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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Tribüne des böhmischen Landtages: "daß es bei den Slaven noch Heller Tag
sein würde, wenn bei den Deutschen die Sonne schon untergegangen wäre",
ferner "daß die tschechische Literatur in den letzten zwanzig Jahren mehr ge¬
leistet habe als die deutsche". Was brauchen wir mehr zu wissen? Was kann
die Selbstüberhebung besser charakterisiren?

Trotz der bedeutenden Anstrengungen, die zur Hebung der tschechischen
Literatur gemacht wurden, durch Gründung von literarischen Vereinen und
wahre Sündfluthen von Uebersetzungen, ist man doch bis zum heutigen Tage
zu keinem ergiebigen Resultate gelangt. Freilich erscheinen in Prag jetzt gegen
vierzig tschechische Zeitungen und Journale, doch mit dem Büchermarkt ist es
ärmlich bestellt, da viele Schriftsteller noch vorziehen ihre Werke in deutscher
Sprache bekannt zu machen, statt sie in tschechischer zu vergraben. Die Freuden
eines tschechischen Verlegers sind gering, darüber giebt grade jetzt ein Circular
des nationalen Buchhändlers Kober in Prag (der Mann ist ein deutscher Re¬
negat) seltsamen Aufschluß. "Seit drei Jahren," sagt derselbe, "habe ich
Dr. Gabriels französisch-tschechisches Wörterbuch angekauft und zögere bis heute
mit der etwa 4000 Gulden in Anspruch nehmenden Herausgabe, gewitzigt durch
die namhaften Verluste, die ich bei kostspieligen, von Autoritäten der Literatur
aufs eifrigste angeregten tschechischen Verlagsuntcrnehmungen bisher erlitten.
So haben sich zu einer Prachtausgabe des classischen Don Quixote nur 350
Abnehmer anstatt der nothwendigen nicht allzu großen Anzahl von 900 gefunden;
Wojatscheks lateinisch-deutsch-tschechisches Lexikon, um dessen Herausgabe der
Verleger von allen Seiten bestürmt wurde, hat binnen zwei Jahren seit dem
Erscheinen des ersten Heftes 180 (!) Abnehmer; die Erzählungen der Karoline
Swetla, einer der gerühmtesten tschechischen Novellistinncn, haben zu erscheinen
aufgehört, weil sich nicht einmal ein Drittel der nöthigen Theilnehmer fanden"
u. s. w. Wir würden diese für die Tschechen so beschämenden Thatsachen nicht
anzuführen brauchen, wenn sie nicht ihre kümmerliche Literatur als so groß und
einzig hinstellten; wir würden uns im Gegentheil derselben freuen und das
Streben des Volkes unterstützen. Doch man besudelt dort uns und unser
Schriftthum in einer Weise, wie sie niedriger nicht gut gedacht werden kann.
Eins der ersten politischen Blätter der Tschechen ist der Narod (Nation). In
der Nummer vom 24. Februar 1866 kann man über die deutsche Literatur
unter anderm folgende grade nicht von Intelligenz und Sachkenntniß zeugende
Urtheile lesen: "Im Systcmisiren sind die Deutschen unerreichbar, aber hieraus
'se anch ihr wissenschaftlicher Pedantismus erwachsen, der das Bewußtsein seiner
Vortrefflichkeit so weit übertreibt.--Das Leben der deutschen Wissenschaft
'se erst so kurz, denn Leivnitz hat ja französisch und lateinisch geschrieben, und
" starb erst vor anderthalbhundert Jahren; auch Humboldt noch verfaßte die
Mehrzahl seiner Schriften französisch" u. s. w. Folglich haben die Deutschen


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Tribüne des böhmischen Landtages: „daß es bei den Slaven noch Heller Tag
sein würde, wenn bei den Deutschen die Sonne schon untergegangen wäre",
ferner „daß die tschechische Literatur in den letzten zwanzig Jahren mehr ge¬
leistet habe als die deutsche". Was brauchen wir mehr zu wissen? Was kann
die Selbstüberhebung besser charakterisiren?

Trotz der bedeutenden Anstrengungen, die zur Hebung der tschechischen
Literatur gemacht wurden, durch Gründung von literarischen Vereinen und
wahre Sündfluthen von Uebersetzungen, ist man doch bis zum heutigen Tage
zu keinem ergiebigen Resultate gelangt. Freilich erscheinen in Prag jetzt gegen
vierzig tschechische Zeitungen und Journale, doch mit dem Büchermarkt ist es
ärmlich bestellt, da viele Schriftsteller noch vorziehen ihre Werke in deutscher
Sprache bekannt zu machen, statt sie in tschechischer zu vergraben. Die Freuden
eines tschechischen Verlegers sind gering, darüber giebt grade jetzt ein Circular
des nationalen Buchhändlers Kober in Prag (der Mann ist ein deutscher Re¬
negat) seltsamen Aufschluß. „Seit drei Jahren," sagt derselbe, „habe ich
Dr. Gabriels französisch-tschechisches Wörterbuch angekauft und zögere bis heute
mit der etwa 4000 Gulden in Anspruch nehmenden Herausgabe, gewitzigt durch
die namhaften Verluste, die ich bei kostspieligen, von Autoritäten der Literatur
aufs eifrigste angeregten tschechischen Verlagsuntcrnehmungen bisher erlitten.
So haben sich zu einer Prachtausgabe des classischen Don Quixote nur 350
Abnehmer anstatt der nothwendigen nicht allzu großen Anzahl von 900 gefunden;
Wojatscheks lateinisch-deutsch-tschechisches Lexikon, um dessen Herausgabe der
Verleger von allen Seiten bestürmt wurde, hat binnen zwei Jahren seit dem
Erscheinen des ersten Heftes 180 (!) Abnehmer; die Erzählungen der Karoline
Swetla, einer der gerühmtesten tschechischen Novellistinncn, haben zu erscheinen
aufgehört, weil sich nicht einmal ein Drittel der nöthigen Theilnehmer fanden"
u. s. w. Wir würden diese für die Tschechen so beschämenden Thatsachen nicht
anzuführen brauchen, wenn sie nicht ihre kümmerliche Literatur als so groß und
einzig hinstellten; wir würden uns im Gegentheil derselben freuen und das
Streben des Volkes unterstützen. Doch man besudelt dort uns und unser
Schriftthum in einer Weise, wie sie niedriger nicht gut gedacht werden kann.
Eins der ersten politischen Blätter der Tschechen ist der Narod (Nation). In
der Nummer vom 24. Februar 1866 kann man über die deutsche Literatur
unter anderm folgende grade nicht von Intelligenz und Sachkenntniß zeugende
Urtheile lesen: „Im Systcmisiren sind die Deutschen unerreichbar, aber hieraus
'se anch ihr wissenschaftlicher Pedantismus erwachsen, der das Bewußtsein seiner
Vortrefflichkeit so weit übertreibt.--Das Leben der deutschen Wissenschaft
'se erst so kurz, denn Leivnitz hat ja französisch und lateinisch geschrieben, und
« starb erst vor anderthalbhundert Jahren; auch Humboldt noch verfaßte die
Mehrzahl seiner Schriften französisch" u. s. w. Folglich haben die Deutschen


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[0307] Tribüne des böhmischen Landtages: „daß es bei den Slaven noch Heller Tag sein würde, wenn bei den Deutschen die Sonne schon untergegangen wäre", ferner „daß die tschechische Literatur in den letzten zwanzig Jahren mehr ge¬ leistet habe als die deutsche". Was brauchen wir mehr zu wissen? Was kann die Selbstüberhebung besser charakterisiren? Trotz der bedeutenden Anstrengungen, die zur Hebung der tschechischen Literatur gemacht wurden, durch Gründung von literarischen Vereinen und wahre Sündfluthen von Uebersetzungen, ist man doch bis zum heutigen Tage zu keinem ergiebigen Resultate gelangt. Freilich erscheinen in Prag jetzt gegen vierzig tschechische Zeitungen und Journale, doch mit dem Büchermarkt ist es ärmlich bestellt, da viele Schriftsteller noch vorziehen ihre Werke in deutscher Sprache bekannt zu machen, statt sie in tschechischer zu vergraben. Die Freuden eines tschechischen Verlegers sind gering, darüber giebt grade jetzt ein Circular des nationalen Buchhändlers Kober in Prag (der Mann ist ein deutscher Re¬ negat) seltsamen Aufschluß. „Seit drei Jahren," sagt derselbe, „habe ich Dr. Gabriels französisch-tschechisches Wörterbuch angekauft und zögere bis heute mit der etwa 4000 Gulden in Anspruch nehmenden Herausgabe, gewitzigt durch die namhaften Verluste, die ich bei kostspieligen, von Autoritäten der Literatur aufs eifrigste angeregten tschechischen Verlagsuntcrnehmungen bisher erlitten. So haben sich zu einer Prachtausgabe des classischen Don Quixote nur 350 Abnehmer anstatt der nothwendigen nicht allzu großen Anzahl von 900 gefunden; Wojatscheks lateinisch-deutsch-tschechisches Lexikon, um dessen Herausgabe der Verleger von allen Seiten bestürmt wurde, hat binnen zwei Jahren seit dem Erscheinen des ersten Heftes 180 (!) Abnehmer; die Erzählungen der Karoline Swetla, einer der gerühmtesten tschechischen Novellistinncn, haben zu erscheinen aufgehört, weil sich nicht einmal ein Drittel der nöthigen Theilnehmer fanden" u. s. w. Wir würden diese für die Tschechen so beschämenden Thatsachen nicht anzuführen brauchen, wenn sie nicht ihre kümmerliche Literatur als so groß und einzig hinstellten; wir würden uns im Gegentheil derselben freuen und das Streben des Volkes unterstützen. Doch man besudelt dort uns und unser Schriftthum in einer Weise, wie sie niedriger nicht gut gedacht werden kann. Eins der ersten politischen Blätter der Tschechen ist der Narod (Nation). In der Nummer vom 24. Februar 1866 kann man über die deutsche Literatur unter anderm folgende grade nicht von Intelligenz und Sachkenntniß zeugende Urtheile lesen: „Im Systcmisiren sind die Deutschen unerreichbar, aber hieraus 'se anch ihr wissenschaftlicher Pedantismus erwachsen, der das Bewußtsein seiner Vortrefflichkeit so weit übertreibt.--Das Leben der deutschen Wissenschaft 'se erst so kurz, denn Leivnitz hat ja französisch und lateinisch geschrieben, und « starb erst vor anderthalbhundert Jahren; auch Humboldt noch verfaßte die Mehrzahl seiner Schriften französisch" u. s. w. Folglich haben die Deutschen 36'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/307>, abgerufen am 05.06.2024.