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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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dadurch aufgehoben wurde; eine Regeneration in freiheitlichen Sinne konnte,
da der streng municipale Charakter des antiken Staatswesens den Uebergang
zum Repräsentativsystem ausschloß, nicht gefunden werden. Somit war die
Cäsarenmonarchie der nothwendige Abschluß der politischen Entwickelung des
Alterthums.

Von diesen Gesichtspunkten hat eine den Anforderungen der Gegenwart
entsprechende Biographie des Perikles. der, auf dem Höhenpunkt der hellenischen
Entwickelung stehend, zugleich in seiner Person das Hellenenthum in seiner ganzen
Kraft, aber auch mit seinen Schranken aufs vollkommenste darstellt, auszugehen;
sie liegen Lamartine fern. Er giebt eine anmuthige. zierliche Mosaikarbeit, reich
ausgestattet mit Parallelen und Anspielungen auf moderne Verhältnisse, die
zuweilen treffend, oft aber auch schief und verkehrt sind. Die Geschichtschrei¬
bung darf vergleichen, aber sie darf nicht darauf ausgehen, überall Aehnlich-
keiten finden zu wollen; vereinzelt betrachtet erscheint vieles ähnlich, was
sehr verschieden ist; und selbst Analogien sind weniger durch das Auffinden
der Ähnlichkeit als durch den Nachweis der Verschiedenheit belehrend.

Auch die Biographie Peters des Großen und Katharinas der Zweiten,
auf die wir noch einen Blick werfen wollen, wird man mit Interesse lesen.
Aber auch hier tritt der historische Standpunkt gegen den psychologisch-biogra¬
phischen zurück; und daß das Leben des Czaren wie der Czarin sich sehr gut
Zu einer derartigen Behandlung eignet, wird ohne Weiteres zugestanden werden
müssen. Die beiden Persönlichkeiten sind hervortretend genug, um auch abge¬
sehen von ihrer historischen Bedeutung ein hohes Interesse in Anspruch zu
nehmen. Beide vereinigen in sich einen überlegenen Verstand mit mächtiger
Willenskraft, die unverwandt auf ihre Ziele losschreitet, unbeirrt durch Gefah¬
ren und Schwierigkeiten, aber auch unbeirrt durch sittliche Bedenken, die grade
in willensstarken Naturen durch die völlig unbeschränkte Machtfülle, die Peter
nach Unterwerfung der Kirche unter seine unmittelbare Herrschaft über Körper
und Seele seiner Unterthanen gewonnen hatte, nothwendig erstickt werden mu߬
ten: wo die Religion der Nation verbietet, den sittlichen Maßstab an die
Handlungen des Herrschers zu legen, wird auch dem Herrscher für seine Hand¬
lungen der Unterschied zwischen Gut und Böse verschwinden; und wer für un¬
fehlbar gilt, wird bald dahin kommen, sich selbst für unfehlbar zu halten und
sich des Gedankens an eine sittliche Verantwortung zu entschlagen.

Es war eine dankbare Aufgabe für einen Schriftsteller von Lamartine?
Begabung, so wunderbare psychologische Erscheinungen zum Gegenstande einer
eingehenden Darstellung zu machen, die wir als durchaus gelungen bezeichnen
könnten, wenn das Dämonische, was in beiden Naturen liegt und unter den
obwaltenden Verhältnissen den freiesten Spielraum hatte sich zu entfalten, schärfer
hervorträte. Seine Darstellung ist nicht markig genug, um grade diese Seite


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dadurch aufgehoben wurde; eine Regeneration in freiheitlichen Sinne konnte,
da der streng municipale Charakter des antiken Staatswesens den Uebergang
zum Repräsentativsystem ausschloß, nicht gefunden werden. Somit war die
Cäsarenmonarchie der nothwendige Abschluß der politischen Entwickelung des
Alterthums.

Von diesen Gesichtspunkten hat eine den Anforderungen der Gegenwart
entsprechende Biographie des Perikles. der, auf dem Höhenpunkt der hellenischen
Entwickelung stehend, zugleich in seiner Person das Hellenenthum in seiner ganzen
Kraft, aber auch mit seinen Schranken aufs vollkommenste darstellt, auszugehen;
sie liegen Lamartine fern. Er giebt eine anmuthige. zierliche Mosaikarbeit, reich
ausgestattet mit Parallelen und Anspielungen auf moderne Verhältnisse, die
zuweilen treffend, oft aber auch schief und verkehrt sind. Die Geschichtschrei¬
bung darf vergleichen, aber sie darf nicht darauf ausgehen, überall Aehnlich-
keiten finden zu wollen; vereinzelt betrachtet erscheint vieles ähnlich, was
sehr verschieden ist; und selbst Analogien sind weniger durch das Auffinden
der Ähnlichkeit als durch den Nachweis der Verschiedenheit belehrend.

Auch die Biographie Peters des Großen und Katharinas der Zweiten,
auf die wir noch einen Blick werfen wollen, wird man mit Interesse lesen.
Aber auch hier tritt der historische Standpunkt gegen den psychologisch-biogra¬
phischen zurück; und daß das Leben des Czaren wie der Czarin sich sehr gut
Zu einer derartigen Behandlung eignet, wird ohne Weiteres zugestanden werden
müssen. Die beiden Persönlichkeiten sind hervortretend genug, um auch abge¬
sehen von ihrer historischen Bedeutung ein hohes Interesse in Anspruch zu
nehmen. Beide vereinigen in sich einen überlegenen Verstand mit mächtiger
Willenskraft, die unverwandt auf ihre Ziele losschreitet, unbeirrt durch Gefah¬
ren und Schwierigkeiten, aber auch unbeirrt durch sittliche Bedenken, die grade
in willensstarken Naturen durch die völlig unbeschränkte Machtfülle, die Peter
nach Unterwerfung der Kirche unter seine unmittelbare Herrschaft über Körper
und Seele seiner Unterthanen gewonnen hatte, nothwendig erstickt werden mu߬
ten: wo die Religion der Nation verbietet, den sittlichen Maßstab an die
Handlungen des Herrschers zu legen, wird auch dem Herrscher für seine Hand¬
lungen der Unterschied zwischen Gut und Böse verschwinden; und wer für un¬
fehlbar gilt, wird bald dahin kommen, sich selbst für unfehlbar zu halten und
sich des Gedankens an eine sittliche Verantwortung zu entschlagen.

Es war eine dankbare Aufgabe für einen Schriftsteller von Lamartine?
Begabung, so wunderbare psychologische Erscheinungen zum Gegenstande einer
eingehenden Darstellung zu machen, die wir als durchaus gelungen bezeichnen
könnten, wenn das Dämonische, was in beiden Naturen liegt und unter den
obwaltenden Verhältnissen den freiesten Spielraum hatte sich zu entfalten, schärfer
hervorträte. Seine Darstellung ist nicht markig genug, um grade diese Seite


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/37>, abgerufen am 16.05.2024.