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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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verbreitet und bekannt wurde, d. h. fünfzehn Jahr später, hatte Ranke das Un¬
wahre jener Erzählung auf das schlagendste nachgewiesen, indem er zeigte, daß
Friedrich Wilhelm der Erste das den Kronprinzen freisprechende Urtheil des Kriegs¬
gerichts ohne Widerspruch entgegengenommen und nur bezüglich des Spruches
über Friedrichs Mitschuldigen Katte sich nicht einverstanden erklärt, der östrei¬
chische Gesandte aber erst einige Tage darnach das Jntercessionsschreiben des
Kaisers übergeben habe.

Auch die durch das Menzelsche Bild so bekannt gewordene Scene möge
hier erwähnt werden, wie Friedlich bei der Huldigung Schlesiens im bres-
lauer Fürstensaale 1741 das Reichsschwert vermißt hal'e, welches Schwerin
neben ihm halten sollte und statt dessen nun seinen siegreichen Degen ge¬
zogen und sich dessen bei der Ceremonie bedient habe. Die Geschichte ist die
Erfindung eines sehr unzuverlässigen Memoirenschreibers, die älteren offi-
ciellen Berichte wissen nichts davon, und Schwerin war damals gar nicht in
Breslau.

Aus neuester Zeit will ich nur noch einen charakteristischen Zug anführen.
Wir alle erinnern uns, daß im Jahre der Bewegung 1848, als das deutsche
Parlament zu Frankfurt tagte und es sich um die Wahl eines Reichsverwesers
handelte, Erzherzog Johann durch nichts so sehr empfohlen wurde, als durch
einen Toast, den er einige Jahre vorher bei festlicher Gelegenheit ausgebracht,
und dessen Sinn man damals so recht conform den herrschenden Ideen in die
Worte zusammenfaßte: Kein Oestreich, kein Preußen mehr, ein einig Deutsch¬
land nur; man kann wohl behaupten, daß Johann wesentlich aus Grund dieses
Toastes gewählt worden ist. Nun erhoben sich wohl zwar schon damals Stim¬
men, welche die richtige Wiedergabe jener Worte bezweifelten, aber der allge¬
meine Jubel übertönte die Zweifel, und der Erzherzog selbst hat, so Viel mir
bekannt ist, jene Fassung nicht desavouirt. Aber die Zweifel kehrten wieder,
und in unserer Zeit hat ein deutsches Blatt auf das Ueberzeugendste nachgewie¬
sen, der Erzherzog habe eigentlich nur auf das Zusammengehn von Oestreich
und Preußen im gemeinsamen deutschen Interesse seinen Trinkspruch ausgebracht
und in der That machten dies die begleitenden Umstände auf das Höchste wahr¬
scheinlich.

Wenn wir nur diesen einen Fall ins Auge fassen, der in unserer Zeit spielt,
wo eine Menge Ohrenzeugen jener Worte vorhanden waren, wo alle möglichen
Zeitungen unmittelbar nachher Bericht erstatteten, wenn da solche folgenschwere
Verschiebung und Veränderung möglich geworden ist, wollen wir da uns wun¬
dern, daß unsere Ueberlieferungen aus dem Mittelalter, wo ein einsamer Mönch
in seiner Klosterzelle niederschrieb, was von den großen Haupt- und Staats¬
actionen bis zu ihm drang, sehr der Kritik bedürfen? Aber freilich, die Beispiele
liegen noch viel näher. Die Zeitungen gewähren uns fortwährend das Schau-


verbreitet und bekannt wurde, d. h. fünfzehn Jahr später, hatte Ranke das Un¬
wahre jener Erzählung auf das schlagendste nachgewiesen, indem er zeigte, daß
Friedrich Wilhelm der Erste das den Kronprinzen freisprechende Urtheil des Kriegs¬
gerichts ohne Widerspruch entgegengenommen und nur bezüglich des Spruches
über Friedrichs Mitschuldigen Katte sich nicht einverstanden erklärt, der östrei¬
chische Gesandte aber erst einige Tage darnach das Jntercessionsschreiben des
Kaisers übergeben habe.

Auch die durch das Menzelsche Bild so bekannt gewordene Scene möge
hier erwähnt werden, wie Friedlich bei der Huldigung Schlesiens im bres-
lauer Fürstensaale 1741 das Reichsschwert vermißt hal'e, welches Schwerin
neben ihm halten sollte und statt dessen nun seinen siegreichen Degen ge¬
zogen und sich dessen bei der Ceremonie bedient habe. Die Geschichte ist die
Erfindung eines sehr unzuverlässigen Memoirenschreibers, die älteren offi-
ciellen Berichte wissen nichts davon, und Schwerin war damals gar nicht in
Breslau.

Aus neuester Zeit will ich nur noch einen charakteristischen Zug anführen.
Wir alle erinnern uns, daß im Jahre der Bewegung 1848, als das deutsche
Parlament zu Frankfurt tagte und es sich um die Wahl eines Reichsverwesers
handelte, Erzherzog Johann durch nichts so sehr empfohlen wurde, als durch
einen Toast, den er einige Jahre vorher bei festlicher Gelegenheit ausgebracht,
und dessen Sinn man damals so recht conform den herrschenden Ideen in die
Worte zusammenfaßte: Kein Oestreich, kein Preußen mehr, ein einig Deutsch¬
land nur; man kann wohl behaupten, daß Johann wesentlich aus Grund dieses
Toastes gewählt worden ist. Nun erhoben sich wohl zwar schon damals Stim¬
men, welche die richtige Wiedergabe jener Worte bezweifelten, aber der allge¬
meine Jubel übertönte die Zweifel, und der Erzherzog selbst hat, so Viel mir
bekannt ist, jene Fassung nicht desavouirt. Aber die Zweifel kehrten wieder,
und in unserer Zeit hat ein deutsches Blatt auf das Ueberzeugendste nachgewie¬
sen, der Erzherzog habe eigentlich nur auf das Zusammengehn von Oestreich
und Preußen im gemeinsamen deutschen Interesse seinen Trinkspruch ausgebracht
und in der That machten dies die begleitenden Umstände auf das Höchste wahr¬
scheinlich.

Wenn wir nur diesen einen Fall ins Auge fassen, der in unserer Zeit spielt,
wo eine Menge Ohrenzeugen jener Worte vorhanden waren, wo alle möglichen
Zeitungen unmittelbar nachher Bericht erstatteten, wenn da solche folgenschwere
Verschiebung und Veränderung möglich geworden ist, wollen wir da uns wun¬
dern, daß unsere Ueberlieferungen aus dem Mittelalter, wo ein einsamer Mönch
in seiner Klosterzelle niederschrieb, was von den großen Haupt- und Staats¬
actionen bis zu ihm drang, sehr der Kritik bedürfen? Aber freilich, die Beispiele
liegen noch viel näher. Die Zeitungen gewähren uns fortwährend das Schau-


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[0016] verbreitet und bekannt wurde, d. h. fünfzehn Jahr später, hatte Ranke das Un¬ wahre jener Erzählung auf das schlagendste nachgewiesen, indem er zeigte, daß Friedrich Wilhelm der Erste das den Kronprinzen freisprechende Urtheil des Kriegs¬ gerichts ohne Widerspruch entgegengenommen und nur bezüglich des Spruches über Friedrichs Mitschuldigen Katte sich nicht einverstanden erklärt, der östrei¬ chische Gesandte aber erst einige Tage darnach das Jntercessionsschreiben des Kaisers übergeben habe. Auch die durch das Menzelsche Bild so bekannt gewordene Scene möge hier erwähnt werden, wie Friedlich bei der Huldigung Schlesiens im bres- lauer Fürstensaale 1741 das Reichsschwert vermißt hal'e, welches Schwerin neben ihm halten sollte und statt dessen nun seinen siegreichen Degen ge¬ zogen und sich dessen bei der Ceremonie bedient habe. Die Geschichte ist die Erfindung eines sehr unzuverlässigen Memoirenschreibers, die älteren offi- ciellen Berichte wissen nichts davon, und Schwerin war damals gar nicht in Breslau. Aus neuester Zeit will ich nur noch einen charakteristischen Zug anführen. Wir alle erinnern uns, daß im Jahre der Bewegung 1848, als das deutsche Parlament zu Frankfurt tagte und es sich um die Wahl eines Reichsverwesers handelte, Erzherzog Johann durch nichts so sehr empfohlen wurde, als durch einen Toast, den er einige Jahre vorher bei festlicher Gelegenheit ausgebracht, und dessen Sinn man damals so recht conform den herrschenden Ideen in die Worte zusammenfaßte: Kein Oestreich, kein Preußen mehr, ein einig Deutsch¬ land nur; man kann wohl behaupten, daß Johann wesentlich aus Grund dieses Toastes gewählt worden ist. Nun erhoben sich wohl zwar schon damals Stim¬ men, welche die richtige Wiedergabe jener Worte bezweifelten, aber der allge¬ meine Jubel übertönte die Zweifel, und der Erzherzog selbst hat, so Viel mir bekannt ist, jene Fassung nicht desavouirt. Aber die Zweifel kehrten wieder, und in unserer Zeit hat ein deutsches Blatt auf das Ueberzeugendste nachgewie¬ sen, der Erzherzog habe eigentlich nur auf das Zusammengehn von Oestreich und Preußen im gemeinsamen deutschen Interesse seinen Trinkspruch ausgebracht und in der That machten dies die begleitenden Umstände auf das Höchste wahr¬ scheinlich. Wenn wir nur diesen einen Fall ins Auge fassen, der in unserer Zeit spielt, wo eine Menge Ohrenzeugen jener Worte vorhanden waren, wo alle möglichen Zeitungen unmittelbar nachher Bericht erstatteten, wenn da solche folgenschwere Verschiebung und Veränderung möglich geworden ist, wollen wir da uns wun¬ dern, daß unsere Ueberlieferungen aus dem Mittelalter, wo ein einsamer Mönch in seiner Klosterzelle niederschrieb, was von den großen Haupt- und Staats¬ actionen bis zu ihm drang, sehr der Kritik bedürfen? Aber freilich, die Beispiele liegen noch viel näher. Die Zeitungen gewähren uns fortwährend das Schau-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/16>, abgerufen am 17.06.2024.