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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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den Mitteln, er ging nach Wien, nach Petersburg, Stockholm und endlich nach
London, um alle kräftigen Elemente für den Plan zu gewinnen, den er für den
allein richtigen hielt, nämlich den Krieg in Deutschland zu führen. England
sollte ihm die Mittel gewähren, daß Gneisenau selbst an der Spitze einer Lan¬
dungstruppe, an die sich Schweden, Russen und endlich die aufständischen Ele¬
mente Deutschlands anschließen sollten, die entscheidenden Schläge führen könnte.
Er fühlte in sich die Kraft und den Willen, den großen Feldherrn zu besiegen,
der über die Mittel von halb Europa gebot. Die kampfgeübten Heere, die
kriegsgewohnten Generale, der stets siegreiche Feldherr schreckten Gneisenau
nicht zurück, weil er die Kraft erkannt hatte, die den Sieg zu sichern versprach,
den Volkskrieg. Napoleon war nach Gneisenaus Ueberzeugung nur durch die
Schwäche der Fürsten zum Beherrscher der Welt geworden, er mußte unterliegen,
sobald die Völker den Krieg gegen ihn führten. Die erfolgreichen Kämpfe der
Spanier -- deren Bedeutung in Deutschland vielleicht zu hoch angeschlagen wurde--
dienten seiner Ansicht zum Beleg und machten ihm lockend, in Deutschland
gleiche Widerstandskraft zu entwickeln. Von Innen heraus war es bisher
nicht gelungen, er wollte es jetzt von Außen versuchen. Was er auf seiner
Reise erreicht und wie er in London zum Ziele zu gelangen hofft, giebt eine
Denkschrift an, welche er der englischen Negierung bald nach Beginn des russischen
Krieges 1812 einreichte, und die hier im Auszug folgen soll:

"Der Krieg zwischen Rußland und Frankreich hat begonnen. Die Frage,
ob das Festland unter die Füße eines heuchlerischen Usurpators getreten wer¬
den, oder ob dessen Stern sich endlich verdunkeln soll, wird für immer entschie¬
den werden. Siege der Erbe der Revolution, so ist das Todesurtheil jeder
Bildung, jeder freisinnigen Idee unterzeichnet. Selbst die Siege in Spanien
sind dann verloren. Es ist deshalb wichtig, diesen letzten Kampf der Sache
der Unabhängigkeit günstig zu wenden. Wenn man die Mittel zum Wider¬
stande reiflich erwägt, so findet man, daß sie erstaunlich sind. 100 Millionen
Menschen seufzen unter der eisernen Ruthe eines glücklichen Verbrechers. So¬
bald das Glück seine Fahne verließe, würde der Abfall unter seine sogenannten
Verbündeten kommen. Die Kühnheit, die erstaunlichste Kühnheit ist die einzige
Grundlage seiner Usurpation und dieser Kühnheit stand gegenüber die jammer¬
vollste und schändlichste Schwäche. Vereinzelter und kurzer Widerstand diente
nur dazu, die Triumphe des kaiserlichen Jacobinismus, den Knechtsinn der Ka¬
binett und den Schrecken der durch ihre Loyalität selbst geketteten Völker zu
vermehren."

"Der Krieg ist entzündet, sein Ausgang ist keineswegs zweifelhaft, falls
dieser Monarch ihn mit Nachdruck und Ausdauer verfolgt. -- Ich wage die
Behauptung, daß das russische Reich allein alle Anstrengungen der französischen
Heere vereiteln könnte, wenn ein großer Charakter an der Spitze stände. Aber


den Mitteln, er ging nach Wien, nach Petersburg, Stockholm und endlich nach
London, um alle kräftigen Elemente für den Plan zu gewinnen, den er für den
allein richtigen hielt, nämlich den Krieg in Deutschland zu führen. England
sollte ihm die Mittel gewähren, daß Gneisenau selbst an der Spitze einer Lan¬
dungstruppe, an die sich Schweden, Russen und endlich die aufständischen Ele¬
mente Deutschlands anschließen sollten, die entscheidenden Schläge führen könnte.
Er fühlte in sich die Kraft und den Willen, den großen Feldherrn zu besiegen,
der über die Mittel von halb Europa gebot. Die kampfgeübten Heere, die
kriegsgewohnten Generale, der stets siegreiche Feldherr schreckten Gneisenau
nicht zurück, weil er die Kraft erkannt hatte, die den Sieg zu sichern versprach,
den Volkskrieg. Napoleon war nach Gneisenaus Ueberzeugung nur durch die
Schwäche der Fürsten zum Beherrscher der Welt geworden, er mußte unterliegen,
sobald die Völker den Krieg gegen ihn führten. Die erfolgreichen Kämpfe der
Spanier — deren Bedeutung in Deutschland vielleicht zu hoch angeschlagen wurde—
dienten seiner Ansicht zum Beleg und machten ihm lockend, in Deutschland
gleiche Widerstandskraft zu entwickeln. Von Innen heraus war es bisher
nicht gelungen, er wollte es jetzt von Außen versuchen. Was er auf seiner
Reise erreicht und wie er in London zum Ziele zu gelangen hofft, giebt eine
Denkschrift an, welche er der englischen Negierung bald nach Beginn des russischen
Krieges 1812 einreichte, und die hier im Auszug folgen soll:

„Der Krieg zwischen Rußland und Frankreich hat begonnen. Die Frage,
ob das Festland unter die Füße eines heuchlerischen Usurpators getreten wer¬
den, oder ob dessen Stern sich endlich verdunkeln soll, wird für immer entschie¬
den werden. Siege der Erbe der Revolution, so ist das Todesurtheil jeder
Bildung, jeder freisinnigen Idee unterzeichnet. Selbst die Siege in Spanien
sind dann verloren. Es ist deshalb wichtig, diesen letzten Kampf der Sache
der Unabhängigkeit günstig zu wenden. Wenn man die Mittel zum Wider¬
stande reiflich erwägt, so findet man, daß sie erstaunlich sind. 100 Millionen
Menschen seufzen unter der eisernen Ruthe eines glücklichen Verbrechers. So¬
bald das Glück seine Fahne verließe, würde der Abfall unter seine sogenannten
Verbündeten kommen. Die Kühnheit, die erstaunlichste Kühnheit ist die einzige
Grundlage seiner Usurpation und dieser Kühnheit stand gegenüber die jammer¬
vollste und schändlichste Schwäche. Vereinzelter und kurzer Widerstand diente
nur dazu, die Triumphe des kaiserlichen Jacobinismus, den Knechtsinn der Ka¬
binett und den Schrecken der durch ihre Loyalität selbst geketteten Völker zu
vermehren."

„Der Krieg ist entzündet, sein Ausgang ist keineswegs zweifelhaft, falls
dieser Monarch ihn mit Nachdruck und Ausdauer verfolgt. — Ich wage die
Behauptung, daß das russische Reich allein alle Anstrengungen der französischen
Heere vereiteln könnte, wenn ein großer Charakter an der Spitze stände. Aber


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/288>, abgerufen am 16.05.2024.