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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Vertrauteren je nach seiner Stimmung oder auch nach dem Maße suffisanter
Prätension, mit dem sie ausgestattet ihre Fahrt in die papierne Welt antraten,
erheitern oder ärgern konnten. In den letzten Jahren erschien der Dichter in
dieser Art von Porträtirung gewöhnlich als ein gemüthlicher Hauspapa mit
stark ländlichem oder bäurischen Anstriche. Natürlich, der Fremde wußte vorher
von Friedrich Rückert eben nicht viel mehr als die Masse der sogenannten Ge¬
bildeten auch, nämlich daß er auf dem Lande in tiefster Zurückgezogenheit lebe,
daß er einen Garten :c. besitze und daß er hochbejahrt und von einer zahlreichen
Familie umgeben sei. Aus solchen Zeichnungen hat das deutsche Volk, das so
wenig Anschauung von den wahren Zügen eines seiner geistigen Häupter hatte,
freilich sich einen seltsamen Begriff zusammensetzen müssen. Der Dichter der
geharnischten Sonette und jene Ccmcatur der abgelebten Philiströsität, wie sie
noch vor Kurzem z. B. in einem "echt konservativen" Unterhaltungsblatte auf¬
getaucht ist, wollten doch selbst für unser nicht grade an organische Kritik ge¬
wöhntes Publikum nicht recht passen. Es war natürlich, daß die Freunde des Dich¬
ters in solchen Faseleien eine Beleidigung oder wenigstens eine Tactlosigkeit sahen,
die an wirkliche Böswilligkeit nahe herangeht; der Dichter selbst hat sich nie¬
mals viel darum gekümmert, wenn er überhaupt Notiz davon nahm, wovor
er in den meisten Fällen durch das Glück seiner Zurückgezogenheit von selbst
bewahrt blieb.

Diese Zurückgezogenheit ist ihm durchschnittlich von dem Publikum übel
genug genommen worden, denn es pflegt bekanntlich von dem Grundsatz aus¬
zugehen, daß es die erste Pflicht eines jeden sei, den es auch nur mit. einem
verschwindenden Bruchtheil seiner Aufmerksamkeit -- nicht etwa seiner Huld --
beglückt hat, ihm fortwährend zu Dienst gewärtig zu sein und den Wink seiner
Laune demüthigst zu erlauern. Wer dies versäumt, ist wenigstens ein Sonder¬
ling, der es sich selbst zuzuschreiben hat, wenn er vereinsamt. Es wäre freilich
noch erst zu untersuchen, welche Förderung irgendeiner von den Herren, deren
originale Geistesarbeit jetzt als Inventar der gesammten Welt gerechnet wird,
davon gehabt hat, wenn er sich in den Lärm und das Getümmel der Straße
ziehen ließ: für uns ist es genug zu wissen, daß dieser Dichter nicht anders als
einsam sein konnte, wenn man seine relative Abgeschlossenheit Einsamkeit nennen
will. Sie war für ihn auch keineswegs eine Sache der freien Wahl, sondern
der unmittelbare Jnstinct seines ganzen Wesens. Am meisten verfehlt ist die
häufig verbreitete Vorstellung, als sei er, gekränkt durch die Kälte des Publikums
gegen .seine Productionen oder einige davon, in den Schmollwinkel gegangen.
Er war das rechte Gegentheil eines eiteln, verbitterten Grcimiings, und wenn
er auch sich keineswegs optimistisch über seine Stellung zu der Welt täuschte,
so ließ er sich durch momentane oder auch länger dauernde Verstimmung der
andern gegen ihn niemals selbst verstimmen. Die belletristische Kritik hat ihm


Vertrauteren je nach seiner Stimmung oder auch nach dem Maße suffisanter
Prätension, mit dem sie ausgestattet ihre Fahrt in die papierne Welt antraten,
erheitern oder ärgern konnten. In den letzten Jahren erschien der Dichter in
dieser Art von Porträtirung gewöhnlich als ein gemüthlicher Hauspapa mit
stark ländlichem oder bäurischen Anstriche. Natürlich, der Fremde wußte vorher
von Friedrich Rückert eben nicht viel mehr als die Masse der sogenannten Ge¬
bildeten auch, nämlich daß er auf dem Lande in tiefster Zurückgezogenheit lebe,
daß er einen Garten :c. besitze und daß er hochbejahrt und von einer zahlreichen
Familie umgeben sei. Aus solchen Zeichnungen hat das deutsche Volk, das so
wenig Anschauung von den wahren Zügen eines seiner geistigen Häupter hatte,
freilich sich einen seltsamen Begriff zusammensetzen müssen. Der Dichter der
geharnischten Sonette und jene Ccmcatur der abgelebten Philiströsität, wie sie
noch vor Kurzem z. B. in einem „echt konservativen" Unterhaltungsblatte auf¬
getaucht ist, wollten doch selbst für unser nicht grade an organische Kritik ge¬
wöhntes Publikum nicht recht passen. Es war natürlich, daß die Freunde des Dich¬
ters in solchen Faseleien eine Beleidigung oder wenigstens eine Tactlosigkeit sahen,
die an wirkliche Böswilligkeit nahe herangeht; der Dichter selbst hat sich nie¬
mals viel darum gekümmert, wenn er überhaupt Notiz davon nahm, wovor
er in den meisten Fällen durch das Glück seiner Zurückgezogenheit von selbst
bewahrt blieb.

Diese Zurückgezogenheit ist ihm durchschnittlich von dem Publikum übel
genug genommen worden, denn es pflegt bekanntlich von dem Grundsatz aus¬
zugehen, daß es die erste Pflicht eines jeden sei, den es auch nur mit. einem
verschwindenden Bruchtheil seiner Aufmerksamkeit — nicht etwa seiner Huld —
beglückt hat, ihm fortwährend zu Dienst gewärtig zu sein und den Wink seiner
Laune demüthigst zu erlauern. Wer dies versäumt, ist wenigstens ein Sonder¬
ling, der es sich selbst zuzuschreiben hat, wenn er vereinsamt. Es wäre freilich
noch erst zu untersuchen, welche Förderung irgendeiner von den Herren, deren
originale Geistesarbeit jetzt als Inventar der gesammten Welt gerechnet wird,
davon gehabt hat, wenn er sich in den Lärm und das Getümmel der Straße
ziehen ließ: für uns ist es genug zu wissen, daß dieser Dichter nicht anders als
einsam sein konnte, wenn man seine relative Abgeschlossenheit Einsamkeit nennen
will. Sie war für ihn auch keineswegs eine Sache der freien Wahl, sondern
der unmittelbare Jnstinct seines ganzen Wesens. Am meisten verfehlt ist die
häufig verbreitete Vorstellung, als sei er, gekränkt durch die Kälte des Publikums
gegen .seine Productionen oder einige davon, in den Schmollwinkel gegangen.
Er war das rechte Gegentheil eines eiteln, verbitterten Grcimiings, und wenn
er auch sich keineswegs optimistisch über seine Stellung zu der Welt täuschte,
so ließ er sich durch momentane oder auch länger dauernde Verstimmung der
andern gegen ihn niemals selbst verstimmen. Die belletristische Kritik hat ihm


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/12>, abgerufen am 15.05.2024.