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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Es war ein harter Entschluß, aber der Erfolg erprobte ihn als richtig.
Freilich wäre es viel einfacher gewesen, wenn er seine berliner Verpflichtungen
als lästig gewordene Fesseln ganz und auf einmal abgeschüttelt hätte. Dazu
aber schien ihm die Zeit noch nicht gekommen, auch wenn es möglich gewesen
wäre, die äußeren damit verbundenen Nachtheile einigermaßen zu übertragen.
Hing ja doch nicht blos seine eigene Subsistenz fast ausschließlich von seiner
Universitätsstellung ab. Auch hoffte er noch immer, daß er sich, wenn auch erst
nach Jahren in Berlin einleben würde. Dann konnte das, was einstweilen als
Basis seiner neuen Einrichtung galt, sofort wieder aufgegeben werden. Grade
aus der Periode des Hin- und Herschwankenö über diese für ihn so folgen¬
reiche Umgestaltung stammen jene vielbesprochenen kleinen "Berliner Gedichte",
eigentlich nur lose Tagebuchblätter in poetischer Form, wie sie ihm von jeher
zum Bedürfniß geworden waren. Aber die Berliner nahmen sie nicht so harm¬
los auf. wie sie gemeint waren. Jetzt, nach Ablauf von fast einem Vierteljahr-
Hundert, ist es wohl möglich, den dadurch erregten Sturm von seiner komischen
Seite zu betrachten, im Augenblick aber waren wenigstens die näherstehenden
Freunde nicht sowohl durch die Sache selbst, als durch die Aufnahme, die sie
fand, doch einigermaßen betroffen, um nicht zu sagen erschrocken. Die Redens¬
art "sich unmöglich machen" war damals noch nicht in den täglichen Cours
gesetzt, aber der Inhalt ihrer Befürchtungen war, daß sich der Dichter in Berlin
unmöglich gemacht habe, und die Scharfsinnigeren untersuchten nur noch, ob er
es vorsätzlich oder unvorsätzlich gethan, und wenn das Erste, was er eigentlich
damit beabsichtigt. Der Dichter selbst erfuhr wenig von der Entrüstung seiner
berliner Mitbürger; er befand sich grade in seiner Sommerheimath, als der
Sturm am ärgsten tobte) bei seiner Rückkehr im Herbste, wo er sich ganz von
selbst in tiefste Zurückgezogenheit einspann, war die Sache wenn auch nicht ver¬
gessen, so doch hinter andern neuern Aufregungen zurückgetreten. Doch ist nicht
zu läugnen, daß ihm sein Angriff auf das Selbstbewußtsein der Berliner nie¬
mals von diesen vergeben worden ist. Es ist ja bekannt, daß sie selbst ihre
Stadt und ihre Landsleute keineswegs glimpflich wenigstens mit Worten zu
behandeln Pflegen, aber von einem Fremden wollen sie so etwas nicht hören.
Hier schien noch ein qualificirter Undank die Schuld des Frevlers zu erschweren;
denn es verstand sich, und nicht blos für den echten Berliner, doch von selbst,
daß nicht Berlin einem Friedrich Rückert zu Dank verpflichtet war, weil er sich
hatte bewegen lassen, dorthin zu kommen, sondern umgekehrt.

Es folgte nun eine Reihe einsamer Winter in Berlin und frohbewcgtcr
Sommer in Neuscs. Die Berliner stellten sich indessen die Clausur, in der
Rückert mitten in ihrer Stadt lebte, viel strenger und namentlich viel trauriger
vor. als sie war. Allerdings richtete er sich nunmehr ausschließlich nach seinen
eignen Bedürfnissen des leiblichen und geistigen Wohlseins und gab alle jene
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Grenzboten U. 1866. 3

Es war ein harter Entschluß, aber der Erfolg erprobte ihn als richtig.
Freilich wäre es viel einfacher gewesen, wenn er seine berliner Verpflichtungen
als lästig gewordene Fesseln ganz und auf einmal abgeschüttelt hätte. Dazu
aber schien ihm die Zeit noch nicht gekommen, auch wenn es möglich gewesen
wäre, die äußeren damit verbundenen Nachtheile einigermaßen zu übertragen.
Hing ja doch nicht blos seine eigene Subsistenz fast ausschließlich von seiner
Universitätsstellung ab. Auch hoffte er noch immer, daß er sich, wenn auch erst
nach Jahren in Berlin einleben würde. Dann konnte das, was einstweilen als
Basis seiner neuen Einrichtung galt, sofort wieder aufgegeben werden. Grade
aus der Periode des Hin- und Herschwankenö über diese für ihn so folgen¬
reiche Umgestaltung stammen jene vielbesprochenen kleinen „Berliner Gedichte",
eigentlich nur lose Tagebuchblätter in poetischer Form, wie sie ihm von jeher
zum Bedürfniß geworden waren. Aber die Berliner nahmen sie nicht so harm¬
los auf. wie sie gemeint waren. Jetzt, nach Ablauf von fast einem Vierteljahr-
Hundert, ist es wohl möglich, den dadurch erregten Sturm von seiner komischen
Seite zu betrachten, im Augenblick aber waren wenigstens die näherstehenden
Freunde nicht sowohl durch die Sache selbst, als durch die Aufnahme, die sie
fand, doch einigermaßen betroffen, um nicht zu sagen erschrocken. Die Redens¬
art „sich unmöglich machen" war damals noch nicht in den täglichen Cours
gesetzt, aber der Inhalt ihrer Befürchtungen war, daß sich der Dichter in Berlin
unmöglich gemacht habe, und die Scharfsinnigeren untersuchten nur noch, ob er
es vorsätzlich oder unvorsätzlich gethan, und wenn das Erste, was er eigentlich
damit beabsichtigt. Der Dichter selbst erfuhr wenig von der Entrüstung seiner
berliner Mitbürger; er befand sich grade in seiner Sommerheimath, als der
Sturm am ärgsten tobte) bei seiner Rückkehr im Herbste, wo er sich ganz von
selbst in tiefste Zurückgezogenheit einspann, war die Sache wenn auch nicht ver¬
gessen, so doch hinter andern neuern Aufregungen zurückgetreten. Doch ist nicht
zu läugnen, daß ihm sein Angriff auf das Selbstbewußtsein der Berliner nie¬
mals von diesen vergeben worden ist. Es ist ja bekannt, daß sie selbst ihre
Stadt und ihre Landsleute keineswegs glimpflich wenigstens mit Worten zu
behandeln Pflegen, aber von einem Fremden wollen sie so etwas nicht hören.
Hier schien noch ein qualificirter Undank die Schuld des Frevlers zu erschweren;
denn es verstand sich, und nicht blos für den echten Berliner, doch von selbst,
daß nicht Berlin einem Friedrich Rückert zu Dank verpflichtet war, weil er sich
hatte bewegen lassen, dorthin zu kommen, sondern umgekehrt.

Es folgte nun eine Reihe einsamer Winter in Berlin und frohbewcgtcr
Sommer in Neuscs. Die Berliner stellten sich indessen die Clausur, in der
Rückert mitten in ihrer Stadt lebte, viel strenger und namentlich viel trauriger
vor. als sie war. Allerdings richtete er sich nunmehr ausschließlich nach seinen
eignen Bedürfnissen des leiblichen und geistigen Wohlseins und gab alle jene
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Grenzboten U. 1866. 3
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[0027] Es war ein harter Entschluß, aber der Erfolg erprobte ihn als richtig. Freilich wäre es viel einfacher gewesen, wenn er seine berliner Verpflichtungen als lästig gewordene Fesseln ganz und auf einmal abgeschüttelt hätte. Dazu aber schien ihm die Zeit noch nicht gekommen, auch wenn es möglich gewesen wäre, die äußeren damit verbundenen Nachtheile einigermaßen zu übertragen. Hing ja doch nicht blos seine eigene Subsistenz fast ausschließlich von seiner Universitätsstellung ab. Auch hoffte er noch immer, daß er sich, wenn auch erst nach Jahren in Berlin einleben würde. Dann konnte das, was einstweilen als Basis seiner neuen Einrichtung galt, sofort wieder aufgegeben werden. Grade aus der Periode des Hin- und Herschwankenö über diese für ihn so folgen¬ reiche Umgestaltung stammen jene vielbesprochenen kleinen „Berliner Gedichte", eigentlich nur lose Tagebuchblätter in poetischer Form, wie sie ihm von jeher zum Bedürfniß geworden waren. Aber die Berliner nahmen sie nicht so harm¬ los auf. wie sie gemeint waren. Jetzt, nach Ablauf von fast einem Vierteljahr- Hundert, ist es wohl möglich, den dadurch erregten Sturm von seiner komischen Seite zu betrachten, im Augenblick aber waren wenigstens die näherstehenden Freunde nicht sowohl durch die Sache selbst, als durch die Aufnahme, die sie fand, doch einigermaßen betroffen, um nicht zu sagen erschrocken. Die Redens¬ art „sich unmöglich machen" war damals noch nicht in den täglichen Cours gesetzt, aber der Inhalt ihrer Befürchtungen war, daß sich der Dichter in Berlin unmöglich gemacht habe, und die Scharfsinnigeren untersuchten nur noch, ob er es vorsätzlich oder unvorsätzlich gethan, und wenn das Erste, was er eigentlich damit beabsichtigt. Der Dichter selbst erfuhr wenig von der Entrüstung seiner berliner Mitbürger; er befand sich grade in seiner Sommerheimath, als der Sturm am ärgsten tobte) bei seiner Rückkehr im Herbste, wo er sich ganz von selbst in tiefste Zurückgezogenheit einspann, war die Sache wenn auch nicht ver¬ gessen, so doch hinter andern neuern Aufregungen zurückgetreten. Doch ist nicht zu läugnen, daß ihm sein Angriff auf das Selbstbewußtsein der Berliner nie¬ mals von diesen vergeben worden ist. Es ist ja bekannt, daß sie selbst ihre Stadt und ihre Landsleute keineswegs glimpflich wenigstens mit Worten zu behandeln Pflegen, aber von einem Fremden wollen sie so etwas nicht hören. Hier schien noch ein qualificirter Undank die Schuld des Frevlers zu erschweren; denn es verstand sich, und nicht blos für den echten Berliner, doch von selbst, daß nicht Berlin einem Friedrich Rückert zu Dank verpflichtet war, weil er sich hatte bewegen lassen, dorthin zu kommen, sondern umgekehrt. Es folgte nun eine Reihe einsamer Winter in Berlin und frohbewcgtcr Sommer in Neuscs. Die Berliner stellten sich indessen die Clausur, in der Rückert mitten in ihrer Stadt lebte, viel strenger und namentlich viel trauriger vor. als sie war. Allerdings richtete er sich nunmehr ausschließlich nach seinen eignen Bedürfnissen des leiblichen und geistigen Wohlseins und gab alle jene ' Grenzboten U. 1866. 3

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/27>, abgerufen am 16.05.2024.