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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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die äußere Weltgeschichte. Kaum einige Hindeutungen auf seine Einwirkung
erringt sich das Jahr 1848; von jener Kluft zwischen dem Gesetze vom
3. Januar 1849 und dem des 3 Mai 1852, den beiden Fundamentalgesetzen
des preußischen Strafprocesses, erfährt man nichts. Betrachten wir die neueste
Geschickte des preußischen Strafprocesses genauer.

Schon vor 1848 begann hier durch das von Savigny geleitete Ministerium
der Gesetzesrevision die Reform des Strafprocesses für die acht östlichen Pro¬
vinzen. Diese Reform brachte einen Entwurf folgender Zwittergestalt'. Münd¬
liches Verfahren vor dem erkennenden Gerichte, mit Staatsanwälten, aber --
ohne Geschwornengerichte! Es galt ihre Verwirklichung, die Prüfung ihrer
Lebensfähigkeit. Die sehr umfangreiche Untersuchung wegen der revolutionären
Ereignisse in den vormals polnischen Landestheilen, welche damals schwebte und
nach dem Jnquisitionsverfahren sich endlos hingezogen hätte, forderte dringend,
wenn auch zunächst nur für die unmittelbar dabei betheiligten berliner Gerichte,
die Einführung eines mündlichen Verfahrens. So brachte denn das Gesetz
vom 17. Juli 1846 interimistisch, probeweise die allernothwendigsten Aende¬
rungen des Strafprocesses. Inzwischen ließ Savignys Ministerium das Resul¬
tat seiner Vorarbeiten für dieselbe Reform in einer ausführlichen Denkschrift
drucken, doch -- nicht veröffentlichen.

Zwei Jahre Ruhe, dann 1848. Schon am 21. März 1848 erklärt Frie¬
drich Wilhelm der Vierte in der "Proklamation an mein Volk", eines der Fun-
damente der Versöhnung zwischen Krone und Volk sei: Einführung der öffent¬
lichen und mündlichen Rechtspflege, in Strafsachen gestützt auf Geschwornen¬
gerichte. In dem Gesetze vom 2. April 1848 "über einige Grundlagen der
preußischen Verfassung", welches dem "vereinigten Landtage" vorgelegt wurde,
heißt es (§. 2.): die Untersuchung und Bestrafung aller Staatsverbrechen soll
nicht, wie bisher, durch besondere, sondern durch die ordentlichen Gerichte ge¬
schehen. Die octroyirte Verfassung vom 3. December 1848 bringt die Ge-
schwornengerichte bei allen schweren, allen politischen und Prcßverbrechen in An¬
wendung. Vom 3. Januar 1849 schon datirt das neue Strafproceßgesetz, welches
wir oben kurz charakterisirten. und dessen wesentliche einzelne Bestimmungen im
Vergleiche mit dem Gesetze vom 3. Mai 18S2 und mit dem neuen Entwürfe
wir näher kennen lernen werden. Die Einleitung des letzteren sagt über die
eben berührte Zeit nur: "Die Zeitverhältnisse gestatteten es nicht, jene Grund¬
sätze (der octroyirten Verfassung) zu einem vollständigen, den gestimmten Straf-
Proceß umfassenden Systeme auszuprägen. Man beschränkte sich vielmehr bei
Erlaß der Verordnung vom 3. Januar 1849 darauf, das Gesetz vom 17. Juli
1846 svergl. oben) zu Grunde zu legen und dasselbe, abgesehen von einigen
wesentlichen Verbesserungen, nur insoweit zu ergänzen, als dies zur Aufnahme
des Instituts der Geschwornengerichte erforderlich war."


die äußere Weltgeschichte. Kaum einige Hindeutungen auf seine Einwirkung
erringt sich das Jahr 1848; von jener Kluft zwischen dem Gesetze vom
3. Januar 1849 und dem des 3 Mai 1852, den beiden Fundamentalgesetzen
des preußischen Strafprocesses, erfährt man nichts. Betrachten wir die neueste
Geschickte des preußischen Strafprocesses genauer.

Schon vor 1848 begann hier durch das von Savigny geleitete Ministerium
der Gesetzesrevision die Reform des Strafprocesses für die acht östlichen Pro¬
vinzen. Diese Reform brachte einen Entwurf folgender Zwittergestalt'. Münd¬
liches Verfahren vor dem erkennenden Gerichte, mit Staatsanwälten, aber —
ohne Geschwornengerichte! Es galt ihre Verwirklichung, die Prüfung ihrer
Lebensfähigkeit. Die sehr umfangreiche Untersuchung wegen der revolutionären
Ereignisse in den vormals polnischen Landestheilen, welche damals schwebte und
nach dem Jnquisitionsverfahren sich endlos hingezogen hätte, forderte dringend,
wenn auch zunächst nur für die unmittelbar dabei betheiligten berliner Gerichte,
die Einführung eines mündlichen Verfahrens. So brachte denn das Gesetz
vom 17. Juli 1846 interimistisch, probeweise die allernothwendigsten Aende¬
rungen des Strafprocesses. Inzwischen ließ Savignys Ministerium das Resul¬
tat seiner Vorarbeiten für dieselbe Reform in einer ausführlichen Denkschrift
drucken, doch — nicht veröffentlichen.

Zwei Jahre Ruhe, dann 1848. Schon am 21. März 1848 erklärt Frie¬
drich Wilhelm der Vierte in der „Proklamation an mein Volk", eines der Fun-
damente der Versöhnung zwischen Krone und Volk sei: Einführung der öffent¬
lichen und mündlichen Rechtspflege, in Strafsachen gestützt auf Geschwornen¬
gerichte. In dem Gesetze vom 2. April 1848 „über einige Grundlagen der
preußischen Verfassung", welches dem „vereinigten Landtage" vorgelegt wurde,
heißt es (§. 2.): die Untersuchung und Bestrafung aller Staatsverbrechen soll
nicht, wie bisher, durch besondere, sondern durch die ordentlichen Gerichte ge¬
schehen. Die octroyirte Verfassung vom 3. December 1848 bringt die Ge-
schwornengerichte bei allen schweren, allen politischen und Prcßverbrechen in An¬
wendung. Vom 3. Januar 1849 schon datirt das neue Strafproceßgesetz, welches
wir oben kurz charakterisirten. und dessen wesentliche einzelne Bestimmungen im
Vergleiche mit dem Gesetze vom 3. Mai 18S2 und mit dem neuen Entwürfe
wir näher kennen lernen werden. Die Einleitung des letzteren sagt über die
eben berührte Zeit nur: „Die Zeitverhältnisse gestatteten es nicht, jene Grund¬
sätze (der octroyirten Verfassung) zu einem vollständigen, den gestimmten Straf-
Proceß umfassenden Systeme auszuprägen. Man beschränkte sich vielmehr bei
Erlaß der Verordnung vom 3. Januar 1849 darauf, das Gesetz vom 17. Juli
1846 svergl. oben) zu Grunde zu legen und dasselbe, abgesehen von einigen
wesentlichen Verbesserungen, nur insoweit zu ergänzen, als dies zur Aufnahme
des Instituts der Geschwornengerichte erforderlich war."


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[0026] die äußere Weltgeschichte. Kaum einige Hindeutungen auf seine Einwirkung erringt sich das Jahr 1848; von jener Kluft zwischen dem Gesetze vom 3. Januar 1849 und dem des 3 Mai 1852, den beiden Fundamentalgesetzen des preußischen Strafprocesses, erfährt man nichts. Betrachten wir die neueste Geschickte des preußischen Strafprocesses genauer. Schon vor 1848 begann hier durch das von Savigny geleitete Ministerium der Gesetzesrevision die Reform des Strafprocesses für die acht östlichen Pro¬ vinzen. Diese Reform brachte einen Entwurf folgender Zwittergestalt'. Münd¬ liches Verfahren vor dem erkennenden Gerichte, mit Staatsanwälten, aber — ohne Geschwornengerichte! Es galt ihre Verwirklichung, die Prüfung ihrer Lebensfähigkeit. Die sehr umfangreiche Untersuchung wegen der revolutionären Ereignisse in den vormals polnischen Landestheilen, welche damals schwebte und nach dem Jnquisitionsverfahren sich endlos hingezogen hätte, forderte dringend, wenn auch zunächst nur für die unmittelbar dabei betheiligten berliner Gerichte, die Einführung eines mündlichen Verfahrens. So brachte denn das Gesetz vom 17. Juli 1846 interimistisch, probeweise die allernothwendigsten Aende¬ rungen des Strafprocesses. Inzwischen ließ Savignys Ministerium das Resul¬ tat seiner Vorarbeiten für dieselbe Reform in einer ausführlichen Denkschrift drucken, doch — nicht veröffentlichen. Zwei Jahre Ruhe, dann 1848. Schon am 21. März 1848 erklärt Frie¬ drich Wilhelm der Vierte in der „Proklamation an mein Volk", eines der Fun- damente der Versöhnung zwischen Krone und Volk sei: Einführung der öffent¬ lichen und mündlichen Rechtspflege, in Strafsachen gestützt auf Geschwornen¬ gerichte. In dem Gesetze vom 2. April 1848 „über einige Grundlagen der preußischen Verfassung", welches dem „vereinigten Landtage" vorgelegt wurde, heißt es (§. 2.): die Untersuchung und Bestrafung aller Staatsverbrechen soll nicht, wie bisher, durch besondere, sondern durch die ordentlichen Gerichte ge¬ schehen. Die octroyirte Verfassung vom 3. December 1848 bringt die Ge- schwornengerichte bei allen schweren, allen politischen und Prcßverbrechen in An¬ wendung. Vom 3. Januar 1849 schon datirt das neue Strafproceßgesetz, welches wir oben kurz charakterisirten. und dessen wesentliche einzelne Bestimmungen im Vergleiche mit dem Gesetze vom 3. Mai 18S2 und mit dem neuen Entwürfe wir näher kennen lernen werden. Die Einleitung des letzteren sagt über die eben berührte Zeit nur: „Die Zeitverhältnisse gestatteten es nicht, jene Grund¬ sätze (der octroyirten Verfassung) zu einem vollständigen, den gestimmten Straf- Proceß umfassenden Systeme auszuprägen. Man beschränkte sich vielmehr bei Erlaß der Verordnung vom 3. Januar 1849 darauf, das Gesetz vom 17. Juli 1846 svergl. oben) zu Grunde zu legen und dasselbe, abgesehen von einigen wesentlichen Verbesserungen, nur insoweit zu ergänzen, als dies zur Aufnahme des Instituts der Geschwornengerichte erforderlich war."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/26>, abgerufen am 17.06.2024.