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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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in der Geschichte geltend, und das Streben nach durchaus concreter lebendiger
Darstellung herrscht überall.

Es liegt nun auf der Hand, daß jene sichtliche Abneigung der modernen
Historiographen gegen alles Anekdotenhafte noch einen anderen Grund hat. als
die Kritik, und wir finden denselben leicht in der veränderten Methode der
Darstellung. Die ältere Art der Charakteristik machte es sich leicht genug, sie
mahnt an jene Bilder früherer Zeiten, wo die Personen sogenannte Spruch¬
bänder an sich haben, auf denen ihre hauptsächlichsten .Aussprüche verzeich¬
net stehen, oder an Wachsfigurencabinete. wo eine Reihe historischer Per¬
sönlichkeiten in fast gespenstiger Leblosigkeit uns in die Angen springen, mit
allerlei charakteristischen Aeußerlichkeiten begabt, an welchen gleichsam mechanisch
die Erinnerung haftet. Dazu kam dann höchstens als Etiquette die Censur,
in welcher der Historiker von allgemeinem ethischen Standpunkte aus die mora¬
lische Qualität der Persönlichkeit feststellte. Ungleich schwerer, hat es jetzt der
Historiker. Von ihm verlangt man. daß er verfährt gleich dem Maler, der ein
geschichtliches Bild in großem Stile componirt, wo er neben den Haupt¬
personen zur Staffage auch noch eine Reihe anderer Persönlichkeiten braucht,
gleichsam als Objecte für jenes Thun und als Follen derselben. Grade an
ihnen, in ihren Zügen, ihrer Stellung und Haltung sucht der Beschauer den
Reflex der geschilderten Begebenheit, und die gesammte Staffage, ja selbst die
leblose Umgebung muß wesentlich mitwirken zu dem beabsichtigten Effecte leben¬
diger Charakteristik.

Für diese feinere Manier der Darstellung will sich nun die grobe Deckfarbe
der Anekdote wenig eignen, und doch ist dies Charakterisiren aus der Zeit her¬
aus keineswegs nur ein Vorrecht einzelner Viriuvsen der Geschichtschreibung,
sondern wenigstens das Streben darnach ist ein ganz allgemein anerkanntes
Princip; es wird kaum einen modernen Historiker geben, der nicht die sorgfäl¬
tigste Ausmalung des historischen Hintergrundes zu einer Hauptpflicht machte
und aus dem geistigen Leben der Zeit das Hauptmaterial für die Charakteristik
seiner Helden zu entnehmen suchte. Und nachdem ihm dies gelungen, schiebt
er gar manche jener überlieferten Charakterzüge, die einen als in ihrer Trivia¬
lität zu wenig, die anderen in ihrer anekdotischen Zuspitzung zu viel charakte-
risirend bei Seite. Es ist durch diese Veränderung in der Methode der Dar-
stellung keine geringere Revolution hervorgebracht worden, als durch die Kritik,
und wir könnten auch hier eine ganze Anzahl geschichtlicher Persönlichkeiten
aufzählen, deren Portraits in der neueren Geschichtschreibung ganz andere
Züge, eine wesentlich veränderte Physiognomie erhalten haben, als wir sie auf
älteren Bildern zu sehen gewöhnt waren.

Nachdem wir so erkannt haben, daß die beiden mächtigen Impulse, welche
die Neuzeit der Historie gegeben, beide jenen anekdotischen Charakterzügen, welche


in der Geschichte geltend, und das Streben nach durchaus concreter lebendiger
Darstellung herrscht überall.

Es liegt nun auf der Hand, daß jene sichtliche Abneigung der modernen
Historiographen gegen alles Anekdotenhafte noch einen anderen Grund hat. als
die Kritik, und wir finden denselben leicht in der veränderten Methode der
Darstellung. Die ältere Art der Charakteristik machte es sich leicht genug, sie
mahnt an jene Bilder früherer Zeiten, wo die Personen sogenannte Spruch¬
bänder an sich haben, auf denen ihre hauptsächlichsten .Aussprüche verzeich¬
net stehen, oder an Wachsfigurencabinete. wo eine Reihe historischer Per¬
sönlichkeiten in fast gespenstiger Leblosigkeit uns in die Angen springen, mit
allerlei charakteristischen Aeußerlichkeiten begabt, an welchen gleichsam mechanisch
die Erinnerung haftet. Dazu kam dann höchstens als Etiquette die Censur,
in welcher der Historiker von allgemeinem ethischen Standpunkte aus die mora¬
lische Qualität der Persönlichkeit feststellte. Ungleich schwerer, hat es jetzt der
Historiker. Von ihm verlangt man. daß er verfährt gleich dem Maler, der ein
geschichtliches Bild in großem Stile componirt, wo er neben den Haupt¬
personen zur Staffage auch noch eine Reihe anderer Persönlichkeiten braucht,
gleichsam als Objecte für jenes Thun und als Follen derselben. Grade an
ihnen, in ihren Zügen, ihrer Stellung und Haltung sucht der Beschauer den
Reflex der geschilderten Begebenheit, und die gesammte Staffage, ja selbst die
leblose Umgebung muß wesentlich mitwirken zu dem beabsichtigten Effecte leben¬
diger Charakteristik.

Für diese feinere Manier der Darstellung will sich nun die grobe Deckfarbe
der Anekdote wenig eignen, und doch ist dies Charakterisiren aus der Zeit her¬
aus keineswegs nur ein Vorrecht einzelner Viriuvsen der Geschichtschreibung,
sondern wenigstens das Streben darnach ist ein ganz allgemein anerkanntes
Princip; es wird kaum einen modernen Historiker geben, der nicht die sorgfäl¬
tigste Ausmalung des historischen Hintergrundes zu einer Hauptpflicht machte
und aus dem geistigen Leben der Zeit das Hauptmaterial für die Charakteristik
seiner Helden zu entnehmen suchte. Und nachdem ihm dies gelungen, schiebt
er gar manche jener überlieferten Charakterzüge, die einen als in ihrer Trivia¬
lität zu wenig, die anderen in ihrer anekdotischen Zuspitzung zu viel charakte-
risirend bei Seite. Es ist durch diese Veränderung in der Methode der Dar-
stellung keine geringere Revolution hervorgebracht worden, als durch die Kritik,
und wir könnten auch hier eine ganze Anzahl geschichtlicher Persönlichkeiten
aufzählen, deren Portraits in der neueren Geschichtschreibung ganz andere
Züge, eine wesentlich veränderte Physiognomie erhalten haben, als wir sie auf
älteren Bildern zu sehen gewöhnt waren.

Nachdem wir so erkannt haben, daß die beiden mächtigen Impulse, welche
die Neuzeit der Historie gegeben, beide jenen anekdotischen Charakterzügen, welche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/20>, abgerufen am 17.06.2024.