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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Verschweigen, daß auch die Ausdauer Gneisenaus von einigem Nutzen war. In
diesem Sinne ist das ganze Buch von Müffling geschrieben. Blücher berichtete
dagegen nach der Schlacht an den König: "General von Gneisenau hat auch
bei dieser Gelegenheit wieder den richtigen Blick, das gesunde Urtheil und die
seltene Fassung gezeigt, welche ihn zu einem ausgezeichneten General machen."

Gneisenau schrieb am andern Morgen früh an den Staatskanzler: "Die
Armee ist zusammen und auf neue Ereignisse gefaßt." "Überdies gebe ich Ehre
und Kopf zum Pfand, daß wir, sobald wir Beharrlichkeit genug haben, doch
unsern großen Zweck erreichen werden." Dabei verweist Gneisenau wieder auf
die Lager und die Verproviantirung der Festungen.

Napoleon hatte gesiegt, aber mit eigenen großen Verlusten und ohne
Trophäen; auf dem folgenden Rückzug fand er immer geordnete Truppen und
am 26. Mai bei Haynau gab ihm die blüchersche Cavallerie durch einen Ueber¬
fall, der ihm eine Division zersprengte, die Lehre, daß er den Gegner nicht
überwunden habe. Die Franzosen hatten in diesem Feldzug bereits 50 Ge¬
schütze verloren, aber noch keine gewonnen. Napoleon empfand eine Kraft und
einen Geist bei seinem Gegner, die ihn vorsichtig machten, und die es ihm
wünschenswerth erscheinen ließen, neue Verstärkungen heranzuziehen, ehe er den
Krieg fortsetzte. -- Der Sieger beantragte also einen Waffenstillstand bei dem
Gegner, der am 4. Juni angenommen und aus 7 Wochen ausgedehnt wurde.
-- Da Napoleon den Waffenstillstand wünschte, lag er naturgemäß nicht im
Interesse der Alliirten. Gneisenau wies ihn auch als nachtheilig zurück, schrieb
darüber nach allen Richtungen und reichte dem Könige ein Memoire ein.
Worin er ihn als schädlich in militärischer, finanzieller, politischer und Psycho¬
logischer Hinsicht bezeichnet, weil

1) die preußische Armee in vortrefflicher Verfassung ist und im Begriff
steht, die Verstärkungen an Landwehr u. s. w. heranzuziehen, auch die Russen
Verstärkungen erhielten und die französische Armee dagegen sich im Zustande
der Auflösung befindet;

2) weil wir durch das Uebergewicht an Zahl und Güte der Cavallerie trotz
der Niederlagen das Terrain beherrschen;

3) weil unsere Finanzen schnelles Handeln fordern;

4) weil wir durch kräftiges Handeln eher Oestreich gewinnen als durch
Stillstand; und

6) weil wir durch Ruhe die hochaufschlagenden Wellen des Patriotismus
niederschlagen.

Aber das Drängen Gneisenaus hals nichts, weil die Russen sich nach Ruhe
sehnten, widrigenfalls sie über die Oder und nach Polen zurückgehen wollten.
Gneisenau meinte zwar, man solle sie ziehen lassen und mit den preußischen
Truppen die Festungen am schlesischen Gebirge besetzen, Napoleon müsse doch


Verschweigen, daß auch die Ausdauer Gneisenaus von einigem Nutzen war. In
diesem Sinne ist das ganze Buch von Müffling geschrieben. Blücher berichtete
dagegen nach der Schlacht an den König: „General von Gneisenau hat auch
bei dieser Gelegenheit wieder den richtigen Blick, das gesunde Urtheil und die
seltene Fassung gezeigt, welche ihn zu einem ausgezeichneten General machen."

Gneisenau schrieb am andern Morgen früh an den Staatskanzler: „Die
Armee ist zusammen und auf neue Ereignisse gefaßt." „Überdies gebe ich Ehre
und Kopf zum Pfand, daß wir, sobald wir Beharrlichkeit genug haben, doch
unsern großen Zweck erreichen werden." Dabei verweist Gneisenau wieder auf
die Lager und die Verproviantirung der Festungen.

Napoleon hatte gesiegt, aber mit eigenen großen Verlusten und ohne
Trophäen; auf dem folgenden Rückzug fand er immer geordnete Truppen und
am 26. Mai bei Haynau gab ihm die blüchersche Cavallerie durch einen Ueber¬
fall, der ihm eine Division zersprengte, die Lehre, daß er den Gegner nicht
überwunden habe. Die Franzosen hatten in diesem Feldzug bereits 50 Ge¬
schütze verloren, aber noch keine gewonnen. Napoleon empfand eine Kraft und
einen Geist bei seinem Gegner, die ihn vorsichtig machten, und die es ihm
wünschenswerth erscheinen ließen, neue Verstärkungen heranzuziehen, ehe er den
Krieg fortsetzte. — Der Sieger beantragte also einen Waffenstillstand bei dem
Gegner, der am 4. Juni angenommen und aus 7 Wochen ausgedehnt wurde.
— Da Napoleon den Waffenstillstand wünschte, lag er naturgemäß nicht im
Interesse der Alliirten. Gneisenau wies ihn auch als nachtheilig zurück, schrieb
darüber nach allen Richtungen und reichte dem Könige ein Memoire ein.
Worin er ihn als schädlich in militärischer, finanzieller, politischer und Psycho¬
logischer Hinsicht bezeichnet, weil

1) die preußische Armee in vortrefflicher Verfassung ist und im Begriff
steht, die Verstärkungen an Landwehr u. s. w. heranzuziehen, auch die Russen
Verstärkungen erhielten und die französische Armee dagegen sich im Zustande
der Auflösung befindet;

2) weil wir durch das Uebergewicht an Zahl und Güte der Cavallerie trotz
der Niederlagen das Terrain beherrschen;

3) weil unsere Finanzen schnelles Handeln fordern;

4) weil wir durch kräftiges Handeln eher Oestreich gewinnen als durch
Stillstand; und

6) weil wir durch Ruhe die hochaufschlagenden Wellen des Patriotismus
niederschlagen.

Aber das Drängen Gneisenaus hals nichts, weil die Russen sich nach Ruhe
sehnten, widrigenfalls sie über die Oder und nach Polen zurückgehen wollten.
Gneisenau meinte zwar, man solle sie ziehen lassen und mit den preußischen
Truppen die Festungen am schlesischen Gebirge besetzen, Napoleon müsse doch


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[0299] Verschweigen, daß auch die Ausdauer Gneisenaus von einigem Nutzen war. In diesem Sinne ist das ganze Buch von Müffling geschrieben. Blücher berichtete dagegen nach der Schlacht an den König: „General von Gneisenau hat auch bei dieser Gelegenheit wieder den richtigen Blick, das gesunde Urtheil und die seltene Fassung gezeigt, welche ihn zu einem ausgezeichneten General machen." Gneisenau schrieb am andern Morgen früh an den Staatskanzler: „Die Armee ist zusammen und auf neue Ereignisse gefaßt." „Überdies gebe ich Ehre und Kopf zum Pfand, daß wir, sobald wir Beharrlichkeit genug haben, doch unsern großen Zweck erreichen werden." Dabei verweist Gneisenau wieder auf die Lager und die Verproviantirung der Festungen. Napoleon hatte gesiegt, aber mit eigenen großen Verlusten und ohne Trophäen; auf dem folgenden Rückzug fand er immer geordnete Truppen und am 26. Mai bei Haynau gab ihm die blüchersche Cavallerie durch einen Ueber¬ fall, der ihm eine Division zersprengte, die Lehre, daß er den Gegner nicht überwunden habe. Die Franzosen hatten in diesem Feldzug bereits 50 Ge¬ schütze verloren, aber noch keine gewonnen. Napoleon empfand eine Kraft und einen Geist bei seinem Gegner, die ihn vorsichtig machten, und die es ihm wünschenswerth erscheinen ließen, neue Verstärkungen heranzuziehen, ehe er den Krieg fortsetzte. — Der Sieger beantragte also einen Waffenstillstand bei dem Gegner, der am 4. Juni angenommen und aus 7 Wochen ausgedehnt wurde. — Da Napoleon den Waffenstillstand wünschte, lag er naturgemäß nicht im Interesse der Alliirten. Gneisenau wies ihn auch als nachtheilig zurück, schrieb darüber nach allen Richtungen und reichte dem Könige ein Memoire ein. Worin er ihn als schädlich in militärischer, finanzieller, politischer und Psycho¬ logischer Hinsicht bezeichnet, weil 1) die preußische Armee in vortrefflicher Verfassung ist und im Begriff steht, die Verstärkungen an Landwehr u. s. w. heranzuziehen, auch die Russen Verstärkungen erhielten und die französische Armee dagegen sich im Zustande der Auflösung befindet; 2) weil wir durch das Uebergewicht an Zahl und Güte der Cavallerie trotz der Niederlagen das Terrain beherrschen; 3) weil unsere Finanzen schnelles Handeln fordern; 4) weil wir durch kräftiges Handeln eher Oestreich gewinnen als durch Stillstand; und 6) weil wir durch Ruhe die hochaufschlagenden Wellen des Patriotismus niederschlagen. Aber das Drängen Gneisenaus hals nichts, weil die Russen sich nach Ruhe sehnten, widrigenfalls sie über die Oder und nach Polen zurückgehen wollten. Gneisenau meinte zwar, man solle sie ziehen lassen und mit den preußischen Truppen die Festungen am schlesischen Gebirge besetzen, Napoleon müsse doch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/299>, abgerufen am 15.05.2024.