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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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kroß entgegenstehenden Gesetze wenigstens durch deren ausdrückliche Aufhebung
nehmen konnte? Oder war die Regierung der neuen Aera seit 1850 zu sicher,
als daß sie eine solche radicale Aufhebung der ihr widerwärtigen Gesetze noch
für nöthig gehalten hätte?

Von dieser für die Gestaltung des Strafprocesses äußerst wichtigen Umkehr
der Anschauungen bei den maßgebenden Behörden, von dieser dadurch erzeugten
Geschichte der Kompetenz der Schwurgerichte weih unser neuer Entwurf gar
nichts. Er sagt unmittelbar nach der zur Verordnung vom 3. Januar 1849
oben citirten Stelle, die Regierung habe nunmehr die Ausarbeitung einer voll¬
ständigen Strafproceßordnung für die ganze Monarchie begonnen, aber weder
diese im September 1850 beendeten und 1851 im Justizministcriaiblatte ver¬
öffentlichten Arbeiten, noch die Menge der über sie einlaufenden Gutachten der
Praktiker konnten zu einer definitiven Gestaltung benutzt werden. "Denn es
hatten sich inzwischen gegen die Herstellung einer vollständigen, den ganzen
Strafproceß umfassenden Strafproceßordnung Hindernisse (also wieder, wie
oben) erhoben, welche das Staatsministerium zu dem Beschlusse führten, von
der Vorlegung eines solchen Gesetzes zur Zeit abzusehen." So sei denn aus
der Verordnung vom 3. Januar 1849 unter Hinzufügung "der in der
Praxis nöthig gewordenen Aenderungen und Ergänzungen" das
Gesetz vom 3. Mai 1852 entsprungen.

Dann kein Wort von den eben quellenmäßig vorgeführten Eingriffen in
die Grundlagen des ganzen Strafprocesses, von den fundamentalen Aenderun¬
gen der wichtigsten Theile desselben, von der leitenden Ansicht, dem vernünf¬
tigen Plane, welcher die Regierung hierbei geführt. Vielmehr folgen nun die
beim Beginne dieses Aufsatzes charakterisirten Abschnitte von der Ausbildung
des gesetzlich unvollkommenen und sich widersprechenden Strafproccsses durch
die Praxis der Untergeriehte und durch die Entscheidungen des Obertribunals.
Daran schließt sich der Hinweis darauf, wie nothwendig eine übereinstimmende
innere und äußere Gestaltung des öffentlichen, und so auch des Strafproceß-
rechtes für die östlichen und westlichen Theile der Monarchie, welche letztere
bisher französisches Strafproceßrecht unter nicht geringem Einflüsse der Rechts¬
sprüche des pariser Cassationshofes ausübten.

Noch mehr als hier indeß läßt der neue Entwurf die wichtige bisherige
Entwicklung des heutigen Strafprocesses dort außer Acht, wo er grade ausspricht,
in welchem Sinne er abgefaßt sei. Er will in keiner Hinsicht die jetzt leiten¬
den gemeinsamen Grundsätze des preußischen Strasprocesses in Frage stellen.
Denn die Aufsuchung und Durchführung neuer Principien würde nicht nur der
angestrebten Einheit der Gesetzgebung neue Hindernisse bereiten, sondern auch
alle die Gefahren in sich schließen, welche mit neuen, im Leben unerprobten
Einrichtungen naturgemäß verbunden sind. Vielmehr ist es Richtschnur des


kroß entgegenstehenden Gesetze wenigstens durch deren ausdrückliche Aufhebung
nehmen konnte? Oder war die Regierung der neuen Aera seit 1850 zu sicher,
als daß sie eine solche radicale Aufhebung der ihr widerwärtigen Gesetze noch
für nöthig gehalten hätte?

Von dieser für die Gestaltung des Strafprocesses äußerst wichtigen Umkehr
der Anschauungen bei den maßgebenden Behörden, von dieser dadurch erzeugten
Geschichte der Kompetenz der Schwurgerichte weih unser neuer Entwurf gar
nichts. Er sagt unmittelbar nach der zur Verordnung vom 3. Januar 1849
oben citirten Stelle, die Regierung habe nunmehr die Ausarbeitung einer voll¬
ständigen Strafproceßordnung für die ganze Monarchie begonnen, aber weder
diese im September 1850 beendeten und 1851 im Justizministcriaiblatte ver¬
öffentlichten Arbeiten, noch die Menge der über sie einlaufenden Gutachten der
Praktiker konnten zu einer definitiven Gestaltung benutzt werden. „Denn es
hatten sich inzwischen gegen die Herstellung einer vollständigen, den ganzen
Strafproceß umfassenden Strafproceßordnung Hindernisse (also wieder, wie
oben) erhoben, welche das Staatsministerium zu dem Beschlusse führten, von
der Vorlegung eines solchen Gesetzes zur Zeit abzusehen." So sei denn aus
der Verordnung vom 3. Januar 1849 unter Hinzufügung „der in der
Praxis nöthig gewordenen Aenderungen und Ergänzungen" das
Gesetz vom 3. Mai 1852 entsprungen.

Dann kein Wort von den eben quellenmäßig vorgeführten Eingriffen in
die Grundlagen des ganzen Strafprocesses, von den fundamentalen Aenderun¬
gen der wichtigsten Theile desselben, von der leitenden Ansicht, dem vernünf¬
tigen Plane, welcher die Regierung hierbei geführt. Vielmehr folgen nun die
beim Beginne dieses Aufsatzes charakterisirten Abschnitte von der Ausbildung
des gesetzlich unvollkommenen und sich widersprechenden Strafproccsses durch
die Praxis der Untergeriehte und durch die Entscheidungen des Obertribunals.
Daran schließt sich der Hinweis darauf, wie nothwendig eine übereinstimmende
innere und äußere Gestaltung des öffentlichen, und so auch des Strafproceß-
rechtes für die östlichen und westlichen Theile der Monarchie, welche letztere
bisher französisches Strafproceßrecht unter nicht geringem Einflüsse der Rechts¬
sprüche des pariser Cassationshofes ausübten.

Noch mehr als hier indeß läßt der neue Entwurf die wichtige bisherige
Entwicklung des heutigen Strafprocesses dort außer Acht, wo er grade ausspricht,
in welchem Sinne er abgefaßt sei. Er will in keiner Hinsicht die jetzt leiten¬
den gemeinsamen Grundsätze des preußischen Strasprocesses in Frage stellen.
Denn die Aufsuchung und Durchführung neuer Principien würde nicht nur der
angestrebten Einheit der Gesetzgebung neue Hindernisse bereiten, sondern auch
alle die Gefahren in sich schließen, welche mit neuen, im Leben unerprobten
Einrichtungen naturgemäß verbunden sind. Vielmehr ist es Richtschnur des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/33>, abgerufen am 17.06.2024.