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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Oberhoheit untergeordnet werde. So lebhaft ist diese Empfindung, daß man
wohl sagen darf, von unsern Regierenden wünschen die Wenigen, welche mit
Preußen zu gehen geneigt sind, den Anschluß der Herzogtümer durch feste Ver¬
träge, die Mehrzahl dagegen, wenn eine Machterweiterung Preußens unvermeid.
lich sein sollte, immer noch lieber die Annexion. Daß Oestreich dieselben Ge¬
sichtspunkte hat, ist bereits durch seine Presse verkündet.

Uns Liberalen hat solche Auffassung wenig Gewicht für oder gegen die
Einverleibung. Wenn zunächst Deutschland und Preußen und in zweiter Linie
die Herzogthümer selbst durch die Incorporation an Gedeihen und an Kraft zu¬
nehmen, so soll uns nicht kümmern, daß dadurch ein Präcedenzfall und ein
Muster für künftige Bundesvevhältnisse verloren wird, die Gelegenheit zu preu¬
ßischen Bündniß- und Anschlußverträgen wird auch in Zukunft nicht aus¬
bleiben. In diesem Sinne darf jedes Mitglied der preußischen Partei für die
Annexion sein.

Aber jeder Einzelne wird sich nach Charakter und zufälligen Beziehungen
des eigenen Lebens die Frage, ob Einverleibung, ob Anschluß, in diesem Augen¬
blicke anders beantworten. Er hält vielleicht die Incorporation der Herzog¬
thümer auf dem von Herrn v. Bismarck betretenen Wege für unausführbar, so
lange nicht in Preußen selbst zwischen der Regierung und dem Volk ein guter
Friede hergestellt ist. Er hält sie vielleicht auch dann für ein Wagniß, welches
die Kräfte der jetzt regierenden Persönlichkeiten übersteigt. Ein Anderer hält
den Werth der Einverleibung für so groß, daß er das rücksichtslose Vorgehen
und das kühnste Wagen für die Pflicht jedes preußischen Staatsmannes erachtet.
Dem Einen gilt die Mitbestimmung der Herzogthümer für unwesentlich, die An-
sprüche des Herzogs für ein Nichts, der Andere fühlt sich gebunden durch sein
eigenes Thun in den vergangenen Jahren zu Gunsten des Herzogs, er hat ihm
gehuldigt und ist zu gewissenhaft, um sich nach Jahresfrist von einem feierlichen
Versprechen zu lösen, oder er fühlt lebhaft, daß wir zuerst vor allem der Person
des Herzogs die Befreiung von Schleswig-Holstein von den Dänen verdanken
und hält es deshalb für undankbar, ihn jetzt kurzweg als gemeinschädlich zu be¬
seitigen. Der Eine steht unter dem Zwange früherer Worte und Thaten, der
Andere tritt neu und ungefesselt durch persönliche Verpflichtungen in den Kampf
ein. Sehr verschieden ist demnach in diesem Augenblick die Stellung auch der
preußischgesinnten Liberalen zu der Annexionsfrage, und obgleich die neue
Situation auf jeden ihre Wirkung übt, ist doch nicht zu hoffen, daß in der
liberalen Partei sich daraus in kurzem cinmüthiges Handeln entwickeln wird.
Und doch ist nothwendig, daß eine Grundlage gefunden werde, auf welcher sich
die verschiedenen Schattnungcn derselben patriotischen Partei zu gemeinsamem
Entschluß erheben könnten.

Denn immer stärker droht die Spannung der Gegensätze zu werden, wo


Oberhoheit untergeordnet werde. So lebhaft ist diese Empfindung, daß man
wohl sagen darf, von unsern Regierenden wünschen die Wenigen, welche mit
Preußen zu gehen geneigt sind, den Anschluß der Herzogtümer durch feste Ver¬
träge, die Mehrzahl dagegen, wenn eine Machterweiterung Preußens unvermeid.
lich sein sollte, immer noch lieber die Annexion. Daß Oestreich dieselben Ge¬
sichtspunkte hat, ist bereits durch seine Presse verkündet.

Uns Liberalen hat solche Auffassung wenig Gewicht für oder gegen die
Einverleibung. Wenn zunächst Deutschland und Preußen und in zweiter Linie
die Herzogthümer selbst durch die Incorporation an Gedeihen und an Kraft zu¬
nehmen, so soll uns nicht kümmern, daß dadurch ein Präcedenzfall und ein
Muster für künftige Bundesvevhältnisse verloren wird, die Gelegenheit zu preu¬
ßischen Bündniß- und Anschlußverträgen wird auch in Zukunft nicht aus¬
bleiben. In diesem Sinne darf jedes Mitglied der preußischen Partei für die
Annexion sein.

Aber jeder Einzelne wird sich nach Charakter und zufälligen Beziehungen
des eigenen Lebens die Frage, ob Einverleibung, ob Anschluß, in diesem Augen¬
blicke anders beantworten. Er hält vielleicht die Incorporation der Herzog¬
thümer auf dem von Herrn v. Bismarck betretenen Wege für unausführbar, so
lange nicht in Preußen selbst zwischen der Regierung und dem Volk ein guter
Friede hergestellt ist. Er hält sie vielleicht auch dann für ein Wagniß, welches
die Kräfte der jetzt regierenden Persönlichkeiten übersteigt. Ein Anderer hält
den Werth der Einverleibung für so groß, daß er das rücksichtslose Vorgehen
und das kühnste Wagen für die Pflicht jedes preußischen Staatsmannes erachtet.
Dem Einen gilt die Mitbestimmung der Herzogthümer für unwesentlich, die An-
sprüche des Herzogs für ein Nichts, der Andere fühlt sich gebunden durch sein
eigenes Thun in den vergangenen Jahren zu Gunsten des Herzogs, er hat ihm
gehuldigt und ist zu gewissenhaft, um sich nach Jahresfrist von einem feierlichen
Versprechen zu lösen, oder er fühlt lebhaft, daß wir zuerst vor allem der Person
des Herzogs die Befreiung von Schleswig-Holstein von den Dänen verdanken
und hält es deshalb für undankbar, ihn jetzt kurzweg als gemeinschädlich zu be¬
seitigen. Der Eine steht unter dem Zwange früherer Worte und Thaten, der
Andere tritt neu und ungefesselt durch persönliche Verpflichtungen in den Kampf
ein. Sehr verschieden ist demnach in diesem Augenblick die Stellung auch der
preußischgesinnten Liberalen zu der Annexionsfrage, und obgleich die neue
Situation auf jeden ihre Wirkung übt, ist doch nicht zu hoffen, daß in der
liberalen Partei sich daraus in kurzem cinmüthiges Handeln entwickeln wird.
Und doch ist nothwendig, daß eine Grundlage gefunden werde, auf welcher sich
die verschiedenen Schattnungcn derselben patriotischen Partei zu gemeinsamem
Entschluß erheben könnten.

Denn immer stärker droht die Spannung der Gegensätze zu werden, wo


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/41>, abgerufen am 17.06.2024.