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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Versuche der früheren Winter, in ein lebhafteres Fahrwasser des Verkehrs ein¬
zulenken, definitiv auf. Er verlegte sogar seine Vorlesungen auf sein Arbeits¬
zimmer und betrat fortan die Universität gar nicht mehr. Doch Pflegte er nach
wie vor bei irgend leidlichem und ihm angemessenen Wetter seinen täglichen
Spaziergang in den Thiergarten zu machen, für den er eine, gewisse Vorliebe
gefaßt hatte. Sein Natursinn war ja von der echten und tiefen Art, die nicht
allein sogenannter schöner Gegenden zu vollem Genügen bedarf. Er verstand
und liebte die Natur auch da, wo sie in bescheidener Einfachheit auftrat, und
verlachte z. B. die gewöhnlichen Tiraden über die Abscheulichkeit der berliner
Gegend. Er fand sie nicht blos nicht so häßlich, wie sie auswärts, namentlich
in Süddeutschland gilt, sondern an einzelnen Punkten sogar anmuthig und
freundlich, z. B. bei Charlottenburg, Tegel, Stralow. Die zierlichen Hügel und
weiten Wasserspiegel von Potsdam, sowie die in ihrer Art einzigen Gärten
von Sanssouci entzückten ihn. Er Pflegte sich ihrer auch noch viele Jahre
später mit Enthusiasmus zu erinnern, wobei daran zu erinnern ist, daß er selbst
eine immer gleiche Zuneigung zu der edeln Kunst des Gartenbaus behalten hat,
die er in bescheidensten Maße in seinem eignen ländlichen Besitze zu Neuses
bethätigte. Aber ebenso gern wie nach dem Thiergarten lenkten sich auch seine
Schritte an sonnigen Wintermittagsstunden den Linden zu. Er wandelte dann,
eine selbst in Berlin einzige und von vielen angestaunte, aber nicht begriffene
Gestalt, langsam von dem brandenburger Thor bis zu dem Schlosse und wieder
zurück in seine Wohnung, die für mehre Winter, an der Ecke der Louisen-
straße und des Schiffbauerbammcs, dicht an der Marschallsbrücke, frei und luftig
lag. Er Pflegte oft zu äußern, wie ihm ein solcher Gang unter den Linden
am besten das einzig würdige Stück der ganzen deutschen Geschichte seit dem
dreißigjährigen Kriege, die Geschichte Preußens von Friedrich dem Großen bis
1815 vor die Augen führe und daß er ihn deshalb mache. Allerdings mochten
wenige der vielen Tausende von Mitspaziergängcrn unter den Linden solche
Betrachtungen zu ihrer Ergöhlichkcit angestellt haben. Es geht übrigens schon
daraus hervor, wie wenig er sich durch die Beschwerden, die er allenfalls über
Berlin zu führen hatte, an dem großen und bleibenden Werthe seiner Umgebung
irre machen ließ. -- Der gesellige Verkehr war schon dadurch an sich beschränkter ge¬
worden, daß Rückert in seinem Winterquartiere die einfachste Junggesellenwirthschaft
führte, so weit seine Gesundheit es verstattete. Doch sah er noch immer ab und zu
diesen und jenen der alten und neuen Freunde bei sich und folgte auch wohl, aber nur
in den Mittagsstunden, einer Einladung zu solchen. Allmälig gewöhnten sich diese
auch daran, den verehrten Mann in so eigenthümlicher, und wie sie nach ihrem
Gefühle glaubten, trauriger Einsamkeit leben zu wissen. Sie sahen, daß er sich
dabei verhältnißmäßig ganz wohl befand, und daß namentlich die Frische und
Freudigkeit seines Geistes nicht im mindesten dadurch beeinträchtigt wurde.


Versuche der früheren Winter, in ein lebhafteres Fahrwasser des Verkehrs ein¬
zulenken, definitiv auf. Er verlegte sogar seine Vorlesungen auf sein Arbeits¬
zimmer und betrat fortan die Universität gar nicht mehr. Doch Pflegte er nach
wie vor bei irgend leidlichem und ihm angemessenen Wetter seinen täglichen
Spaziergang in den Thiergarten zu machen, für den er eine, gewisse Vorliebe
gefaßt hatte. Sein Natursinn war ja von der echten und tiefen Art, die nicht
allein sogenannter schöner Gegenden zu vollem Genügen bedarf. Er verstand
und liebte die Natur auch da, wo sie in bescheidener Einfachheit auftrat, und
verlachte z. B. die gewöhnlichen Tiraden über die Abscheulichkeit der berliner
Gegend. Er fand sie nicht blos nicht so häßlich, wie sie auswärts, namentlich
in Süddeutschland gilt, sondern an einzelnen Punkten sogar anmuthig und
freundlich, z. B. bei Charlottenburg, Tegel, Stralow. Die zierlichen Hügel und
weiten Wasserspiegel von Potsdam, sowie die in ihrer Art einzigen Gärten
von Sanssouci entzückten ihn. Er Pflegte sich ihrer auch noch viele Jahre
später mit Enthusiasmus zu erinnern, wobei daran zu erinnern ist, daß er selbst
eine immer gleiche Zuneigung zu der edeln Kunst des Gartenbaus behalten hat,
die er in bescheidensten Maße in seinem eignen ländlichen Besitze zu Neuses
bethätigte. Aber ebenso gern wie nach dem Thiergarten lenkten sich auch seine
Schritte an sonnigen Wintermittagsstunden den Linden zu. Er wandelte dann,
eine selbst in Berlin einzige und von vielen angestaunte, aber nicht begriffene
Gestalt, langsam von dem brandenburger Thor bis zu dem Schlosse und wieder
zurück in seine Wohnung, die für mehre Winter, an der Ecke der Louisen-
straße und des Schiffbauerbammcs, dicht an der Marschallsbrücke, frei und luftig
lag. Er Pflegte oft zu äußern, wie ihm ein solcher Gang unter den Linden
am besten das einzig würdige Stück der ganzen deutschen Geschichte seit dem
dreißigjährigen Kriege, die Geschichte Preußens von Friedrich dem Großen bis
1815 vor die Augen führe und daß er ihn deshalb mache. Allerdings mochten
wenige der vielen Tausende von Mitspaziergängcrn unter den Linden solche
Betrachtungen zu ihrer Ergöhlichkcit angestellt haben. Es geht übrigens schon
daraus hervor, wie wenig er sich durch die Beschwerden, die er allenfalls über
Berlin zu führen hatte, an dem großen und bleibenden Werthe seiner Umgebung
irre machen ließ. — Der gesellige Verkehr war schon dadurch an sich beschränkter ge¬
worden, daß Rückert in seinem Winterquartiere die einfachste Junggesellenwirthschaft
führte, so weit seine Gesundheit es verstattete. Doch sah er noch immer ab und zu
diesen und jenen der alten und neuen Freunde bei sich und folgte auch wohl, aber nur
in den Mittagsstunden, einer Einladung zu solchen. Allmälig gewöhnten sich diese
auch daran, den verehrten Mann in so eigenthümlicher, und wie sie nach ihrem
Gefühle glaubten, trauriger Einsamkeit leben zu wissen. Sie sahen, daß er sich
dabei verhältnißmäßig ganz wohl befand, und daß namentlich die Frische und
Freudigkeit seines Geistes nicht im mindesten dadurch beeinträchtigt wurde.


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[0028] Versuche der früheren Winter, in ein lebhafteres Fahrwasser des Verkehrs ein¬ zulenken, definitiv auf. Er verlegte sogar seine Vorlesungen auf sein Arbeits¬ zimmer und betrat fortan die Universität gar nicht mehr. Doch Pflegte er nach wie vor bei irgend leidlichem und ihm angemessenen Wetter seinen täglichen Spaziergang in den Thiergarten zu machen, für den er eine, gewisse Vorliebe gefaßt hatte. Sein Natursinn war ja von der echten und tiefen Art, die nicht allein sogenannter schöner Gegenden zu vollem Genügen bedarf. Er verstand und liebte die Natur auch da, wo sie in bescheidener Einfachheit auftrat, und verlachte z. B. die gewöhnlichen Tiraden über die Abscheulichkeit der berliner Gegend. Er fand sie nicht blos nicht so häßlich, wie sie auswärts, namentlich in Süddeutschland gilt, sondern an einzelnen Punkten sogar anmuthig und freundlich, z. B. bei Charlottenburg, Tegel, Stralow. Die zierlichen Hügel und weiten Wasserspiegel von Potsdam, sowie die in ihrer Art einzigen Gärten von Sanssouci entzückten ihn. Er Pflegte sich ihrer auch noch viele Jahre später mit Enthusiasmus zu erinnern, wobei daran zu erinnern ist, daß er selbst eine immer gleiche Zuneigung zu der edeln Kunst des Gartenbaus behalten hat, die er in bescheidensten Maße in seinem eignen ländlichen Besitze zu Neuses bethätigte. Aber ebenso gern wie nach dem Thiergarten lenkten sich auch seine Schritte an sonnigen Wintermittagsstunden den Linden zu. Er wandelte dann, eine selbst in Berlin einzige und von vielen angestaunte, aber nicht begriffene Gestalt, langsam von dem brandenburger Thor bis zu dem Schlosse und wieder zurück in seine Wohnung, die für mehre Winter, an der Ecke der Louisen- straße und des Schiffbauerbammcs, dicht an der Marschallsbrücke, frei und luftig lag. Er Pflegte oft zu äußern, wie ihm ein solcher Gang unter den Linden am besten das einzig würdige Stück der ganzen deutschen Geschichte seit dem dreißigjährigen Kriege, die Geschichte Preußens von Friedrich dem Großen bis 1815 vor die Augen führe und daß er ihn deshalb mache. Allerdings mochten wenige der vielen Tausende von Mitspaziergängcrn unter den Linden solche Betrachtungen zu ihrer Ergöhlichkcit angestellt haben. Es geht übrigens schon daraus hervor, wie wenig er sich durch die Beschwerden, die er allenfalls über Berlin zu führen hatte, an dem großen und bleibenden Werthe seiner Umgebung irre machen ließ. — Der gesellige Verkehr war schon dadurch an sich beschränkter ge¬ worden, daß Rückert in seinem Winterquartiere die einfachste Junggesellenwirthschaft führte, so weit seine Gesundheit es verstattete. Doch sah er noch immer ab und zu diesen und jenen der alten und neuen Freunde bei sich und folgte auch wohl, aber nur in den Mittagsstunden, einer Einladung zu solchen. Allmälig gewöhnten sich diese auch daran, den verehrten Mann in so eigenthümlicher, und wie sie nach ihrem Gefühle glaubten, trauriger Einsamkeit leben zu wissen. Sie sahen, daß er sich dabei verhältnißmäßig ganz wohl befand, und daß namentlich die Frische und Freudigkeit seines Geistes nicht im mindesten dadurch beeinträchtigt wurde.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/28>, abgerufen am 15.05.2024.