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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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richtspraxis Preußens, Deutschlands und des Auslandes ist man nicht minder
hierüber in überwiegendster Majorität der Stimmen und Kapacitäten einig.
Das preußische Justizministerium hat sicher nicht an diese Kernfrage der Schwur-
gericbtscomvetcnz gedacht, als es in der Einleitung zu dem neuen Entwürfe
aussprach, gerade das Resultat der praktischen Erfahrungen sei in dem Entwürfe
zum Ausdrucke gelangt. Das preußische Justizministerium hat sicher nicht an
diese Kernfrage gedacht, als es hier behauptete, der neue Entwurf verarbeite,
vereinige die bisher vielfach sich entgegenstehenden preußischen Gesetze, die den
Strafproceß berühren.

Denn zwar Artikel 94 und 93 der Verfassungsurkunde sind in das Gegen¬
theil ihres früheren Inhaltes umgeformt; aber noch trägt der Artikel 7 das
Gepräge der Volkstagc von 1848, den echt constitutionellen Satz: "Niemand
darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden, Ausnahmegerichte und außer¬
ordentliche Commissionen sind unstatthaft." Will das jetzige Justizministerium
mit Wahrheit den Namen eines Ministeriums im constitutionellen Staate
tragen, so darf es keine Silbe dieses Arikel 7 antasten, so muß es vor allem
das Ausnahmegericht für Staatsverbrechen, das Gesetz vom 2S. April 1863
beseitigen und seine neuentworfene Strafproceßordnung in Einklang bringen
mit Artikel 7 der Verfassungsurkunde. Der K. 60 des Proceßgesetzes vom
3. Januar 1849 muß wieder Leben erhalten im Gesetze, wie er im Volke es
nie verlor, die politischen und Preßvergehen und Verbrechen muß er dem Schwur¬
gerichte wieder und nur diesem zuweisen, dann ist einer der Grundpfeiler der
wahrhaft constitutionellen Monarchie wieder aufgerichtet, und sicherer als heute
durch die im Volke fremde und feindliche Zuständigkeit des Kammergerichtes
ruht das constitutionelle Königthum in der Volksrechtspflege der Geschwornen.

Eine Phrase der gelehrten Criminalisten, eine Parole der liberalen Partei
nennen.es die Gegner. Ist das noch Phrase, was in deutschen und außer¬
deutschen Ländern den Beweis geschichtlicher Thatsachen von Jahren, Jahr¬
zehnten, Jahrhunderten führt? Ist das noch Parteiparole, was dort in den
erregtesten Zeiten, im Wechsel der verschiedensten Parteihcrrschaft gleichmäßig
der Ausdruck der wahren Rechtsüberzeugung im Volke war, den sichersten
Schutz der im Volke wurzelnden Königskrone gegen Staatsverbrechen gewährte!

Darum ist es Pflicht der Presse, nun der neue Entwurf des Strafprocesses
dem Volke vorgelegt wird, das unerquickliche Bild der Geschichte unseres
Schwurgerichtes aufzurollen, aus den Quellen zu beweisen, wie wir die
Fesseln unserer Volksgerichte gewannen, was unser Schwurgericht war, was es
sein müßte und was es zu werden, wie was es zu bleiben droht.

Darum ist es auch Pflicht der Criminalisten auf Hochschulen und in
Gerichtssälen, denen dieser Entwurf zur Prüfung vorgelegt ist, der Regierung
mit Gründen der Theorie und praktischer Erfahrung das Unhaltbare solcher


richtspraxis Preußens, Deutschlands und des Auslandes ist man nicht minder
hierüber in überwiegendster Majorität der Stimmen und Kapacitäten einig.
Das preußische Justizministerium hat sicher nicht an diese Kernfrage der Schwur-
gericbtscomvetcnz gedacht, als es in der Einleitung zu dem neuen Entwürfe
aussprach, gerade das Resultat der praktischen Erfahrungen sei in dem Entwürfe
zum Ausdrucke gelangt. Das preußische Justizministerium hat sicher nicht an
diese Kernfrage gedacht, als es hier behauptete, der neue Entwurf verarbeite,
vereinige die bisher vielfach sich entgegenstehenden preußischen Gesetze, die den
Strafproceß berühren.

Denn zwar Artikel 94 und 93 der Verfassungsurkunde sind in das Gegen¬
theil ihres früheren Inhaltes umgeformt; aber noch trägt der Artikel 7 das
Gepräge der Volkstagc von 1848, den echt constitutionellen Satz: „Niemand
darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden, Ausnahmegerichte und außer¬
ordentliche Commissionen sind unstatthaft." Will das jetzige Justizministerium
mit Wahrheit den Namen eines Ministeriums im constitutionellen Staate
tragen, so darf es keine Silbe dieses Arikel 7 antasten, so muß es vor allem
das Ausnahmegericht für Staatsverbrechen, das Gesetz vom 2S. April 1863
beseitigen und seine neuentworfene Strafproceßordnung in Einklang bringen
mit Artikel 7 der Verfassungsurkunde. Der K. 60 des Proceßgesetzes vom
3. Januar 1849 muß wieder Leben erhalten im Gesetze, wie er im Volke es
nie verlor, die politischen und Preßvergehen und Verbrechen muß er dem Schwur¬
gerichte wieder und nur diesem zuweisen, dann ist einer der Grundpfeiler der
wahrhaft constitutionellen Monarchie wieder aufgerichtet, und sicherer als heute
durch die im Volke fremde und feindliche Zuständigkeit des Kammergerichtes
ruht das constitutionelle Königthum in der Volksrechtspflege der Geschwornen.

Eine Phrase der gelehrten Criminalisten, eine Parole der liberalen Partei
nennen.es die Gegner. Ist das noch Phrase, was in deutschen und außer¬
deutschen Ländern den Beweis geschichtlicher Thatsachen von Jahren, Jahr¬
zehnten, Jahrhunderten führt? Ist das noch Parteiparole, was dort in den
erregtesten Zeiten, im Wechsel der verschiedensten Parteihcrrschaft gleichmäßig
der Ausdruck der wahren Rechtsüberzeugung im Volke war, den sichersten
Schutz der im Volke wurzelnden Königskrone gegen Staatsverbrechen gewährte!

Darum ist es Pflicht der Presse, nun der neue Entwurf des Strafprocesses
dem Volke vorgelegt wird, das unerquickliche Bild der Geschichte unseres
Schwurgerichtes aufzurollen, aus den Quellen zu beweisen, wie wir die
Fesseln unserer Volksgerichte gewannen, was unser Schwurgericht war, was es
sein müßte und was es zu werden, wie was es zu bleiben droht.

Darum ist es auch Pflicht der Criminalisten auf Hochschulen und in
Gerichtssälen, denen dieser Entwurf zur Prüfung vorgelegt ist, der Regierung
mit Gründen der Theorie und praktischer Erfahrung das Unhaltbare solcher


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/35>, abgerufen am 17.06.2024.