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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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ein unbefangener, mit der Gerechtigkeit in Einklang stehender Spruch von den
Geschwornen zu hoffen flehe." Und gleichzeitig mit ihm beantragte in derselben
Kammer Graf v. Jtzen plitz unter ausdrücklichen Zurückgreifen zu der doch,
^>e gezeigt, so erheblich modificirten Proposition der Regierung vom 7. Januar
1850, in verfassungsmäßigen Wege den oben citirten Artikel 95 der Verfassungs¬
urkunde dahin abzuändern: "Es kann durch ein mit vorheriger Zustimmung
der Kammer zu erlassendes Gesetz, ein besonderer Gerichtshof errichtet wer¬
den, dessen Zuständigkeit die Verbrechen des Hochverrathes und diejenigen
schweren Verbrechen gegen die innere und äußere Sicherheit des Staates, welche
ihm durch das Gesetz überwiesen werden, begreift." Denn die Geschwornen
erschienen, diese Verbrechen zu entscheiden, am wenigsten geeignet. Der Staats¬
gerichtshof könne aber nicht ein Schwurgerichtshof sein; ohne ganz über¬
wiegenden Einfluß der Regierung auf die Besetzung des Schwur¬
gerichts würde die Sicherheit des Staates und seiner Verfassung
bei einem Staatsschwurgerichtshofe nicht geborgen sein, und be-
eilten solchen überwiegenden Einflüsse der Negierung könne jeder augenblickliche
Machthaber das Schwurgericht leiten. Commission und Plenum der I. Kammer
nahmen mit unwesentlichen Aenderungen diese tief einschneidende Neuerung an.
Ihre Hauptgründe stehen in schneidendem Gegensatze gegen die von der Mino¬
rität in Commission und Plenum betonten Resultate wissenschaftlicher Forschung
und unbeeinflußter praktischer Erfahrung über die Wirkungen und Vorzüge der
Schwurgerichte. Aber sie zeigen auch, daß eben die Natur selbst des> Schwur¬
gerichtes den Kammermitgliedern verwerflich schien, und so richten ihre Gründe
sich selbst. Es heißt darin, die Schwurgerichte hätten als Ergebniß politischen
Fortschritts gegolten, in ihnen sollte sich das Volk an dem Rechtsprecher be-
theiligen, und dadurch eine besondere, von dem Beamtenthume unabhängige
Garantie'sür die Rechtssicherheit bieten, aber diese Erwartungen seien getäuscht.
Dasselbe Rechtsinstitut passe nicht für alle unter sich zu verschiedenen Landes¬
theile. In etlichen derselben habe man die Geschwornenpflicht als lästige und
kostspielige Beeinträchtigung der bürgerlichen Freiheit angesehen; der Spruch
der Geschwornen sei nicht von der öffentlichen Meinung getragen, sondern ein
Ausdruck variirender Zeitrichtung und solcher Einwirkungen, welche eine gerechte
und unparteiische Entscheidung über Freiheit. Ehre, Leben nicht garantirten.
Viele Stimmen im Lande hätten völlige Beseitigung des Instituts gefordert.
Vornehmlich die Politischen Vergehen und Verbrechen müsse man
wieder der Entscheidung der "ordentlichen" Gerichtshöfe unterbreiten; denn das
Urtheil der Schwurgerichte grade über sie habe das Rechtsbewußtsein des
Volkes tief verletzt, da es stets nur den Ausdruck politischer Partei¬
ansicht darin erkannt, oft den politischen Muth vermißt habe. Ge-
schwornengerichte seien am wenigsten geeignet, sich den politischen Tageseinflüsscn


ein unbefangener, mit der Gerechtigkeit in Einklang stehender Spruch von den
Geschwornen zu hoffen flehe." Und gleichzeitig mit ihm beantragte in derselben
Kammer Graf v. Jtzen plitz unter ausdrücklichen Zurückgreifen zu der doch,
^>e gezeigt, so erheblich modificirten Proposition der Regierung vom 7. Januar
1850, in verfassungsmäßigen Wege den oben citirten Artikel 95 der Verfassungs¬
urkunde dahin abzuändern: „Es kann durch ein mit vorheriger Zustimmung
der Kammer zu erlassendes Gesetz, ein besonderer Gerichtshof errichtet wer¬
den, dessen Zuständigkeit die Verbrechen des Hochverrathes und diejenigen
schweren Verbrechen gegen die innere und äußere Sicherheit des Staates, welche
ihm durch das Gesetz überwiesen werden, begreift." Denn die Geschwornen
erschienen, diese Verbrechen zu entscheiden, am wenigsten geeignet. Der Staats¬
gerichtshof könne aber nicht ein Schwurgerichtshof sein; ohne ganz über¬
wiegenden Einfluß der Regierung auf die Besetzung des Schwur¬
gerichts würde die Sicherheit des Staates und seiner Verfassung
bei einem Staatsschwurgerichtshofe nicht geborgen sein, und be-
eilten solchen überwiegenden Einflüsse der Negierung könne jeder augenblickliche
Machthaber das Schwurgericht leiten. Commission und Plenum der I. Kammer
nahmen mit unwesentlichen Aenderungen diese tief einschneidende Neuerung an.
Ihre Hauptgründe stehen in schneidendem Gegensatze gegen die von der Mino¬
rität in Commission und Plenum betonten Resultate wissenschaftlicher Forschung
und unbeeinflußter praktischer Erfahrung über die Wirkungen und Vorzüge der
Schwurgerichte. Aber sie zeigen auch, daß eben die Natur selbst des> Schwur¬
gerichtes den Kammermitgliedern verwerflich schien, und so richten ihre Gründe
sich selbst. Es heißt darin, die Schwurgerichte hätten als Ergebniß politischen
Fortschritts gegolten, in ihnen sollte sich das Volk an dem Rechtsprecher be-
theiligen, und dadurch eine besondere, von dem Beamtenthume unabhängige
Garantie'sür die Rechtssicherheit bieten, aber diese Erwartungen seien getäuscht.
Dasselbe Rechtsinstitut passe nicht für alle unter sich zu verschiedenen Landes¬
theile. In etlichen derselben habe man die Geschwornenpflicht als lästige und
kostspielige Beeinträchtigung der bürgerlichen Freiheit angesehen; der Spruch
der Geschwornen sei nicht von der öffentlichen Meinung getragen, sondern ein
Ausdruck variirender Zeitrichtung und solcher Einwirkungen, welche eine gerechte
und unparteiische Entscheidung über Freiheit. Ehre, Leben nicht garantirten.
Viele Stimmen im Lande hätten völlige Beseitigung des Instituts gefordert.
Vornehmlich die Politischen Vergehen und Verbrechen müsse man
wieder der Entscheidung der „ordentlichen" Gerichtshöfe unterbreiten; denn das
Urtheil der Schwurgerichte grade über sie habe das Rechtsbewußtsein des
Volkes tief verletzt, da es stets nur den Ausdruck politischer Partei¬
ansicht darin erkannt, oft den politischen Muth vermißt habe. Ge-
schwornengerichte seien am wenigsten geeignet, sich den politischen Tageseinflüsscn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/29>, abgerufen am 17.06.2024.