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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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sich, daß man grade diese beiden so oft und gleichsam wie mit innerer Noth¬
wendigkeit in Parallele stellte. Zuletzt war es aber doch nur, wenn man auf¬
richtig sein will und wir sehen keinen Grund es nicht zu sein, jener unschöne
Zug in unsrer Art, den Goethe als literarischen Sansculottismus brandmarken
aber nicht vertilgen konnte, der verbissene Aerger über eine Geistesgröße, die,
wie man sich sagen mußte, in unantastbarer Sicherheit über dem Tagesgetriebe
der Literatur oder auch anderer lärmender Interessen stand und niemand zu
Lieb und zu Leid in ihrem eigenen Kreise sich eine eigene Welt geschaffen hatte.
Aeußerlich war, wie schon erwähnt, allerlei Anhalt gegeben. Uhland und
Rückert hatten früher in persönlicher Beziehung zu einander gestanden, wie es
ja jeder aus den gedruckten Beweisen der beiderseitigen Lieder sehen konnte,
von späteren Berührungen wußte man nichts, man nahm also an. daß keine
existirt, oder daß jene frühere Verbindung sich gelöst hätte. Natürlich mußte
das motivirt werden und diese Motivirung war es, die dem lebenden Dichter
das Andenken an den befreundeten Todten hätte vergällen können, wenn dies
seinem Gemüthe möglich gewesen wäre. Uhland wurde als der Mann des
Volkes und darum auch Dichter des Volkes dem vornehm und eigensinnig von
seinem Volke abgekehrten Rückert gegenübergestellt, den dafür auch die gerechte
Strafe getroffen. Rückert hätte nichts dagegen gehabt, wenn man Uhlands
Popularität als Dichter seiner eigenen UnPopularität gegenübergestellt hätte,
War er sich doch darüber immer vollkommen klar, und gönnte er doch grade
jenem seine Erfolge, deren Berechtigung er ganz anders zu würdigen und zu
verstehen wußte, als die meisten jener Panegyriker. Aber daß er nun aus ein¬
mal so zu sagen zu einem Verräther an seinem Volke gestempelt werden sollte
war ihm doch schmerzlich. Er war sich bewußt, sein ganzes unendlich reiches
Leben im Dienste dieses Volkes verwandt zu haben, er war ruhig und an¬
spruchslos, aber klar und fest überzeugt, daß eine Zeit kommen werde, die seine
Geistesthaten verstehen und zum Nutzen und zur Förderung des deutschen Volkes
anders als die Gegenwart verwenden werde, aber davon abgesehen fühlte er,
sich zuerst und zumeist als Patrioten, als Sohn des deutschen Volkes, und hatte
geglaubt, daß niemand an dem Sänger der geharnischten Sonette zweifoln könne,
bis er jetzt am Ende des Lebens gedruckt lesen mußte, nicht blos daß er als
Dichter nichts werth sei -- darüber würde er gelacht haben.-- sondern daß
er mindestens für verdächtig in seiner Gesinnung geachtet werden müsse.

Doch sind diese Verstimmungen allmälig auch wieder überwunden worden,
obgleich es nicht zu lciugnen ist, daß sie etwas mehr als die eben dafür ge¬
brauchte Bezeichnung gewesen waren. Zur Verständigung sei noch hinzu¬
gesetzt, daß sich das Bild Uhlands in Rückerts Augen nicht getrübt hat, ob-
wohl es die freilich unschuldige Veranlassung zu allen diesen Widerlichkeiten
war. Im Gegentheil ging es ihm je später desto mehr in seinem wahren


sich, daß man grade diese beiden so oft und gleichsam wie mit innerer Noth¬
wendigkeit in Parallele stellte. Zuletzt war es aber doch nur, wenn man auf¬
richtig sein will und wir sehen keinen Grund es nicht zu sein, jener unschöne
Zug in unsrer Art, den Goethe als literarischen Sansculottismus brandmarken
aber nicht vertilgen konnte, der verbissene Aerger über eine Geistesgröße, die,
wie man sich sagen mußte, in unantastbarer Sicherheit über dem Tagesgetriebe
der Literatur oder auch anderer lärmender Interessen stand und niemand zu
Lieb und zu Leid in ihrem eigenen Kreise sich eine eigene Welt geschaffen hatte.
Aeußerlich war, wie schon erwähnt, allerlei Anhalt gegeben. Uhland und
Rückert hatten früher in persönlicher Beziehung zu einander gestanden, wie es
ja jeder aus den gedruckten Beweisen der beiderseitigen Lieder sehen konnte,
von späteren Berührungen wußte man nichts, man nahm also an. daß keine
existirt, oder daß jene frühere Verbindung sich gelöst hätte. Natürlich mußte
das motivirt werden und diese Motivirung war es, die dem lebenden Dichter
das Andenken an den befreundeten Todten hätte vergällen können, wenn dies
seinem Gemüthe möglich gewesen wäre. Uhland wurde als der Mann des
Volkes und darum auch Dichter des Volkes dem vornehm und eigensinnig von
seinem Volke abgekehrten Rückert gegenübergestellt, den dafür auch die gerechte
Strafe getroffen. Rückert hätte nichts dagegen gehabt, wenn man Uhlands
Popularität als Dichter seiner eigenen UnPopularität gegenübergestellt hätte,
War er sich doch darüber immer vollkommen klar, und gönnte er doch grade
jenem seine Erfolge, deren Berechtigung er ganz anders zu würdigen und zu
verstehen wußte, als die meisten jener Panegyriker. Aber daß er nun aus ein¬
mal so zu sagen zu einem Verräther an seinem Volke gestempelt werden sollte
war ihm doch schmerzlich. Er war sich bewußt, sein ganzes unendlich reiches
Leben im Dienste dieses Volkes verwandt zu haben, er war ruhig und an¬
spruchslos, aber klar und fest überzeugt, daß eine Zeit kommen werde, die seine
Geistesthaten verstehen und zum Nutzen und zur Förderung des deutschen Volkes
anders als die Gegenwart verwenden werde, aber davon abgesehen fühlte er,
sich zuerst und zumeist als Patrioten, als Sohn des deutschen Volkes, und hatte
geglaubt, daß niemand an dem Sänger der geharnischten Sonette zweifoln könne,
bis er jetzt am Ende des Lebens gedruckt lesen mußte, nicht blos daß er als
Dichter nichts werth sei — darüber würde er gelacht haben.— sondern daß
er mindestens für verdächtig in seiner Gesinnung geachtet werden müsse.

Doch sind diese Verstimmungen allmälig auch wieder überwunden worden,
obgleich es nicht zu lciugnen ist, daß sie etwas mehr als die eben dafür ge¬
brauchte Bezeichnung gewesen waren. Zur Verständigung sei noch hinzu¬
gesetzt, daß sich das Bild Uhlands in Rückerts Augen nicht getrübt hat, ob-
wohl es die freilich unschuldige Veranlassung zu allen diesen Widerlichkeiten
war. Im Gegentheil ging es ihm je später desto mehr in seinem wahren


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/14>, abgerufen am 15.05.2024.