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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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kartenerzeugung keimte die Reaction zu Gunsten des künstlerischen Bildnisses,
die fabrikmäßige Massenproduction ließ die Producte so gewöhnlich werden, daß
der natürliche menschliche Wunsch nach "was Aparten für sich" bald mächtig
genug werden mußte. Zunächst suchte nun der speculative Photograph seinen
Porträts den ehedem von ihm gänzlich vernachlässigten künstlerischen Anstrich zu
geben. War er selbst ehemaliger Maler, so entsann er sich seiner alten Regeln
vom Standbein und Spielbein, von der Wendung des Kopfs zur Gestalt,
ordnete den Fall seiner unvermeidlichen Gardine, suchte seine Säule, seine Balu¬
strade, seine Tische und Stühle einigermaßen Stil- und geschmackvoll zu wählen
und zu stellen, seine Beleuchtung so zu arrangiren, daß sie die den Formen
des Modells günstigste würde. Oder war er nur, wie die Mehrzahl, der
schlichte Chemiker oder Apotheker, so associirte er sich mit einem Künstler, der
diesen "idealen" Theil der Aufgabe übernahm und damit auch die Besorgung
der spätern Retouchen der farblosen Bilder, wie besonders der colorirten in
Aquarell und -- Oel!

Die Forderungen des Publikums, nachdem einmal die erste kindliche Freude,
welche an dem hübschen Wunder des photographischen Porträts schon als solchem
Genüge fand, vorüber war, steigerten sich in dieser Richtung mit großer Schnellig¬
keit mehr und mehr. Um sie zu befriedigen, waren wie immer die Franzosen
allen voraus; ja ich glaube, daß die Besten dieser Anregung nicht erst bedurften.
Die künstlerische Luft von Paris, das allverbreitete künstlerische Genie dieser
Nation macht sich in der Thätigkeit ihrer gewöhnlichsten Handwerker noch geltend;
es konnte die der Photographen davon erst recht nicht unberührt bleiben.
Einige unter ihnen, vor allen Carjat und Reutlinger steigerten nach dieser
Seite hin die Leistungsfähigkeit der Lichtbildnerei zu einer bewundernswürdigen
Stufe. Der feinste künstlerische Sinn leitet sie bei der Wahl der Pose wie
der Beleuchtung; ein complicirtes System der Hervorbringung der letztern durch
Concentriren des Lichts aus gewisse Partien, durch Reflexe, durch Abdämpfung,
wo es nöthig, setzt sie in den Stand, den Köpfen und Gestalten eine malerische
Schönheit und Kraft der Wirkung, des Tons und der Modellirung zu geben,
daß wir von den Bildern derselben oft genug an Meisterwerke der größten
Heroen der Porträtmalerei, an Rembrandt und Velasquez erinnert werden.
Und das auch bei Bildern eines Maßstabs, an welchem bisher die Photographien
des menschlichen Antlitzes gemeinhin durch die Rohheit ihrer Wirkung und ihres
Aussehns aufrichtigen Schrecken einflößen mußten. Es ist theils durch das
Vorbild solcher Arbeiten, theils dadurch, daß sich hier wahrhaft künstlerisch
durchbildete Männer der Porträtphotographie gewidmet haben, neuerdings auch
bei uns Vortreffliches in ähnlicher Weise geleistet worden (in Berlin durch
Milster, und Löscher und Petsch). Man läßt die Fabrikarbeit für das gemeine
Porträtbedürfniß der Menge sorgen und müht sich ehrlich und mit bestem Erfolg,


Grenzboten II. 1866. 22

kartenerzeugung keimte die Reaction zu Gunsten des künstlerischen Bildnisses,
die fabrikmäßige Massenproduction ließ die Producte so gewöhnlich werden, daß
der natürliche menschliche Wunsch nach „was Aparten für sich" bald mächtig
genug werden mußte. Zunächst suchte nun der speculative Photograph seinen
Porträts den ehedem von ihm gänzlich vernachlässigten künstlerischen Anstrich zu
geben. War er selbst ehemaliger Maler, so entsann er sich seiner alten Regeln
vom Standbein und Spielbein, von der Wendung des Kopfs zur Gestalt,
ordnete den Fall seiner unvermeidlichen Gardine, suchte seine Säule, seine Balu¬
strade, seine Tische und Stühle einigermaßen Stil- und geschmackvoll zu wählen
und zu stellen, seine Beleuchtung so zu arrangiren, daß sie die den Formen
des Modells günstigste würde. Oder war er nur, wie die Mehrzahl, der
schlichte Chemiker oder Apotheker, so associirte er sich mit einem Künstler, der
diesen „idealen" Theil der Aufgabe übernahm und damit auch die Besorgung
der spätern Retouchen der farblosen Bilder, wie besonders der colorirten in
Aquarell und — Oel!

Die Forderungen des Publikums, nachdem einmal die erste kindliche Freude,
welche an dem hübschen Wunder des photographischen Porträts schon als solchem
Genüge fand, vorüber war, steigerten sich in dieser Richtung mit großer Schnellig¬
keit mehr und mehr. Um sie zu befriedigen, waren wie immer die Franzosen
allen voraus; ja ich glaube, daß die Besten dieser Anregung nicht erst bedurften.
Die künstlerische Luft von Paris, das allverbreitete künstlerische Genie dieser
Nation macht sich in der Thätigkeit ihrer gewöhnlichsten Handwerker noch geltend;
es konnte die der Photographen davon erst recht nicht unberührt bleiben.
Einige unter ihnen, vor allen Carjat und Reutlinger steigerten nach dieser
Seite hin die Leistungsfähigkeit der Lichtbildnerei zu einer bewundernswürdigen
Stufe. Der feinste künstlerische Sinn leitet sie bei der Wahl der Pose wie
der Beleuchtung; ein complicirtes System der Hervorbringung der letztern durch
Concentriren des Lichts aus gewisse Partien, durch Reflexe, durch Abdämpfung,
wo es nöthig, setzt sie in den Stand, den Köpfen und Gestalten eine malerische
Schönheit und Kraft der Wirkung, des Tons und der Modellirung zu geben,
daß wir von den Bildern derselben oft genug an Meisterwerke der größten
Heroen der Porträtmalerei, an Rembrandt und Velasquez erinnert werden.
Und das auch bei Bildern eines Maßstabs, an welchem bisher die Photographien
des menschlichen Antlitzes gemeinhin durch die Rohheit ihrer Wirkung und ihres
Aussehns aufrichtigen Schrecken einflößen mußten. Es ist theils durch das
Vorbild solcher Arbeiten, theils dadurch, daß sich hier wahrhaft künstlerisch
durchbildete Männer der Porträtphotographie gewidmet haben, neuerdings auch
bei uns Vortreffliches in ähnlicher Weise geleistet worden (in Berlin durch
Milster, und Löscher und Petsch). Man läßt die Fabrikarbeit für das gemeine
Porträtbedürfniß der Menge sorgen und müht sich ehrlich und mit bestem Erfolg,


Grenzboten II. 1866. 22
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/187>, abgerufen am 10.06.2024.