hatte. Da überdies eine Anzahl protestan¬ tischer Prälaten in der Kammer sitzt (von welchen jedoch einer auch bei diesem Anlaß zum Aerger seiner Collegen ein rühmliches Beispiel der Selbständigkeit gab), so spielten die religiösen Gründe bei der Debatte keine kleine Rolle. Hiervon abgesehen war übrigens die Debatte durchaus auf der Höhe des Gegen¬ standes. Das Resultat war eine unerwartet große Mehrheit zu Gunsten des becherschen Antrags. Ob freilich die Negierung der Bitte entsprechen wird, ist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/416>, abgerufen am 01.06.2024.