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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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ist in Preußen selbst der Wunsch erwacht, die Herzogthümer völlig dem preu¬
ßischen Staat einzuverleiben. Der preußische Junker, welcher um Neujahr 1864
die Idee einer Eroberung der Herzogthümer als demokratischen Schwindel ab¬
gewiesen hätte, ruft jetzt laut nach Annexion, der Liberale, welcher im December
1863 mit dem Herzog von Schleswig-Holstein zürnte, weil dieser ihm zu lange
säumte, das Erbe seiner Väter zu betreten, betrachtet jetzt dieselben Erbansprüche
als einen längst überwundenen Standpunkt. Auch außerhalb Preußen ist unter
de" Liberalen die Einigkeit geschwunden; zwischen denen, welche den Standpunkt
der liberalen Partei vom Standpunkt 1863 noch heut festhalten wollen und
zwischen denen, welche fordern-, daß die preußische Regierung die gegenwärtige
Lage rücksichtslos aufhenke, hat sich eine weite Kluft aufgethan, wir hören,
daß begeisterte Stimmen aus Süddeutschland völlige Einverleibung der Herzog¬
thümer in Preußen fordern und wir hören, daß eine süddeutsche Kammer ihre
Regierung auffordert, durch alle Mittel auch nur einen näheren Anschluß der
Herzogthümer an Preußen zu verhindern.

Während das deutsche Volk, welches jetzt wieder in die bescheidene Stel¬
lung eines zuschauenden u"d kritisirenden Publikums zurückgetreten ist, über die Zu¬
kunft der Herzogthümer polemifirt, ist es nicht uninteressant, nach den Stimmungen
in den Regierungskreiscn und an denjenigen Höfen Deutschlands umzuschaun,
welche wie das deutsche Volk gegenwärtig nur Zuschauer sind. Darf man aus
den Aeußerungen unserer regierenden Herren und ihrer Minister, wie sie etwa
dem Einzelnen zugängig werden, einen Schluß ziehen, so ergiebt sich für die
deutschen Höfe das auffallende Resultat, daß dort grade die Mehrzahl, welche nicht
im preußischen Interesse ist, zwar zunächst jedem Machtzuwachs Preußens ab¬
geneigt ist, wenn aber ein solcher unvermeidlich sein sollte, lieber die Annexion
als den Anschluß ertragen will. Man fürchtet dort vor allem einen Präccdenz-
fall. Was sich ausführbar in den Herzogthümern zeigt, mag bei erster Ge-
' legenden jedem Rachbar Preußens zugemuthet werden. Das eigene Volk kann,
sobald das preußische Wesen ein wenig populärer wird, einen solchen Anschluß
fordern, der dem angestammten Souverain doch die Landeshoheit und innere
Verwaltung läßt. Es ist unverträglich mit deutscher Fürstenwürde, zu solcher
Dependenz herabgedrückt zu werden. Incorporiren die Preußen Schleswig-Hol¬
stein als herrenloses Gebiet, so wird ein Staat, den man nicht liebt, zwar
vergrößert, aber auch mit neuen Verwickelungen bedroht, er bleibt zu den be¬
stehenden Bundesregierungen in dem alten Verhältniß, das alte Verhältniß
bleibt auch zwischen den Völkern, der Bayer und der Sachse werden einem
gemüthvollen heimischen Regiment voraussichtlich nicht die Zumuthung stellen,
daß man rund und ohne Vorbehalt preußisch werde, Bayern und Sachsen hat
nicht zu fürchten, daß im Norden el" Beispiel und eine ewige Mahnung eta-
blirt werde, wie man allmälig und ohne radicalen Umsturz einer preußischen


ist in Preußen selbst der Wunsch erwacht, die Herzogthümer völlig dem preu¬
ßischen Staat einzuverleiben. Der preußische Junker, welcher um Neujahr 1864
die Idee einer Eroberung der Herzogthümer als demokratischen Schwindel ab¬
gewiesen hätte, ruft jetzt laut nach Annexion, der Liberale, welcher im December
1863 mit dem Herzog von Schleswig-Holstein zürnte, weil dieser ihm zu lange
säumte, das Erbe seiner Väter zu betreten, betrachtet jetzt dieselben Erbansprüche
als einen längst überwundenen Standpunkt. Auch außerhalb Preußen ist unter
de» Liberalen die Einigkeit geschwunden; zwischen denen, welche den Standpunkt
der liberalen Partei vom Standpunkt 1863 noch heut festhalten wollen und
zwischen denen, welche fordern-, daß die preußische Regierung die gegenwärtige
Lage rücksichtslos aufhenke, hat sich eine weite Kluft aufgethan, wir hören,
daß begeisterte Stimmen aus Süddeutschland völlige Einverleibung der Herzog¬
thümer in Preußen fordern und wir hören, daß eine süddeutsche Kammer ihre
Regierung auffordert, durch alle Mittel auch nur einen näheren Anschluß der
Herzogthümer an Preußen zu verhindern.

Während das deutsche Volk, welches jetzt wieder in die bescheidene Stel¬
lung eines zuschauenden u»d kritisirenden Publikums zurückgetreten ist, über die Zu¬
kunft der Herzogthümer polemifirt, ist es nicht uninteressant, nach den Stimmungen
in den Regierungskreiscn und an denjenigen Höfen Deutschlands umzuschaun,
welche wie das deutsche Volk gegenwärtig nur Zuschauer sind. Darf man aus
den Aeußerungen unserer regierenden Herren und ihrer Minister, wie sie etwa
dem Einzelnen zugängig werden, einen Schluß ziehen, so ergiebt sich für die
deutschen Höfe das auffallende Resultat, daß dort grade die Mehrzahl, welche nicht
im preußischen Interesse ist, zwar zunächst jedem Machtzuwachs Preußens ab¬
geneigt ist, wenn aber ein solcher unvermeidlich sein sollte, lieber die Annexion
als den Anschluß ertragen will. Man fürchtet dort vor allem einen Präccdenz-
fall. Was sich ausführbar in den Herzogthümern zeigt, mag bei erster Ge-
' legenden jedem Rachbar Preußens zugemuthet werden. Das eigene Volk kann,
sobald das preußische Wesen ein wenig populärer wird, einen solchen Anschluß
fordern, der dem angestammten Souverain doch die Landeshoheit und innere
Verwaltung läßt. Es ist unverträglich mit deutscher Fürstenwürde, zu solcher
Dependenz herabgedrückt zu werden. Incorporiren die Preußen Schleswig-Hol¬
stein als herrenloses Gebiet, so wird ein Staat, den man nicht liebt, zwar
vergrößert, aber auch mit neuen Verwickelungen bedroht, er bleibt zu den be¬
stehenden Bundesregierungen in dem alten Verhältniß, das alte Verhältniß
bleibt auch zwischen den Völkern, der Bayer und der Sachse werden einem
gemüthvollen heimischen Regiment voraussichtlich nicht die Zumuthung stellen,
daß man rund und ohne Vorbehalt preußisch werde, Bayern und Sachsen hat
nicht zu fürchten, daß im Norden el» Beispiel und eine ewige Mahnung eta-
blirt werde, wie man allmälig und ohne radicalen Umsturz einer preußischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/40>, abgerufen am 17.06.2024.