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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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sich die Schlagwörter nach den Instincten auslegt, die unsern eignen Bedürf¬
nissen einen Ausdruck geben, befreundet man sich mit dem Gedanken, ein Ana¬
logen der englischen Gemeindeverfassung aus deutschen Boden zu verpflanzen,
und vergißt, daß der augenblickliche Zug des britischen Staatslebens fortwäh¬
rend in der Richtung der Centralisation arbeitet. Allein alle diese Jnconve-
nienzen der Auffassung beeinträchtigen den Hauptvortheil nicht, der offenbar in
der Verbreitung der Wahrheit liegt, daß eine relative Selbständigkeit des Ge¬
meindelebens die unerläßliche Vorbedingung gesicherter Verwirklichung der all¬
gemeinen freiheitlichen Institutionen sei. Ebenso erfreulich als die Gestaltung
der Theorie ist die Gesinnung, die uns bereits vielfach in der Handhabung der
städtischen Rechte entgegentritt. Ist auch der enge Rahmen, welchen das be¬
stehende Gemeinderecht dem freien Wirken verstattet, wenig einladend, so über¬
windet doch der politisch regsame und zuversichtliche Geist des Bürgerthums
häufig genug die beengenden Schwierigkeiten. Man geht (und dies ist ein vor¬
treffliches Zeichen der reiferen Auffassung) oft grade von dem Grundsatz aus,
auch den geringsten Spielraum, den das thatsächliche Recht offen läßt, mit allen
Kräften zu erfüllen und auszubeuten. Man sucht die Ungunst des einschränken¬
den Schematismus durch gesteigerte Thatkraft zu ersetzen und für das Gemein¬
wohl auch dann thätig zu sein, wenn die vorgeschriebenen Bahnen nur eine
^age Bewegung erlauben.

Zu der politischen Seite der Gemeindefreiheit und überhaupt des öffent¬
lichen Lebens der kleineren Kreise gesellt sich nun in neuester Zeit auch noch
die wirthschaftliche. Bis jetzt ist freilich die volkswirthschaftliche Emancipation
überwiegend mit den Genossenschaften beschäftigt gewesen; allein es dürfte sich
sehr bald dem Schlagwort der politischen Decentralisation noch ein anderes, näm¬
lich das der wirthschaftlichen Decentralisation an die Seite stellen. Freiheit
und Wohlstand, Politik und Wirthschaft stehen in so inniger Wechselbeziehung,
^ß es bald nicht mehr angehen wird, die eine ohne die andere zu betrachten.
Vielleicht dürfte sich auch der Streit, welcher gegenwärtig in wirthschaftlicher
Hinsicht zwischen der Initiative des Einzelnen und der künstlichen Einwirkung
des Staats noch immer unentschieden fortdauert, einst durch die Einführung
"ner unparteiischen dritten Macht d. h. der Gemeindegewalt ausgleichen lassen.
Doch wir können uns hier^nicht darauf einlassen, das Princip der wirthschaft¬
lichen Decentralisation mehr als anzudeuten. Der Gesichtspunkt ist noch zu
"°u. und wir verzichten gern auf die Beschäftigung mit einer erst in unbestimm¬
ten Umrissen erscheinenden Zukunft. So aber leuchtet ein', daß die politische
Localisation des öffentlichen Lebens ohne die wirthschaftliche ein halbes Werk
bleiben müsse Nur auf der Grundlage des localen Wohlstandes ist auch eine
Skiffe politische Würde aufrecht zu erhalten. Dasselbe Princip, welches ein
Gegengewicht gegen die politisch centralisirmde Macht fordert, bringt auch


sich die Schlagwörter nach den Instincten auslegt, die unsern eignen Bedürf¬
nissen einen Ausdruck geben, befreundet man sich mit dem Gedanken, ein Ana¬
logen der englischen Gemeindeverfassung aus deutschen Boden zu verpflanzen,
und vergißt, daß der augenblickliche Zug des britischen Staatslebens fortwäh¬
rend in der Richtung der Centralisation arbeitet. Allein alle diese Jnconve-
nienzen der Auffassung beeinträchtigen den Hauptvortheil nicht, der offenbar in
der Verbreitung der Wahrheit liegt, daß eine relative Selbständigkeit des Ge¬
meindelebens die unerläßliche Vorbedingung gesicherter Verwirklichung der all¬
gemeinen freiheitlichen Institutionen sei. Ebenso erfreulich als die Gestaltung
der Theorie ist die Gesinnung, die uns bereits vielfach in der Handhabung der
städtischen Rechte entgegentritt. Ist auch der enge Rahmen, welchen das be¬
stehende Gemeinderecht dem freien Wirken verstattet, wenig einladend, so über¬
windet doch der politisch regsame und zuversichtliche Geist des Bürgerthums
häufig genug die beengenden Schwierigkeiten. Man geht (und dies ist ein vor¬
treffliches Zeichen der reiferen Auffassung) oft grade von dem Grundsatz aus,
auch den geringsten Spielraum, den das thatsächliche Recht offen läßt, mit allen
Kräften zu erfüllen und auszubeuten. Man sucht die Ungunst des einschränken¬
den Schematismus durch gesteigerte Thatkraft zu ersetzen und für das Gemein¬
wohl auch dann thätig zu sein, wenn die vorgeschriebenen Bahnen nur eine
^age Bewegung erlauben.

Zu der politischen Seite der Gemeindefreiheit und überhaupt des öffent¬
lichen Lebens der kleineren Kreise gesellt sich nun in neuester Zeit auch noch
die wirthschaftliche. Bis jetzt ist freilich die volkswirthschaftliche Emancipation
überwiegend mit den Genossenschaften beschäftigt gewesen; allein es dürfte sich
sehr bald dem Schlagwort der politischen Decentralisation noch ein anderes, näm¬
lich das der wirthschaftlichen Decentralisation an die Seite stellen. Freiheit
und Wohlstand, Politik und Wirthschaft stehen in so inniger Wechselbeziehung,
^ß es bald nicht mehr angehen wird, die eine ohne die andere zu betrachten.
Vielleicht dürfte sich auch der Streit, welcher gegenwärtig in wirthschaftlicher
Hinsicht zwischen der Initiative des Einzelnen und der künstlichen Einwirkung
des Staats noch immer unentschieden fortdauert, einst durch die Einführung
"ner unparteiischen dritten Macht d. h. der Gemeindegewalt ausgleichen lassen.
Doch wir können uns hier^nicht darauf einlassen, das Princip der wirthschaft¬
lichen Decentralisation mehr als anzudeuten. Der Gesichtspunkt ist noch zu
"°u. und wir verzichten gern auf die Beschäftigung mit einer erst in unbestimm¬
ten Umrissen erscheinenden Zukunft. So aber leuchtet ein', daß die politische
Localisation des öffentlichen Lebens ohne die wirthschaftliche ein halbes Werk
bleiben müsse Nur auf der Grundlage des localen Wohlstandes ist auch eine
Skiffe politische Würde aufrecht zu erhalten. Dasselbe Princip, welches ein
Gegengewicht gegen die politisch centralisirmde Macht fordert, bringt auch


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[0429] sich die Schlagwörter nach den Instincten auslegt, die unsern eignen Bedürf¬ nissen einen Ausdruck geben, befreundet man sich mit dem Gedanken, ein Ana¬ logen der englischen Gemeindeverfassung aus deutschen Boden zu verpflanzen, und vergißt, daß der augenblickliche Zug des britischen Staatslebens fortwäh¬ rend in der Richtung der Centralisation arbeitet. Allein alle diese Jnconve- nienzen der Auffassung beeinträchtigen den Hauptvortheil nicht, der offenbar in der Verbreitung der Wahrheit liegt, daß eine relative Selbständigkeit des Ge¬ meindelebens die unerläßliche Vorbedingung gesicherter Verwirklichung der all¬ gemeinen freiheitlichen Institutionen sei. Ebenso erfreulich als die Gestaltung der Theorie ist die Gesinnung, die uns bereits vielfach in der Handhabung der städtischen Rechte entgegentritt. Ist auch der enge Rahmen, welchen das be¬ stehende Gemeinderecht dem freien Wirken verstattet, wenig einladend, so über¬ windet doch der politisch regsame und zuversichtliche Geist des Bürgerthums häufig genug die beengenden Schwierigkeiten. Man geht (und dies ist ein vor¬ treffliches Zeichen der reiferen Auffassung) oft grade von dem Grundsatz aus, auch den geringsten Spielraum, den das thatsächliche Recht offen läßt, mit allen Kräften zu erfüllen und auszubeuten. Man sucht die Ungunst des einschränken¬ den Schematismus durch gesteigerte Thatkraft zu ersetzen und für das Gemein¬ wohl auch dann thätig zu sein, wenn die vorgeschriebenen Bahnen nur eine ^age Bewegung erlauben. Zu der politischen Seite der Gemeindefreiheit und überhaupt des öffent¬ lichen Lebens der kleineren Kreise gesellt sich nun in neuester Zeit auch noch die wirthschaftliche. Bis jetzt ist freilich die volkswirthschaftliche Emancipation überwiegend mit den Genossenschaften beschäftigt gewesen; allein es dürfte sich sehr bald dem Schlagwort der politischen Decentralisation noch ein anderes, näm¬ lich das der wirthschaftlichen Decentralisation an die Seite stellen. Freiheit und Wohlstand, Politik und Wirthschaft stehen in so inniger Wechselbeziehung, ^ß es bald nicht mehr angehen wird, die eine ohne die andere zu betrachten. Vielleicht dürfte sich auch der Streit, welcher gegenwärtig in wirthschaftlicher Hinsicht zwischen der Initiative des Einzelnen und der künstlichen Einwirkung des Staats noch immer unentschieden fortdauert, einst durch die Einführung "ner unparteiischen dritten Macht d. h. der Gemeindegewalt ausgleichen lassen. Doch wir können uns hier^nicht darauf einlassen, das Princip der wirthschaft¬ lichen Decentralisation mehr als anzudeuten. Der Gesichtspunkt ist noch zu "°u. und wir verzichten gern auf die Beschäftigung mit einer erst in unbestimm¬ ten Umrissen erscheinenden Zukunft. So aber leuchtet ein', daß die politische Localisation des öffentlichen Lebens ohne die wirthschaftliche ein halbes Werk bleiben müsse Nur auf der Grundlage des localen Wohlstandes ist auch eine Skiffe politische Würde aufrecht zu erhalten. Dasselbe Princip, welches ein Gegengewicht gegen die politisch centralisirmde Macht fordert, bringt auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/429>, abgerufen am 05.06.2024.