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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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beschwerte. In diesem wichtigen Punkte hat man also, trotzdem gelehrte Richter
urtheilen und für ihr Urtheil das Gesetz der Gerichtsabtheilungen maßgebend
sein soll, letzteres Gesetz zum Nachtheil des Angeklagten durch die zweite, bei
Schwurgerichten geltende Norm beschränkt, deren Erkenntnisse -- aber eben
doch, weil sie Schwurgerichtserkenntnisse -- auch nur der Nichtigkeitsbeschwerde,
nicht der Appellation unterworfen sind.

Auf das Kammergericht hatte man zurückgegriffen und es mit dieser odiösen
Zuständigkeit belastet, weil dasselbe seit dem Bundesbeschlusse von 1833 nicht
blos für alle Verbrechen gegen Verfassung und öffentliche Ordnung, sondern
anch für Hochverrätherische Unternehmen das ordentliche Gericht bildete. Diese
Kompetenz währte bis 1848, dann wurde sie aber, wie gezeigt, durch die
königliche Proclamation "an mein Volk" vom 21. März 1848 beseitigt. Wohl
hatte sie in dem dargelegten Umwege jetzt ihre alte Ausdehnung wiedergewonnen,
wohl waren die Artikel 94 und 95 der Verfassungsurkunde den Angriffen der
politischen Reaction erlegen, mindestens gefüge gemacht, aber der lehrreiche
Umweg lag und liegt doch vor aller Augen, und wie wollte man das Gesetz
vom 25. April 1853 mit dem ausnahmslosen und unverletzten Artikel 7 der
Verfassung vereinbaren: Niemand darf seinem gesetzlichen Richter
entzogen werden, Ausnahmegerichte und außerordentliche Com¬
missionen sind unstatthaft! Hier zeigt sich der krasse Widerspruch, des
Schritt um Schritt, fast heimlich angebahnten Ausnahmerechts einer scheinbar
konstitutionellen Regierung gegen das offen und schwer errungene, klare, höchste
Verfassungsrecht des wahrhaft constitutionellen Volkes.

Am 6. März 1854 hielt dieselbe Regierung eine nicht mehr abzuwehrende,
nach der bisherigen Saat und Ernte folgerechte Nachlese. In dem Gesetze
dieses Datums minderte sie auch für die von dem Preßgesetze (§. 27) und von
dem Gesepe vom 25. April 1853 den Schwurgerichten noch belassenen poli¬
tischen und Preßvergehen die Competenz der verhaßten Volksgerichte dadurch,
daß sie ihnen nur die nach den allgemeinen Competenzgrundsätzen (Art. XIII
bis XV des Einführungsgesetzes zum Strasgesetzbnche; vrgl. oben) zukommen¬
den politischen und Preßverbrechen ließ, welche selbstverständlich fast alle
bereits gemäß dem Gesetze vom 25. April 1853 dem Kammergerichte unter¬
worfen waren. Damit erklärte sie den oben näher besprochenen Art. XIX des¬
selben Einführungsgesetzes und §. 27 des Preßgesetzes für aufgehoben. Die
Art. 94 und 95 der Verfassungsurkunde zu berücksichtigen, schien überflüssig;
der K. 60 des Gesetzes vom 3. Januar 1849 blieb unberührt und verwies und
verweist noch immer wie zum Hohne (oder zur Mahnung?) alle politischen und
Preßverbrechen vor die Geschwornengerichte; den Art. 7 der Verfassungsurkunde
aber wagte man nicht zu berühren. Oder war die Hast des Rückschrittes
zu groß, so daß sie nicht mehr die nöthige Rücksicht auf diese den Neuerungen


beschwerte. In diesem wichtigen Punkte hat man also, trotzdem gelehrte Richter
urtheilen und für ihr Urtheil das Gesetz der Gerichtsabtheilungen maßgebend
sein soll, letzteres Gesetz zum Nachtheil des Angeklagten durch die zweite, bei
Schwurgerichten geltende Norm beschränkt, deren Erkenntnisse — aber eben
doch, weil sie Schwurgerichtserkenntnisse — auch nur der Nichtigkeitsbeschwerde,
nicht der Appellation unterworfen sind.

Auf das Kammergericht hatte man zurückgegriffen und es mit dieser odiösen
Zuständigkeit belastet, weil dasselbe seit dem Bundesbeschlusse von 1833 nicht
blos für alle Verbrechen gegen Verfassung und öffentliche Ordnung, sondern
anch für Hochverrätherische Unternehmen das ordentliche Gericht bildete. Diese
Kompetenz währte bis 1848, dann wurde sie aber, wie gezeigt, durch die
königliche Proclamation „an mein Volk" vom 21. März 1848 beseitigt. Wohl
hatte sie in dem dargelegten Umwege jetzt ihre alte Ausdehnung wiedergewonnen,
wohl waren die Artikel 94 und 95 der Verfassungsurkunde den Angriffen der
politischen Reaction erlegen, mindestens gefüge gemacht, aber der lehrreiche
Umweg lag und liegt doch vor aller Augen, und wie wollte man das Gesetz
vom 25. April 1853 mit dem ausnahmslosen und unverletzten Artikel 7 der
Verfassung vereinbaren: Niemand darf seinem gesetzlichen Richter
entzogen werden, Ausnahmegerichte und außerordentliche Com¬
missionen sind unstatthaft! Hier zeigt sich der krasse Widerspruch, des
Schritt um Schritt, fast heimlich angebahnten Ausnahmerechts einer scheinbar
konstitutionellen Regierung gegen das offen und schwer errungene, klare, höchste
Verfassungsrecht des wahrhaft constitutionellen Volkes.

Am 6. März 1854 hielt dieselbe Regierung eine nicht mehr abzuwehrende,
nach der bisherigen Saat und Ernte folgerechte Nachlese. In dem Gesetze
dieses Datums minderte sie auch für die von dem Preßgesetze (§. 27) und von
dem Gesepe vom 25. April 1853 den Schwurgerichten noch belassenen poli¬
tischen und Preßvergehen die Competenz der verhaßten Volksgerichte dadurch,
daß sie ihnen nur die nach den allgemeinen Competenzgrundsätzen (Art. XIII
bis XV des Einführungsgesetzes zum Strasgesetzbnche; vrgl. oben) zukommen¬
den politischen und Preßverbrechen ließ, welche selbstverständlich fast alle
bereits gemäß dem Gesetze vom 25. April 1853 dem Kammergerichte unter¬
worfen waren. Damit erklärte sie den oben näher besprochenen Art. XIX des¬
selben Einführungsgesetzes und §. 27 des Preßgesetzes für aufgehoben. Die
Art. 94 und 95 der Verfassungsurkunde zu berücksichtigen, schien überflüssig;
der K. 60 des Gesetzes vom 3. Januar 1849 blieb unberührt und verwies und
verweist noch immer wie zum Hohne (oder zur Mahnung?) alle politischen und
Preßverbrechen vor die Geschwornengerichte; den Art. 7 der Verfassungsurkunde
aber wagte man nicht zu berühren. Oder war die Hast des Rückschrittes
zu groß, so daß sie nicht mehr die nöthige Rücksicht auf diese den Neuerungen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/32>, abgerufen am 17.06.2024.