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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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gründlich und ernsthaft studirt und nach dieser Richtung hin das Leben Rafaels
beleuchtet haben. Herr v. Wolzogen hat sich, wie die Citate aus Werken von
Jahr, Bischer, Hermann Grimm u. A. beweisen, viel mit dem beschäftigt, was
über Rafael und mit Bezug auf ihn geschrieben ist, aber bei seiner Vorliebe
für das hohe Gerüst der Intuitionen ist doppelt bedauerlich, daß er alte abge¬
thane Irrthümer wiederbringt und dadurch die Reputation seiner Begeisterung
schädigt. Das erscheint uns um so schlimmer, weil wir der Meinung sind, das
Interesse unsrer Generation an Rafael liege tiefer, als jene Weise der Befrie¬
digung desselben zu reichen vermag. Es verlangt uns, mehr über des Künstlers
Werke zu hören als uns selbst Passavant sagen kann, und wir würden jeden
mit Freuden begrüßen, der im Stande wäre, die Spreu vom Weizen zu trennen
und zu beweisen, daß er Echtes und Untergeschobenes exact zu unterscheiden
weiß. Nun soll keineswegs von Einem alles verlangt werden; aber eine An¬
forderung muß jeder erfüllen, der diesen Gegenstand, sei es auch in noch so
bescheidener Form, behandelt: er muß auf der Höhe des bisher Erforschten
und Geleisteten stehen, und dies um so mehr, je compendiöser seine Arbeit ist,
weil alles dasjenige, was er berührt, exemplarische Bedeutung bekommt.

Unser Verfasser nun, dessen Entzücken über unzweideutige Meisterwerke sich
oft in schöner Form ausdrückt, zeigt zu große Oberflächlichkeit, sobald er den
festen Boden des Sicheren verläßt. Er schildert die Entwickelung Rafaels von
dessen Kindheit an. aber wir begegnen gleich hier dem Mangel am Nöthigsten,
einer genügenden Kenntniß von den frühen Schulen Andricus oder Perugias.
Er giebt verhciltnißmcißig zu wenig und theilweis Unrichtiges über Giovanni
Santi (S. 21); läßt sich nicht herbei, ein Wort über die merkwürdigen frühen
Studien zu sagen, die Rafael in seiner Geburtsstadt machte, und die in der
Akademie zu Venedig aufbewahrt werden, obgleich er die Studien nach
Perugino in derselben Gallerie (S. 24) erwähnt; schreibt dem Alunno einen
Einfluß zu, den dieser nicht besaß; versetzt Pietro Vanucci fünf Jahre früher
nach Perugia als er sich dort in der That niederließ (S. 23); macht zwei
Bilder aus einem, und nimmt schließlich Berichte als Thatsachen auf, die sich
bei näherem Eingehen als Erdichtungen ausweisen.

Wenn es auch nicht nothwendig ist eine vollständige Liste aller rafaelschen
Bilder zu geben, so dürften doch nicht falsche zu den authentischen gezählt
werden und zwar auf Kosten wirklich echter, welche übergangen sind.

Damit aber diese Rubriken von Mängeln, welche wir bemerken, nicht als
übelwollende Verallgemeinerungen angesehen werden, geben wir einige Belege
für unser Urtheil.

Eins der schönsten Beispiele von Giovanni Säntis Talent ist eine Reihe
Fresken in der Tiranikapelle der Dominikanerkirche zu Cagli. Nach dem Tode
seiner Gemahlin veranlaßte Pietro Tirani im Jahre 1481 den Maler Santi,


gründlich und ernsthaft studirt und nach dieser Richtung hin das Leben Rafaels
beleuchtet haben. Herr v. Wolzogen hat sich, wie die Citate aus Werken von
Jahr, Bischer, Hermann Grimm u. A. beweisen, viel mit dem beschäftigt, was
über Rafael und mit Bezug auf ihn geschrieben ist, aber bei seiner Vorliebe
für das hohe Gerüst der Intuitionen ist doppelt bedauerlich, daß er alte abge¬
thane Irrthümer wiederbringt und dadurch die Reputation seiner Begeisterung
schädigt. Das erscheint uns um so schlimmer, weil wir der Meinung sind, das
Interesse unsrer Generation an Rafael liege tiefer, als jene Weise der Befrie¬
digung desselben zu reichen vermag. Es verlangt uns, mehr über des Künstlers
Werke zu hören als uns selbst Passavant sagen kann, und wir würden jeden
mit Freuden begrüßen, der im Stande wäre, die Spreu vom Weizen zu trennen
und zu beweisen, daß er Echtes und Untergeschobenes exact zu unterscheiden
weiß. Nun soll keineswegs von Einem alles verlangt werden; aber eine An¬
forderung muß jeder erfüllen, der diesen Gegenstand, sei es auch in noch so
bescheidener Form, behandelt: er muß auf der Höhe des bisher Erforschten
und Geleisteten stehen, und dies um so mehr, je compendiöser seine Arbeit ist,
weil alles dasjenige, was er berührt, exemplarische Bedeutung bekommt.

Unser Verfasser nun, dessen Entzücken über unzweideutige Meisterwerke sich
oft in schöner Form ausdrückt, zeigt zu große Oberflächlichkeit, sobald er den
festen Boden des Sicheren verläßt. Er schildert die Entwickelung Rafaels von
dessen Kindheit an. aber wir begegnen gleich hier dem Mangel am Nöthigsten,
einer genügenden Kenntniß von den frühen Schulen Andricus oder Perugias.
Er giebt verhciltnißmcißig zu wenig und theilweis Unrichtiges über Giovanni
Santi (S. 21); läßt sich nicht herbei, ein Wort über die merkwürdigen frühen
Studien zu sagen, die Rafael in seiner Geburtsstadt machte, und die in der
Akademie zu Venedig aufbewahrt werden, obgleich er die Studien nach
Perugino in derselben Gallerie (S. 24) erwähnt; schreibt dem Alunno einen
Einfluß zu, den dieser nicht besaß; versetzt Pietro Vanucci fünf Jahre früher
nach Perugia als er sich dort in der That niederließ (S. 23); macht zwei
Bilder aus einem, und nimmt schließlich Berichte als Thatsachen auf, die sich
bei näherem Eingehen als Erdichtungen ausweisen.

Wenn es auch nicht nothwendig ist eine vollständige Liste aller rafaelschen
Bilder zu geben, so dürften doch nicht falsche zu den authentischen gezählt
werden und zwar auf Kosten wirklich echter, welche übergangen sind.

Damit aber diese Rubriken von Mängeln, welche wir bemerken, nicht als
übelwollende Verallgemeinerungen angesehen werden, geben wir einige Belege
für unser Urtheil.

Eins der schönsten Beispiele von Giovanni Säntis Talent ist eine Reihe
Fresken in der Tiranikapelle der Dominikanerkirche zu Cagli. Nach dem Tode
seiner Gemahlin veranlaßte Pietro Tirani im Jahre 1481 den Maler Santi,


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[0356] gründlich und ernsthaft studirt und nach dieser Richtung hin das Leben Rafaels beleuchtet haben. Herr v. Wolzogen hat sich, wie die Citate aus Werken von Jahr, Bischer, Hermann Grimm u. A. beweisen, viel mit dem beschäftigt, was über Rafael und mit Bezug auf ihn geschrieben ist, aber bei seiner Vorliebe für das hohe Gerüst der Intuitionen ist doppelt bedauerlich, daß er alte abge¬ thane Irrthümer wiederbringt und dadurch die Reputation seiner Begeisterung schädigt. Das erscheint uns um so schlimmer, weil wir der Meinung sind, das Interesse unsrer Generation an Rafael liege tiefer, als jene Weise der Befrie¬ digung desselben zu reichen vermag. Es verlangt uns, mehr über des Künstlers Werke zu hören als uns selbst Passavant sagen kann, und wir würden jeden mit Freuden begrüßen, der im Stande wäre, die Spreu vom Weizen zu trennen und zu beweisen, daß er Echtes und Untergeschobenes exact zu unterscheiden weiß. Nun soll keineswegs von Einem alles verlangt werden; aber eine An¬ forderung muß jeder erfüllen, der diesen Gegenstand, sei es auch in noch so bescheidener Form, behandelt: er muß auf der Höhe des bisher Erforschten und Geleisteten stehen, und dies um so mehr, je compendiöser seine Arbeit ist, weil alles dasjenige, was er berührt, exemplarische Bedeutung bekommt. Unser Verfasser nun, dessen Entzücken über unzweideutige Meisterwerke sich oft in schöner Form ausdrückt, zeigt zu große Oberflächlichkeit, sobald er den festen Boden des Sicheren verläßt. Er schildert die Entwickelung Rafaels von dessen Kindheit an. aber wir begegnen gleich hier dem Mangel am Nöthigsten, einer genügenden Kenntniß von den frühen Schulen Andricus oder Perugias. Er giebt verhciltnißmcißig zu wenig und theilweis Unrichtiges über Giovanni Santi (S. 21); läßt sich nicht herbei, ein Wort über die merkwürdigen frühen Studien zu sagen, die Rafael in seiner Geburtsstadt machte, und die in der Akademie zu Venedig aufbewahrt werden, obgleich er die Studien nach Perugino in derselben Gallerie (S. 24) erwähnt; schreibt dem Alunno einen Einfluß zu, den dieser nicht besaß; versetzt Pietro Vanucci fünf Jahre früher nach Perugia als er sich dort in der That niederließ (S. 23); macht zwei Bilder aus einem, und nimmt schließlich Berichte als Thatsachen auf, die sich bei näherem Eingehen als Erdichtungen ausweisen. Wenn es auch nicht nothwendig ist eine vollständige Liste aller rafaelschen Bilder zu geben, so dürften doch nicht falsche zu den authentischen gezählt werden und zwar auf Kosten wirklich echter, welche übergangen sind. Damit aber diese Rubriken von Mängeln, welche wir bemerken, nicht als übelwollende Verallgemeinerungen angesehen werden, geben wir einige Belege für unser Urtheil. Eins der schönsten Beispiele von Giovanni Säntis Talent ist eine Reihe Fresken in der Tiranikapelle der Dominikanerkirche zu Cagli. Nach dem Tode seiner Gemahlin veranlaßte Pietro Tirani im Jahre 1481 den Maler Santi,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/356>, abgerufen am 15.05.2024.