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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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antikisirenden Behandlung ist in den Gestalten wie in der Gewandung keine
Spur mehr geblieben. In der Stellung den historischen Charakter des Dar¬
gestellten im Allgemeinen andeutend, ist die ganze äußere Erscheinung mit Uni¬
form und Waffen durchaus realistisch aufgefaßt und in kraftvoller Wahrheit
gegeben. Die Statuen Kants und Thaers sind in dem gleichen Sinne gebildet.
Jene ist eigentlich nur die von der Pvstamentwand abgelöste Hautreliesfigur
vom Friedrichsdenkmal ins Runde und Kolossale übertragen. Der plastischen
Kunst könnte kein widerstrebenderer Gestaltungsstvff geboten werden, als die
Persönlichkeit des königsberger Philosophen, gekrümmten, verwachsenen Leibes
und häßlichsten Gesichts. Rauch hat den künstlerischen Kampf mit einer
solchen Erscheinung nicht umgangen, ist vor dem Widerstrebenden nicht zurück¬
gescheut, und nur um so ruhmwürdiger ist der volle Sieg, den hier des Meisters
Geist über den Stoff errungen. Diese Statue modellirte er im vorletzten, die
Thaers im letzten Jahr seines Lebens. Die schließliche Vollendung beider
Monumente ist seinem Freunde und Schüler Hugo Hagen vorbehalten geblieben,
der sie treu im Sinne des Meister geleitet und durchgeführt hat.

Ebenfalls nur im Modell war es Rauch vergönnt, die kolossale Gruppe
des Moses (1854---6S) zu vollenden, die hier im Museum als gewaltiger Schluß,
stein in dem stolzen Bau dieses Künstlerlebens prangt. Friedrich Wilhelm der
Vierte hatte den Gegenstand angegeben und das Werk bestellt. In die hier
darzustellende Scene (2. Mos. Cap. 17 V. 10--13) liebte der König eine ihm
speciell am Herzen liegende Idee hineinzugehcimnissen oder aus ihr herauszu¬
lesen. Aaron und Hur, welche die Hände des Vvlkshauptes Moses stützen
müssen, damit er wirksam zum Herrn für die g.egen die Amalekiter kämpfenden
Schaaren Israels bete, galten ihm als die Vertreter des Priester- und des
Kriegerthums: "die Heiigen sind es und die Ritter ... Sie stützen würdig
unsern Thron." Was der König selbst grade damals mit gutem Erfolg prak-
ttsch ausgeführt hatte, diesen Lieblingsgedanken aller Herrscher von Gottes
Gnaden, wollte er durch Rauch in der angegebnen Mvsesgruppe künstlerisch
verkörpert sehn. Mag man damit rechten, wie man wolle, jedenfalls erwuchs
dem Vonvurf ein höchst bedeutendes Wert, daS großartigste idealen Stils,
welches dem Meister überhaupt gelang. Wer sich in seiner-Betrachtung nicht
von den leicht erweckten Erinnerungen an die übermenschliche Großheit, die
fremdartige Erhabenheit Michelangelos beirren läßt und die Schöpfung Rauchs
nicht mit fremdem Maßstab messen will, wird der strengen Schönheit, dem
heiligen Ernst, dem kühnen und weisen Ausbau der Gruppe, der energischen
Gestaltung. deS Ganzen wie des Einzelnen, der Arbeit des zur höchsten Reife
gelangten und noch von der Krafwerminderung des Greisenalters unberührten
Meisters die gerechte Bewunderung nicht versagen können. Nach Rauchs Tode
ist dre Gruppe von einem seiner Liebllngsschüler, Professor A. Wolfs, in Marmor


antikisirenden Behandlung ist in den Gestalten wie in der Gewandung keine
Spur mehr geblieben. In der Stellung den historischen Charakter des Dar¬
gestellten im Allgemeinen andeutend, ist die ganze äußere Erscheinung mit Uni¬
form und Waffen durchaus realistisch aufgefaßt und in kraftvoller Wahrheit
gegeben. Die Statuen Kants und Thaers sind in dem gleichen Sinne gebildet.
Jene ist eigentlich nur die von der Pvstamentwand abgelöste Hautreliesfigur
vom Friedrichsdenkmal ins Runde und Kolossale übertragen. Der plastischen
Kunst könnte kein widerstrebenderer Gestaltungsstvff geboten werden, als die
Persönlichkeit des königsberger Philosophen, gekrümmten, verwachsenen Leibes
und häßlichsten Gesichts. Rauch hat den künstlerischen Kampf mit einer
solchen Erscheinung nicht umgangen, ist vor dem Widerstrebenden nicht zurück¬
gescheut, und nur um so ruhmwürdiger ist der volle Sieg, den hier des Meisters
Geist über den Stoff errungen. Diese Statue modellirte er im vorletzten, die
Thaers im letzten Jahr seines Lebens. Die schließliche Vollendung beider
Monumente ist seinem Freunde und Schüler Hugo Hagen vorbehalten geblieben,
der sie treu im Sinne des Meister geleitet und durchgeführt hat.

Ebenfalls nur im Modell war es Rauch vergönnt, die kolossale Gruppe
des Moses (1854—-6S) zu vollenden, die hier im Museum als gewaltiger Schluß,
stein in dem stolzen Bau dieses Künstlerlebens prangt. Friedrich Wilhelm der
Vierte hatte den Gegenstand angegeben und das Werk bestellt. In die hier
darzustellende Scene (2. Mos. Cap. 17 V. 10—13) liebte der König eine ihm
speciell am Herzen liegende Idee hineinzugehcimnissen oder aus ihr herauszu¬
lesen. Aaron und Hur, welche die Hände des Vvlkshauptes Moses stützen
müssen, damit er wirksam zum Herrn für die g.egen die Amalekiter kämpfenden
Schaaren Israels bete, galten ihm als die Vertreter des Priester- und des
Kriegerthums: „die Heiigen sind es und die Ritter ... Sie stützen würdig
unsern Thron." Was der König selbst grade damals mit gutem Erfolg prak-
ttsch ausgeführt hatte, diesen Lieblingsgedanken aller Herrscher von Gottes
Gnaden, wollte er durch Rauch in der angegebnen Mvsesgruppe künstlerisch
verkörpert sehn. Mag man damit rechten, wie man wolle, jedenfalls erwuchs
dem Vonvurf ein höchst bedeutendes Wert, daS großartigste idealen Stils,
welches dem Meister überhaupt gelang. Wer sich in seiner-Betrachtung nicht
von den leicht erweckten Erinnerungen an die übermenschliche Großheit, die
fremdartige Erhabenheit Michelangelos beirren läßt und die Schöpfung Rauchs
nicht mit fremdem Maßstab messen will, wird der strengen Schönheit, dem
heiligen Ernst, dem kühnen und weisen Ausbau der Gruppe, der energischen
Gestaltung. deS Ganzen wie des Einzelnen, der Arbeit des zur höchsten Reife
gelangten und noch von der Krafwerminderung des Greisenalters unberührten
Meisters die gerechte Bewunderung nicht versagen können. Nach Rauchs Tode
ist dre Gruppe von einem seiner Liebllngsschüler, Professor A. Wolfs, in Marmor


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/24>, abgerufen am 18.06.2024.