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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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schaftliche. Sie bietet genug der Parthieen, bei welchen Zuthun und Hinweg¬
nehmen eigentlich von Ueberfluß wäre, wo es nur darauf ankommt, den glück¬
lichsten Moment der Tageszeit und Beleuchtung abzulauschen, um mit der
treusten Copirung den Anschein einer freien und poesievollen künstlerischen
Schöpfung in hohem Grade zu erreichen; um so mehr, da sich deS Landschaft¬
malers geistige Arbeit in dem, was er uns giebt, weit mehr hinter dem Schein
der schlichten Wiedergabe der Natur birgt, als die des Genre- oder Geschichts¬
malers. Wir haben Landschastsphotographien von den Engländern Vernon
Heath und Francis Bedford, den Franzosen Roussel und Davannes gesehen,
welche an wirklicher Bildschönheit, an intimen Neiz der Motive, an eigenthüm¬
licher und alle Anmuth der dargestellten Natur zur besten Geltung dringender
Beleuchtung zuweilen den landschaftlichen Kunstschöpfungen Wirket Fosters und
Wilhelm Riefstahls zu vergleichen waren.

Wo es sich um die bloße landschaftliche resp, architektonische Vedute bestimmter
Gegenden und Baulichkeiten handelt, herrscht natürlich die Photographie mit
Recht unbedingt und setzt den Stift und Pinsel des sie ehedem reproducirenden
Künstlers mehr und mehr außer Thätigkeit. Was sie hierfür und was sie für
das Bildniß geworden ist, liegt offen vor aller Augen. An beiderlei Aufgaben
erprobte auch Daguerres Erfindung zuerst ihre Kraft, beide haben auf allen
fernern Entwicklungsstufen derselben zu ihren eigentlichsten und wichtigsten Ge¬
bieten gehört.

Die Speculation aus die menschliche Eitelkeit ist jeder Zeit die ihres Er¬
folges sicherste gewesen, die Porträtmalerei nährte unter allen Kunstgattungen
immer ihren Mann am gewissesten. Wir sollten an der Porträtphotographie
dieselbe Erfahrung machen. Diese verhieß jener liebenswürdigen menschlichen
Schwäche noch eine ganz andre Befriedigung, als die Kunst sie gewähren konnte.
Die kurzen Sitzungen, für welche wenige Secunden nur genügten, die Billig¬
keit, die gewährte Möglichkeit, das Bild der eignen lieben Person in immer
neuen Stellungen, Trachten, Ansichten und Aufnahmen hergestellt zu sehn, alle
diese Vortheile schon für sich, mußten die Menschheit der Porträtphotographie
geneigt machen. Als nun aber aus einem pariser Gehirn der große Gedanke
der photographischen Visitenkarte entsprang, ergoß sich der Strom dieser Pro-
ductionsgattung fessellos in nie geahnter Breite und überfluthete die ganze be¬
wohnte Erde. Es wäre eine hübsche Ausgabe für die Statistiker, die Zahlen
nachzuweisen, zu welchen sich die Masse der jährlich in den verschiednen Theilen
der Welt erzeugten photographischen Visitenkarten erhebt! Das Kunstporträt
schien vor diesem ungeheuern Andrang bereits rettungslos erliegen zu müssen.
Der Bildniß zeichn er verzweifelte, und auch der sonst viel gesuchte Porträt¬
maler begann mit Schrecken die Zahl seiner Bestellungen mehr und mehr
schwinden zu sehn, Aber grade aus der ungeheuern Ausdehnung der Visiten-


schaftliche. Sie bietet genug der Parthieen, bei welchen Zuthun und Hinweg¬
nehmen eigentlich von Ueberfluß wäre, wo es nur darauf ankommt, den glück¬
lichsten Moment der Tageszeit und Beleuchtung abzulauschen, um mit der
treusten Copirung den Anschein einer freien und poesievollen künstlerischen
Schöpfung in hohem Grade zu erreichen; um so mehr, da sich deS Landschaft¬
malers geistige Arbeit in dem, was er uns giebt, weit mehr hinter dem Schein
der schlichten Wiedergabe der Natur birgt, als die des Genre- oder Geschichts¬
malers. Wir haben Landschastsphotographien von den Engländern Vernon
Heath und Francis Bedford, den Franzosen Roussel und Davannes gesehen,
welche an wirklicher Bildschönheit, an intimen Neiz der Motive, an eigenthüm¬
licher und alle Anmuth der dargestellten Natur zur besten Geltung dringender
Beleuchtung zuweilen den landschaftlichen Kunstschöpfungen Wirket Fosters und
Wilhelm Riefstahls zu vergleichen waren.

Wo es sich um die bloße landschaftliche resp, architektonische Vedute bestimmter
Gegenden und Baulichkeiten handelt, herrscht natürlich die Photographie mit
Recht unbedingt und setzt den Stift und Pinsel des sie ehedem reproducirenden
Künstlers mehr und mehr außer Thätigkeit. Was sie hierfür und was sie für
das Bildniß geworden ist, liegt offen vor aller Augen. An beiderlei Aufgaben
erprobte auch Daguerres Erfindung zuerst ihre Kraft, beide haben auf allen
fernern Entwicklungsstufen derselben zu ihren eigentlichsten und wichtigsten Ge¬
bieten gehört.

Die Speculation aus die menschliche Eitelkeit ist jeder Zeit die ihres Er¬
folges sicherste gewesen, die Porträtmalerei nährte unter allen Kunstgattungen
immer ihren Mann am gewissesten. Wir sollten an der Porträtphotographie
dieselbe Erfahrung machen. Diese verhieß jener liebenswürdigen menschlichen
Schwäche noch eine ganz andre Befriedigung, als die Kunst sie gewähren konnte.
Die kurzen Sitzungen, für welche wenige Secunden nur genügten, die Billig¬
keit, die gewährte Möglichkeit, das Bild der eignen lieben Person in immer
neuen Stellungen, Trachten, Ansichten und Aufnahmen hergestellt zu sehn, alle
diese Vortheile schon für sich, mußten die Menschheit der Porträtphotographie
geneigt machen. Als nun aber aus einem pariser Gehirn der große Gedanke
der photographischen Visitenkarte entsprang, ergoß sich der Strom dieser Pro-
ductionsgattung fessellos in nie geahnter Breite und überfluthete die ganze be¬
wohnte Erde. Es wäre eine hübsche Ausgabe für die Statistiker, die Zahlen
nachzuweisen, zu welchen sich die Masse der jährlich in den verschiednen Theilen
der Welt erzeugten photographischen Visitenkarten erhebt! Das Kunstporträt
schien vor diesem ungeheuern Andrang bereits rettungslos erliegen zu müssen.
Der Bildniß zeichn er verzweifelte, und auch der sonst viel gesuchte Porträt¬
maler begann mit Schrecken die Zahl seiner Bestellungen mehr und mehr
schwinden zu sehn, Aber grade aus der ungeheuern Ausdehnung der Visiten-


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[0186] schaftliche. Sie bietet genug der Parthieen, bei welchen Zuthun und Hinweg¬ nehmen eigentlich von Ueberfluß wäre, wo es nur darauf ankommt, den glück¬ lichsten Moment der Tageszeit und Beleuchtung abzulauschen, um mit der treusten Copirung den Anschein einer freien und poesievollen künstlerischen Schöpfung in hohem Grade zu erreichen; um so mehr, da sich deS Landschaft¬ malers geistige Arbeit in dem, was er uns giebt, weit mehr hinter dem Schein der schlichten Wiedergabe der Natur birgt, als die des Genre- oder Geschichts¬ malers. Wir haben Landschastsphotographien von den Engländern Vernon Heath und Francis Bedford, den Franzosen Roussel und Davannes gesehen, welche an wirklicher Bildschönheit, an intimen Neiz der Motive, an eigenthüm¬ licher und alle Anmuth der dargestellten Natur zur besten Geltung dringender Beleuchtung zuweilen den landschaftlichen Kunstschöpfungen Wirket Fosters und Wilhelm Riefstahls zu vergleichen waren. Wo es sich um die bloße landschaftliche resp, architektonische Vedute bestimmter Gegenden und Baulichkeiten handelt, herrscht natürlich die Photographie mit Recht unbedingt und setzt den Stift und Pinsel des sie ehedem reproducirenden Künstlers mehr und mehr außer Thätigkeit. Was sie hierfür und was sie für das Bildniß geworden ist, liegt offen vor aller Augen. An beiderlei Aufgaben erprobte auch Daguerres Erfindung zuerst ihre Kraft, beide haben auf allen fernern Entwicklungsstufen derselben zu ihren eigentlichsten und wichtigsten Ge¬ bieten gehört. Die Speculation aus die menschliche Eitelkeit ist jeder Zeit die ihres Er¬ folges sicherste gewesen, die Porträtmalerei nährte unter allen Kunstgattungen immer ihren Mann am gewissesten. Wir sollten an der Porträtphotographie dieselbe Erfahrung machen. Diese verhieß jener liebenswürdigen menschlichen Schwäche noch eine ganz andre Befriedigung, als die Kunst sie gewähren konnte. Die kurzen Sitzungen, für welche wenige Secunden nur genügten, die Billig¬ keit, die gewährte Möglichkeit, das Bild der eignen lieben Person in immer neuen Stellungen, Trachten, Ansichten und Aufnahmen hergestellt zu sehn, alle diese Vortheile schon für sich, mußten die Menschheit der Porträtphotographie geneigt machen. Als nun aber aus einem pariser Gehirn der große Gedanke der photographischen Visitenkarte entsprang, ergoß sich der Strom dieser Pro- ductionsgattung fessellos in nie geahnter Breite und überfluthete die ganze be¬ wohnte Erde. Es wäre eine hübsche Ausgabe für die Statistiker, die Zahlen nachzuweisen, zu welchen sich die Masse der jährlich in den verschiednen Theilen der Welt erzeugten photographischen Visitenkarten erhebt! Das Kunstporträt schien vor diesem ungeheuern Andrang bereits rettungslos erliegen zu müssen. Der Bildniß zeichn er verzweifelte, und auch der sonst viel gesuchte Porträt¬ maler begann mit Schrecken die Zahl seiner Bestellungen mehr und mehr schwinden zu sehn, Aber grade aus der ungeheuern Ausdehnung der Visiten-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/186>, abgerufen am 04.06.2024.