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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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oft mit Bitterkeit vorgeworfen, daß er sich so wenig um sie fümmere. Sie
scheint ihr Verhältniß, zu den Autoren ungefähr wie das des Lehrers zum
Schüler aufzufassen. Dieser soll sich noch für die "gnädige Strafe" bedanken,
aber nicht blos das: er soll auch fühlen, daß er gestraft worden ist und daß
er die Strafe verdient hat. Ein solcher Kritiker gerieth, wie wir uns noch
deutlich erinnern, wenigstens auf dem Papier ganz außer sich, als er erfahren
hatte, daß Friedrich Rückert derartige Recensionen gar niemals lese. Er vergaß
freilich hinzuzusetzen, daß derselbe überhaupt auch die Blätter, in denen sie
standen, gar nicht zu lesen Pflegte, nicht aus souveräner Verachtung, sondern
eigentlich weil sie in seinen abgeschlossenen Kreis nicht drangen. Hätte es
jener Kritiker gemacht wie mancher andere und dem Dichter seine Lection zu¬
geschickt, so würde sie dieser ohne Gemüthsbewegung angesehen, aber wahr¬
scheinlich aus demselben Grunde bald bei Seite gelegt haben, aus dem er der¬
artige Dinge grundsätzlich nicht beachtete. Das was ihn wirklich gefördert
hätte, konnte er nicht darin finden, und so war es bloßer Zeitverderb, sich damit
abzugeben. Was einmal fertig dastand, war für ihn auch in gewissem Sinne
abgethan. Was sollte es ihm helfen, wenn andere daran meisterten und ihn
belehrten, wie es so oder so hätte gemacht sein sollen? Seine nie rastende
Geistesthätigkeit strebte und sah immer nach vorwärts: wer ihm dabei hilfreich
sein konnte, war willkommen. Aber das war nur möglich, wenn man nicht,
wie es unbewußt die Art der gewöhnlichen Kritik zu sein pflegt, forderte, daß
der Dichter seine ihm eigene Natur und Originalität verläugnete und das vor¬
stellte, was die andern von ihm wollten, daß er sein sollte, nicht was er für
sich sein mußte. Daraus ergab sich von selbst, daß nur solche, die durch wahren
innern Anschluß einen wenn auch nur instinctiven Begriff von seinem ganzen
Wesen sich erworben hatten, ihm als befugte Kritiker, d. h. als liebe und ge¬
achtete Führer auf seinem weiteren Wege galten. Das Meiste dieser Art con
centrirte sich auf den unmittelbar lebendigen, den mündlichen Verkehr und ist
darum für immer von der Luft mit so viel anderem Schönsten und Besten,
Lehrreichsten und Interessantesten verweht worden, manches aber ist doch noch
auch in der Erinnerung Einzelner oder auf dem Papier erhalten und wird,
wenn es dereinst ans Licht tritt, zeigen, welche Ziele der Dichter sich selbst
gesetzt hat, und wie ihn die, die ihn am besten kannten, verstanden haben.

Nur einmal, gegen Ende seines Lebens, hat ihm nicht sowohl.die belle¬
tristische Kritik als die Presse überhaupt, so weit sie von ihm als Dichter Notiz
nahm, in eine wirkliche Verstimmung versetzt. Es war nach Uhlands Tod,
wo so viele den eben Heimgegangenen Meister nicht besser zu ehren glaubten,
als wenn sie einem noch lebenden Kunstgenossen einen mehr oder minder herben
Schlag ins Gesicht gäben. Allerlei wunderliche Vorurtheile und mythische Vor-
stellungen mögen dabei mit im Spiele gewesen sein, denn nur so erklärt es


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oft mit Bitterkeit vorgeworfen, daß er sich so wenig um sie fümmere. Sie
scheint ihr Verhältniß, zu den Autoren ungefähr wie das des Lehrers zum
Schüler aufzufassen. Dieser soll sich noch für die „gnädige Strafe" bedanken,
aber nicht blos das: er soll auch fühlen, daß er gestraft worden ist und daß
er die Strafe verdient hat. Ein solcher Kritiker gerieth, wie wir uns noch
deutlich erinnern, wenigstens auf dem Papier ganz außer sich, als er erfahren
hatte, daß Friedrich Rückert derartige Recensionen gar niemals lese. Er vergaß
freilich hinzuzusetzen, daß derselbe überhaupt auch die Blätter, in denen sie
standen, gar nicht zu lesen Pflegte, nicht aus souveräner Verachtung, sondern
eigentlich weil sie in seinen abgeschlossenen Kreis nicht drangen. Hätte es
jener Kritiker gemacht wie mancher andere und dem Dichter seine Lection zu¬
geschickt, so würde sie dieser ohne Gemüthsbewegung angesehen, aber wahr¬
scheinlich aus demselben Grunde bald bei Seite gelegt haben, aus dem er der¬
artige Dinge grundsätzlich nicht beachtete. Das was ihn wirklich gefördert
hätte, konnte er nicht darin finden, und so war es bloßer Zeitverderb, sich damit
abzugeben. Was einmal fertig dastand, war für ihn auch in gewissem Sinne
abgethan. Was sollte es ihm helfen, wenn andere daran meisterten und ihn
belehrten, wie es so oder so hätte gemacht sein sollen? Seine nie rastende
Geistesthätigkeit strebte und sah immer nach vorwärts: wer ihm dabei hilfreich
sein konnte, war willkommen. Aber das war nur möglich, wenn man nicht,
wie es unbewußt die Art der gewöhnlichen Kritik zu sein pflegt, forderte, daß
der Dichter seine ihm eigene Natur und Originalität verläugnete und das vor¬
stellte, was die andern von ihm wollten, daß er sein sollte, nicht was er für
sich sein mußte. Daraus ergab sich von selbst, daß nur solche, die durch wahren
innern Anschluß einen wenn auch nur instinctiven Begriff von seinem ganzen
Wesen sich erworben hatten, ihm als befugte Kritiker, d. h. als liebe und ge¬
achtete Führer auf seinem weiteren Wege galten. Das Meiste dieser Art con
centrirte sich auf den unmittelbar lebendigen, den mündlichen Verkehr und ist
darum für immer von der Luft mit so viel anderem Schönsten und Besten,
Lehrreichsten und Interessantesten verweht worden, manches aber ist doch noch
auch in der Erinnerung Einzelner oder auf dem Papier erhalten und wird,
wenn es dereinst ans Licht tritt, zeigen, welche Ziele der Dichter sich selbst
gesetzt hat, und wie ihn die, die ihn am besten kannten, verstanden haben.

Nur einmal, gegen Ende seines Lebens, hat ihm nicht sowohl.die belle¬
tristische Kritik als die Presse überhaupt, so weit sie von ihm als Dichter Notiz
nahm, in eine wirkliche Verstimmung versetzt. Es war nach Uhlands Tod,
wo so viele den eben Heimgegangenen Meister nicht besser zu ehren glaubten,
als wenn sie einem noch lebenden Kunstgenossen einen mehr oder minder herben
Schlag ins Gesicht gäben. Allerlei wunderliche Vorurtheile und mythische Vor-
stellungen mögen dabei mit im Spiele gewesen sein, denn nur so erklärt es


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/13>, abgerufen am 15.05.2024.