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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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ein weißes getreues Abbild der Silhouette auf dem Papier erhielten, hatten
sie damit den ersten Schritt zur Photographie gethan. Als Niepce in Paris
um dieselbe Zeit daraus verfiel, die Camera obscura, die seit zwei Jahrhunderten
bekannte und nur als Spielwerk benutzte Erfindung Portas, zu verwenden,
um das auf ihrer Scheibe sichtbar werdende flache Bild der körperlichen Gegen¬
stände mittelst der chemischen Sonnenwirkung auf besonders präparirte Platten
auf diesen zu fixiren, that er den zweiten und wichtigeren. Es ist bekannt,
daß seine Mühen nicht von einem vollständigen Erfolg gekrönt wurden, daß er
nach zwanzig Jahren vergeblicher Arbeiten starb. Sein Theilnehmer an den¬
selben, Daguerre, war glücklicher als er und fand die rechte Art der Bildplatte
und die rechten Mittel, sie zur Bildaufnahme gefügig zu machen und das
gewonnene zu fixiren. Die Silberplatte der Einwirkung der Joddämpfe aus¬
gesetzt erhielt die zarteste Lichtempfindlichkeit; was die Sonne aus die so tractirte
gezeichnet hat, bringen Quecksilberdämpfe zum scharfen und klaren Heraustreten;
und schließlich sichert das Abwaschen des Jodsilbers durch das Lösungsmittel
des unterschwefligsauren Natrons dies Bild gegen weitere Veränderungen, welche
es durch das Licht erfahren könnte. So war das dem ganzen heutigen Ge¬
schlecht noch wohl bekannte "D aguerreotyp" gefunden und hergestellt, das
Wunder der ersten vierziger Jahre, das sich in kurzer Zeit die Welt eroberte..
In jedem Theil der Erde hatte man bald genug gelernt, das scharfe, präcise,
in Schatten und Licht fein abgetönte Bild jedes stillhaltenden Gegenstandes in
wenigen Minuten hervorzurufen. Daß dasselbe immer als Spiegelbild, d. h.
verkehrt, herauskommen mußte, daß der Glanz der Silberplatte das Auge des
Betrachters blendete, waren Mängel, welche man bei solchen Wunderwerken
gern mit in den Kauf nahm. Von den Aufnahmen der festen, ruhenden Objecte,
der Baulichkeiten, Monumente, Statuen, Landschaften bei stiller Luft ging man
bald genug zum Porträt über, und die Existenz manches kleinen Porträtzeichners
und -Malers, der bis dahin "wie die Prinzen, plünderte und beglückte Provinzen",
fühlte sich in ihren Grundvesten wanken. Mit Beleuchtung und Stellung
wurde dem menschlichen Antlitz, der menschlichen Gestalt zwar übel genug mit¬
gespielt; denn die speculativen Männer, welche zunächst die energische Ausbeutung
der großen Erfindung in die Hand nahmen, Chemiker, Optiker, Apotheker,
Buchbinder :c. waren bis dahin von künstlerischem Geschmack und künstlerischen
Anschauungen keineswegs heimgesucht worden und fühlten sich durch Rücksichten
auf derartige Anforderungen an ihr Werk durchaus nicht geleitet oder gehemmt.
Aber das Publikum unterwarf sich trotzdem willig und in Masse ihren Ope¬
rationen und protestirte sogar nicht dagegen, als diese Lichtkünstler ansingen
ihren Werken noch einen höhern lebendigem Reiz mittelst roth aufgesetzter
Bäckchen und Lippen, goldblanker Knöpfe, Schmuckketten. Tressen, Epauletts
u. tgi. zu verleihen, nein es acceptirte im Ganzen diese sinnreichen Ver-


ein weißes getreues Abbild der Silhouette auf dem Papier erhielten, hatten
sie damit den ersten Schritt zur Photographie gethan. Als Niepce in Paris
um dieselbe Zeit daraus verfiel, die Camera obscura, die seit zwei Jahrhunderten
bekannte und nur als Spielwerk benutzte Erfindung Portas, zu verwenden,
um das auf ihrer Scheibe sichtbar werdende flache Bild der körperlichen Gegen¬
stände mittelst der chemischen Sonnenwirkung auf besonders präparirte Platten
auf diesen zu fixiren, that er den zweiten und wichtigeren. Es ist bekannt,
daß seine Mühen nicht von einem vollständigen Erfolg gekrönt wurden, daß er
nach zwanzig Jahren vergeblicher Arbeiten starb. Sein Theilnehmer an den¬
selben, Daguerre, war glücklicher als er und fand die rechte Art der Bildplatte
und die rechten Mittel, sie zur Bildaufnahme gefügig zu machen und das
gewonnene zu fixiren. Die Silberplatte der Einwirkung der Joddämpfe aus¬
gesetzt erhielt die zarteste Lichtempfindlichkeit; was die Sonne aus die so tractirte
gezeichnet hat, bringen Quecksilberdämpfe zum scharfen und klaren Heraustreten;
und schließlich sichert das Abwaschen des Jodsilbers durch das Lösungsmittel
des unterschwefligsauren Natrons dies Bild gegen weitere Veränderungen, welche
es durch das Licht erfahren könnte. So war das dem ganzen heutigen Ge¬
schlecht noch wohl bekannte „D aguerreotyp" gefunden und hergestellt, das
Wunder der ersten vierziger Jahre, das sich in kurzer Zeit die Welt eroberte..
In jedem Theil der Erde hatte man bald genug gelernt, das scharfe, präcise,
in Schatten und Licht fein abgetönte Bild jedes stillhaltenden Gegenstandes in
wenigen Minuten hervorzurufen. Daß dasselbe immer als Spiegelbild, d. h.
verkehrt, herauskommen mußte, daß der Glanz der Silberplatte das Auge des
Betrachters blendete, waren Mängel, welche man bei solchen Wunderwerken
gern mit in den Kauf nahm. Von den Aufnahmen der festen, ruhenden Objecte,
der Baulichkeiten, Monumente, Statuen, Landschaften bei stiller Luft ging man
bald genug zum Porträt über, und die Existenz manches kleinen Porträtzeichners
und -Malers, der bis dahin „wie die Prinzen, plünderte und beglückte Provinzen",
fühlte sich in ihren Grundvesten wanken. Mit Beleuchtung und Stellung
wurde dem menschlichen Antlitz, der menschlichen Gestalt zwar übel genug mit¬
gespielt; denn die speculativen Männer, welche zunächst die energische Ausbeutung
der großen Erfindung in die Hand nahmen, Chemiker, Optiker, Apotheker,
Buchbinder :c. waren bis dahin von künstlerischem Geschmack und künstlerischen
Anschauungen keineswegs heimgesucht worden und fühlten sich durch Rücksichten
auf derartige Anforderungen an ihr Werk durchaus nicht geleitet oder gehemmt.
Aber das Publikum unterwarf sich trotzdem willig und in Masse ihren Ope¬
rationen und protestirte sogar nicht dagegen, als diese Lichtkünstler ansingen
ihren Werken noch einen höhern lebendigem Reiz mittelst roth aufgesetzter
Bäckchen und Lippen, goldblanker Knöpfe, Schmuckketten. Tressen, Epauletts
u. tgi. zu verleihen, nein es acceptirte im Ganzen diese sinnreichen Ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/180>, abgerufen am 15.05.2024.