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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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macht war so bedeutend, daß Napoleon von Anfang an den Angriff umfassend
dirigirte und zwar gegen den rechten Flügel der Alliirten, hinter welchem ein
offenes Terrain deren nächsten Weg nach der Rückzugsstraße bot. -- Trotzdem
und trotz Gneisenaus persönlichem und dringendem Hinweis auf diese Schwäche
hatte die russische Heerführung den linken Flügel für den gefährdeten gehalten
und dort die Hauptkräfte concentrirt. Den äußersten rechten Flügel hatte der
russische General Barclay mit nur 10,000 Mann, welche sehr rasch dem feind¬
lichen Andrang nachgaben. Dann folgten die Preußen unter Blücher auf
den kreckwitzer Höhen. Wenn diese nicht kräftiger widerstanden, ging die Rück¬
zugslinie verloren und die Armee war in vollster Auflösung.

Diese Gefahr voll erkennend bestand Gneisenau hier auf einem Kampf auf
Leben und Tod, selbst gegen dreifache, die Preußen vorn und auf beiden Seiten
umfassende Ueberzahl und gewann dadurch den gesicherten Rückzug des Ganzen.
Wir wollen zum vollen Erkennen der tapfern Ausdauer Gneisenaus und dessen
hohen Muthes, den er dabei entwickelte, die Worte Müfflings. seines größten
Gegners, hier anführen, dies möge gleichzeitig dazu dienen, den letztem zu cha-
rcckterisiren. -- Müffling war zu Barclay gesandt gewesen,, hatte dessen Rückzug
nicht hindern können, kommt wieder zurück und erzählt:

"Blücher hielt mit Gneisenau da, wo das Kanonenfeuer am wirksamsten
war, und übersah ruhig, was wir nicht hindern konnten, daß wir allmälig um¬
ringt wurden. Niemand war darüber in Zweifel, daß, wenn wir stehen blieben,
wir uns bis zum letzten Mann vertheidigen oder das Gewehr strecken mußten,
wenn der Feind uns nicht angriff, da ein Durchschlagen nicht möglich war.
Blücher und Gneisenau konnten, nach der Art, wie sie sich ausgesprochen hatten,
einen Rückzug nicht anordnen, sie konnten höchstens darein willigen. Als Ney
nach langem Zaudern endlich anfing die Höhen zu ersteigen, zog ich meine Uhr
aus der Tasche und sagte dem General Blücher, neben welchem Gneisenau
hielt: "Wir haben noch eine Viertelstunde Zeit, innerhalb welcher es möglich ist,
daß wir uns aus der Schlinge ziehen. Später sind wir umringt. Benutzen
wir diese Zeit nicht, so werden die Poltrons sich ergeben und die Tapfern
fechtend sterben, aber leider ohne den geringsten Nutzen für das Vaterland."

"Tiefes Schweigen. Gneisenau kämpfte einen schweren Kampf. Endlich
nahm er das Wort: der Oberst Müffling hat Recht, und bei den jetzigen ver¬
änderten Umständen wird alles Blutvergießen nicht allein überflüssig, sondern
die Erhaltung der Kräfte für eine bessere Gelegenheit eine Pflicht. Blücher
willigte in den Rückzug, und wir entkamen noch so eben."

"Uevrigens muß man jetzt, wo alle Motive des Handelns bei den Fran¬
zosen bekannt sind, anerkennen, daß die falschen Maßregeln auf den Höhen von
Kreckwitz uns im höchsten Grade begünstigt haben." Müffling schildert uns
hier, wie auf die Minute das Heil der Armee von ihm abhing, will aber nicht


macht war so bedeutend, daß Napoleon von Anfang an den Angriff umfassend
dirigirte und zwar gegen den rechten Flügel der Alliirten, hinter welchem ein
offenes Terrain deren nächsten Weg nach der Rückzugsstraße bot. — Trotzdem
und trotz Gneisenaus persönlichem und dringendem Hinweis auf diese Schwäche
hatte die russische Heerführung den linken Flügel für den gefährdeten gehalten
und dort die Hauptkräfte concentrirt. Den äußersten rechten Flügel hatte der
russische General Barclay mit nur 10,000 Mann, welche sehr rasch dem feind¬
lichen Andrang nachgaben. Dann folgten die Preußen unter Blücher auf
den kreckwitzer Höhen. Wenn diese nicht kräftiger widerstanden, ging die Rück¬
zugslinie verloren und die Armee war in vollster Auflösung.

Diese Gefahr voll erkennend bestand Gneisenau hier auf einem Kampf auf
Leben und Tod, selbst gegen dreifache, die Preußen vorn und auf beiden Seiten
umfassende Ueberzahl und gewann dadurch den gesicherten Rückzug des Ganzen.
Wir wollen zum vollen Erkennen der tapfern Ausdauer Gneisenaus und dessen
hohen Muthes, den er dabei entwickelte, die Worte Müfflings. seines größten
Gegners, hier anführen, dies möge gleichzeitig dazu dienen, den letztem zu cha-
rcckterisiren. — Müffling war zu Barclay gesandt gewesen,, hatte dessen Rückzug
nicht hindern können, kommt wieder zurück und erzählt:

„Blücher hielt mit Gneisenau da, wo das Kanonenfeuer am wirksamsten
war, und übersah ruhig, was wir nicht hindern konnten, daß wir allmälig um¬
ringt wurden. Niemand war darüber in Zweifel, daß, wenn wir stehen blieben,
wir uns bis zum letzten Mann vertheidigen oder das Gewehr strecken mußten,
wenn der Feind uns nicht angriff, da ein Durchschlagen nicht möglich war.
Blücher und Gneisenau konnten, nach der Art, wie sie sich ausgesprochen hatten,
einen Rückzug nicht anordnen, sie konnten höchstens darein willigen. Als Ney
nach langem Zaudern endlich anfing die Höhen zu ersteigen, zog ich meine Uhr
aus der Tasche und sagte dem General Blücher, neben welchem Gneisenau
hielt: „Wir haben noch eine Viertelstunde Zeit, innerhalb welcher es möglich ist,
daß wir uns aus der Schlinge ziehen. Später sind wir umringt. Benutzen
wir diese Zeit nicht, so werden die Poltrons sich ergeben und die Tapfern
fechtend sterben, aber leider ohne den geringsten Nutzen für das Vaterland."

„Tiefes Schweigen. Gneisenau kämpfte einen schweren Kampf. Endlich
nahm er das Wort: der Oberst Müffling hat Recht, und bei den jetzigen ver¬
änderten Umständen wird alles Blutvergießen nicht allein überflüssig, sondern
die Erhaltung der Kräfte für eine bessere Gelegenheit eine Pflicht. Blücher
willigte in den Rückzug, und wir entkamen noch so eben."

„Uevrigens muß man jetzt, wo alle Motive des Handelns bei den Fran¬
zosen bekannt sind, anerkennen, daß die falschen Maßregeln auf den Höhen von
Kreckwitz uns im höchsten Grade begünstigt haben." Müffling schildert uns
hier, wie auf die Minute das Heil der Armee von ihm abhing, will aber nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/298>, abgerufen am 29.05.2024.