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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Seit dem Gesetze vom 3. Januar 1849 läßt sich der politische
Rückschritt nun Punkt für Punkt in der Geschichte des preußischen
Strafprocesses lehrreichst verfolgen. Die revidirte Verfassung vom
31. Januar 18S0 weist zwar auch noch den Schwurgerichten alle schweren, alle
Politischen und Preßverbrechen zu, doch fügt sie bei: "welche das Gesetz nicht
ausdrücklich aufnimmt". Leider fehlt der im Plenum der zweiten Kammer be¬
schlossene Zusatz: "wegen Geringfügigkeit der Strafen ausnimmt"; das Plenum
der ersten Kammer verwarf ihn und ermöglichte dadurch eine tendenziös-poli¬
tische Ausbeute des Zusatzes. Wohin diese zielen würde, zeigte bereits die den
Kammern zugehende Ncgierungsproposition vom 7. Januar 18S0, welche einen
neuen Artikel (96) folgenden Inhalts der Verfassung einzuverleiben wünschte:
"Es kann im Wege der Gesetzgebung ein besonderer Gerichtshof errichtet
werden, dessen Zuständigkeit die Verbrechen des Hochverraths und andere Ver¬
brechen gegen die innere und äußere Sicherheit des Staates begreift.
In wiefern über diese Verbrechen alsdann auch von den gewöhnlichen Straf¬
gerichten erkannt werden kann, bestimmt das Gesetz". Die Negierung hielt es
nämlich, wie die Motive dieser Proposition offen aussprechen, für "bedenklich"
Verbrechen, wie die bezeichneten, dem "gewöhnlichen Verfahren" (!) zu un¬
terwerfen. Nur ein außergewöhnlicher Gerichtshof werde möglicherweise die
hierbei nöthige "Umsicht. Energie und Unparteilichkeit" anwenden. Die Reol.
sionscommission der zweiten Kammer lehnte diese ProPosition ab. Denn Artikel
7 und 34 der Verfassung ständen ihr entgegen, ein Mißtrauen gegen die jungen
und unvollkommen in ein unvollkommenes Strafrecht und eine aufgeregte Zeit
Hineingesetzen Schwurgerichte sei ungerechtfertigt; auswärtige Beispiele hätten
auch nicht "vor Revolutionen geschützt"; "das Vertrauen des Landes
werde sich solchen Gerichtshöfen niemals zuwenden; ihre Recht¬
sprechung werde in der Auffassung des Volkes für einen Act der
Rache angesehen werden, die von ihnen Verurtheilten als poli¬
tische Märtyrer." Man merkte also klar, wohin die Regierung steuerte. Trotz¬
dem nahm das Plenum der zweiten Kammer den Vorschlag der Negierung an,
nur schob man in dessen Anfang die Worte: "durch ein mit vorheriger Zustim¬
mung der Kammern zu erlassendes Gesetz" und verbesserte, was viel wichtiger,
das bedenklich unbestimmte "Gerichtshof" in "Schwurgerichtshos". So
trat unter Zustimmung der ersten Kammer und der Regierung zu der geänder¬
ten Fassung der verhängnißvolle Artikel 95 in die revidirte Verfassung, welcher
zur Fesselung der wichtigsten Kompetenz der Schwurgerichte den StaatslLnkem
die schon fertigen Fesseln bot.

Für kurze Zeit verharrte man noch bei den bisherigen Normen der Zustän¬
digkeit der Schwurgerichte. Nach §. 60 der Verordnung vom 3. Januar 1849
urtheilen diese 1) über die Verbrechen, welche in den Gesetzen mit einer Härte-


Seit dem Gesetze vom 3. Januar 1849 läßt sich der politische
Rückschritt nun Punkt für Punkt in der Geschichte des preußischen
Strafprocesses lehrreichst verfolgen. Die revidirte Verfassung vom
31. Januar 18S0 weist zwar auch noch den Schwurgerichten alle schweren, alle
Politischen und Preßverbrechen zu, doch fügt sie bei: „welche das Gesetz nicht
ausdrücklich aufnimmt". Leider fehlt der im Plenum der zweiten Kammer be¬
schlossene Zusatz: „wegen Geringfügigkeit der Strafen ausnimmt"; das Plenum
der ersten Kammer verwarf ihn und ermöglichte dadurch eine tendenziös-poli¬
tische Ausbeute des Zusatzes. Wohin diese zielen würde, zeigte bereits die den
Kammern zugehende Ncgierungsproposition vom 7. Januar 18S0, welche einen
neuen Artikel (96) folgenden Inhalts der Verfassung einzuverleiben wünschte:
„Es kann im Wege der Gesetzgebung ein besonderer Gerichtshof errichtet
werden, dessen Zuständigkeit die Verbrechen des Hochverraths und andere Ver¬
brechen gegen die innere und äußere Sicherheit des Staates begreift.
In wiefern über diese Verbrechen alsdann auch von den gewöhnlichen Straf¬
gerichten erkannt werden kann, bestimmt das Gesetz". Die Negierung hielt es
nämlich, wie die Motive dieser Proposition offen aussprechen, für „bedenklich"
Verbrechen, wie die bezeichneten, dem „gewöhnlichen Verfahren" (!) zu un¬
terwerfen. Nur ein außergewöhnlicher Gerichtshof werde möglicherweise die
hierbei nöthige „Umsicht. Energie und Unparteilichkeit" anwenden. Die Reol.
sionscommission der zweiten Kammer lehnte diese ProPosition ab. Denn Artikel
7 und 34 der Verfassung ständen ihr entgegen, ein Mißtrauen gegen die jungen
und unvollkommen in ein unvollkommenes Strafrecht und eine aufgeregte Zeit
Hineingesetzen Schwurgerichte sei ungerechtfertigt; auswärtige Beispiele hätten
auch nicht „vor Revolutionen geschützt"; „das Vertrauen des Landes
werde sich solchen Gerichtshöfen niemals zuwenden; ihre Recht¬
sprechung werde in der Auffassung des Volkes für einen Act der
Rache angesehen werden, die von ihnen Verurtheilten als poli¬
tische Märtyrer." Man merkte also klar, wohin die Regierung steuerte. Trotz¬
dem nahm das Plenum der zweiten Kammer den Vorschlag der Negierung an,
nur schob man in dessen Anfang die Worte: „durch ein mit vorheriger Zustim¬
mung der Kammern zu erlassendes Gesetz" und verbesserte, was viel wichtiger,
das bedenklich unbestimmte „Gerichtshof" in „Schwurgerichtshos". So
trat unter Zustimmung der ersten Kammer und der Regierung zu der geänder¬
ten Fassung der verhängnißvolle Artikel 95 in die revidirte Verfassung, welcher
zur Fesselung der wichtigsten Kompetenz der Schwurgerichte den StaatslLnkem
die schon fertigen Fesseln bot.

Für kurze Zeit verharrte man noch bei den bisherigen Normen der Zustän¬
digkeit der Schwurgerichte. Nach §. 60 der Verordnung vom 3. Januar 1849
urtheilen diese 1) über die Verbrechen, welche in den Gesetzen mit einer Härte-


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[0027] Seit dem Gesetze vom 3. Januar 1849 läßt sich der politische Rückschritt nun Punkt für Punkt in der Geschichte des preußischen Strafprocesses lehrreichst verfolgen. Die revidirte Verfassung vom 31. Januar 18S0 weist zwar auch noch den Schwurgerichten alle schweren, alle Politischen und Preßverbrechen zu, doch fügt sie bei: „welche das Gesetz nicht ausdrücklich aufnimmt". Leider fehlt der im Plenum der zweiten Kammer be¬ schlossene Zusatz: „wegen Geringfügigkeit der Strafen ausnimmt"; das Plenum der ersten Kammer verwarf ihn und ermöglichte dadurch eine tendenziös-poli¬ tische Ausbeute des Zusatzes. Wohin diese zielen würde, zeigte bereits die den Kammern zugehende Ncgierungsproposition vom 7. Januar 18S0, welche einen neuen Artikel (96) folgenden Inhalts der Verfassung einzuverleiben wünschte: „Es kann im Wege der Gesetzgebung ein besonderer Gerichtshof errichtet werden, dessen Zuständigkeit die Verbrechen des Hochverraths und andere Ver¬ brechen gegen die innere und äußere Sicherheit des Staates begreift. In wiefern über diese Verbrechen alsdann auch von den gewöhnlichen Straf¬ gerichten erkannt werden kann, bestimmt das Gesetz". Die Negierung hielt es nämlich, wie die Motive dieser Proposition offen aussprechen, für „bedenklich" Verbrechen, wie die bezeichneten, dem „gewöhnlichen Verfahren" (!) zu un¬ terwerfen. Nur ein außergewöhnlicher Gerichtshof werde möglicherweise die hierbei nöthige „Umsicht. Energie und Unparteilichkeit" anwenden. Die Reol. sionscommission der zweiten Kammer lehnte diese ProPosition ab. Denn Artikel 7 und 34 der Verfassung ständen ihr entgegen, ein Mißtrauen gegen die jungen und unvollkommen in ein unvollkommenes Strafrecht und eine aufgeregte Zeit Hineingesetzen Schwurgerichte sei ungerechtfertigt; auswärtige Beispiele hätten auch nicht „vor Revolutionen geschützt"; „das Vertrauen des Landes werde sich solchen Gerichtshöfen niemals zuwenden; ihre Recht¬ sprechung werde in der Auffassung des Volkes für einen Act der Rache angesehen werden, die von ihnen Verurtheilten als poli¬ tische Märtyrer." Man merkte also klar, wohin die Regierung steuerte. Trotz¬ dem nahm das Plenum der zweiten Kammer den Vorschlag der Negierung an, nur schob man in dessen Anfang die Worte: „durch ein mit vorheriger Zustim¬ mung der Kammern zu erlassendes Gesetz" und verbesserte, was viel wichtiger, das bedenklich unbestimmte „Gerichtshof" in „Schwurgerichtshos". So trat unter Zustimmung der ersten Kammer und der Regierung zu der geänder¬ ten Fassung der verhängnißvolle Artikel 95 in die revidirte Verfassung, welcher zur Fesselung der wichtigsten Kompetenz der Schwurgerichte den StaatslLnkem die schon fertigen Fesseln bot. Für kurze Zeit verharrte man noch bei den bisherigen Normen der Zustän¬ digkeit der Schwurgerichte. Nach §. 60 der Verordnung vom 3. Januar 1849 urtheilen diese 1) über die Verbrechen, welche in den Gesetzen mit einer Härte-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/27>, abgerufen am 17.06.2024.