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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Entwürfen dienstbar zu machen. Mit dem Tode des Monarchen hörte die
Monarchie aus, und die führerlose Demokratie ward der Tummelplatz der
Factionen und der Spielball ehrgeiziger und eigennütziger Demagogen. Auf
den königlichen Demagogen, der des Volkes Uebermuth zu demüthigen, seine
Ausschreitungen zu zügeln, seine Niedergeschlagenheit zu ermuthigen verstand,
folgte ein Kleon, sein Zerrbild. Wohl waren die Leistungen des Volks in dem
verderblichen Kriege bewundernswürdig, sie waren aber vergeblich, da der klare
und starke Wille, der die Kraft zum Siege führen konnte, fehlte.

Aber auch noch eine andere schwache Seite bargen die Herrschaftspläne
des Perikles in sich. Das Alterthum kannte nur eine Form der Machterwei¬
terung, durch Unterwerfung und Beherrschung; die Fähigkeit der Verschmelzung
verschiedener Bestandtheile zu einem Staate war ihm versagt. Wir finden
kolossale Reiche, aber keine großen und zugleich freien Nationalstaaten. Alle
freien Verfassungen sind für den Bereich eines städtischen Gemeinwesens berech¬
net. So war es in Griechenland, so war es, wie Mommsen so vortrefflich her¬
vorgehoben hat, in Rom., Die Form der Bundesgenossenschaft, in der die
Erweiterung des Staatsgebietes sich vollzog, bezeichnete in der That nur ein
Unterthänigkeitsverhältniß. Die politische Gewalt lag im alten Freistaate un¬
mittelbar in der Volksgemeinde. Wer sein Bürgerrecht nicht durch persönliche
Theilnahme an der Volksversammlung ausüben konnte, für den war es ein
Werthloser Besitz. Die Idee der repräsentativen Verfassung war dem Alter¬
thum, von einzelnen Anläufen abgesehen, fremd; in der Begründung dieses
Princips liegt der Fortschritt der modernen Staatsidee, ein Fortschritt, der
allerdings mit Opfern erkauft ist. -- So würde das Gelingen des perikleischen
Planes doch nur zur Unterwerfung Griechenlands unter Athen, nicht aber zur
Gründung eines hellenischen Einheitsstaates geführt haben; und schwerlich würde
die Obermacht Athens eine längere Dauer gehabt haben, als die spartanische
Gewaltherrschaft nach dem peloponnesischen Kriege. Denn eine vollständige
Unterwerfung des Peloponnes lag außer dem Bereiche der Möglichkeit; Sparta
würde geschwächt, aber nicht unschädlich gemacht worden sein! Es würde stets
mächtig genug geblieben sein, um zum Stützpunkt der Athen feindlichen Partei
innerhalb der athenischen Symmachie zu dienen. Die Bundesgenossen aber
in Athener umzuwandeln, sie den Bürgern Attikas durch gleiche Berechtigung
zu assimiliren, dieser Gedanke war dem antiken Staatsprincip fremd, dessen
vollständige Entwickelung bis zur Auflösung (in Griechenland hatte sie das
Emporkommen Macedoniens nicht zum Abschluß kommen lassen) wir in Rom
verfolgen können. Rom hat den natürlichen Verlauf des antiken Staatsprincips
in normaler Entwickelung von Anfang bis zu Ende durchgemacht. Mit der
Ertheilung des Bürgerrechtes an die Jtaliker wurde die alte Verfassung that¬
sächlich zu Grabe getragen, da die politische Bedeutung des Bürgerrechtes


Entwürfen dienstbar zu machen. Mit dem Tode des Monarchen hörte die
Monarchie aus, und die führerlose Demokratie ward der Tummelplatz der
Factionen und der Spielball ehrgeiziger und eigennütziger Demagogen. Auf
den königlichen Demagogen, der des Volkes Uebermuth zu demüthigen, seine
Ausschreitungen zu zügeln, seine Niedergeschlagenheit zu ermuthigen verstand,
folgte ein Kleon, sein Zerrbild. Wohl waren die Leistungen des Volks in dem
verderblichen Kriege bewundernswürdig, sie waren aber vergeblich, da der klare
und starke Wille, der die Kraft zum Siege führen konnte, fehlte.

Aber auch noch eine andere schwache Seite bargen die Herrschaftspläne
des Perikles in sich. Das Alterthum kannte nur eine Form der Machterwei¬
terung, durch Unterwerfung und Beherrschung; die Fähigkeit der Verschmelzung
verschiedener Bestandtheile zu einem Staate war ihm versagt. Wir finden
kolossale Reiche, aber keine großen und zugleich freien Nationalstaaten. Alle
freien Verfassungen sind für den Bereich eines städtischen Gemeinwesens berech¬
net. So war es in Griechenland, so war es, wie Mommsen so vortrefflich her¬
vorgehoben hat, in Rom., Die Form der Bundesgenossenschaft, in der die
Erweiterung des Staatsgebietes sich vollzog, bezeichnete in der That nur ein
Unterthänigkeitsverhältniß. Die politische Gewalt lag im alten Freistaate un¬
mittelbar in der Volksgemeinde. Wer sein Bürgerrecht nicht durch persönliche
Theilnahme an der Volksversammlung ausüben konnte, für den war es ein
Werthloser Besitz. Die Idee der repräsentativen Verfassung war dem Alter¬
thum, von einzelnen Anläufen abgesehen, fremd; in der Begründung dieses
Princips liegt der Fortschritt der modernen Staatsidee, ein Fortschritt, der
allerdings mit Opfern erkauft ist. — So würde das Gelingen des perikleischen
Planes doch nur zur Unterwerfung Griechenlands unter Athen, nicht aber zur
Gründung eines hellenischen Einheitsstaates geführt haben; und schwerlich würde
die Obermacht Athens eine längere Dauer gehabt haben, als die spartanische
Gewaltherrschaft nach dem peloponnesischen Kriege. Denn eine vollständige
Unterwerfung des Peloponnes lag außer dem Bereiche der Möglichkeit; Sparta
würde geschwächt, aber nicht unschädlich gemacht worden sein! Es würde stets
mächtig genug geblieben sein, um zum Stützpunkt der Athen feindlichen Partei
innerhalb der athenischen Symmachie zu dienen. Die Bundesgenossen aber
in Athener umzuwandeln, sie den Bürgern Attikas durch gleiche Berechtigung
zu assimiliren, dieser Gedanke war dem antiken Staatsprincip fremd, dessen
vollständige Entwickelung bis zur Auflösung (in Griechenland hatte sie das
Emporkommen Macedoniens nicht zum Abschluß kommen lassen) wir in Rom
verfolgen können. Rom hat den natürlichen Verlauf des antiken Staatsprincips
in normaler Entwickelung von Anfang bis zu Ende durchgemacht. Mit der
Ertheilung des Bürgerrechtes an die Jtaliker wurde die alte Verfassung that¬
sächlich zu Grabe getragen, da die politische Bedeutung des Bürgerrechtes


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[0036] Entwürfen dienstbar zu machen. Mit dem Tode des Monarchen hörte die Monarchie aus, und die führerlose Demokratie ward der Tummelplatz der Factionen und der Spielball ehrgeiziger und eigennütziger Demagogen. Auf den königlichen Demagogen, der des Volkes Uebermuth zu demüthigen, seine Ausschreitungen zu zügeln, seine Niedergeschlagenheit zu ermuthigen verstand, folgte ein Kleon, sein Zerrbild. Wohl waren die Leistungen des Volks in dem verderblichen Kriege bewundernswürdig, sie waren aber vergeblich, da der klare und starke Wille, der die Kraft zum Siege führen konnte, fehlte. Aber auch noch eine andere schwache Seite bargen die Herrschaftspläne des Perikles in sich. Das Alterthum kannte nur eine Form der Machterwei¬ terung, durch Unterwerfung und Beherrschung; die Fähigkeit der Verschmelzung verschiedener Bestandtheile zu einem Staate war ihm versagt. Wir finden kolossale Reiche, aber keine großen und zugleich freien Nationalstaaten. Alle freien Verfassungen sind für den Bereich eines städtischen Gemeinwesens berech¬ net. So war es in Griechenland, so war es, wie Mommsen so vortrefflich her¬ vorgehoben hat, in Rom., Die Form der Bundesgenossenschaft, in der die Erweiterung des Staatsgebietes sich vollzog, bezeichnete in der That nur ein Unterthänigkeitsverhältniß. Die politische Gewalt lag im alten Freistaate un¬ mittelbar in der Volksgemeinde. Wer sein Bürgerrecht nicht durch persönliche Theilnahme an der Volksversammlung ausüben konnte, für den war es ein Werthloser Besitz. Die Idee der repräsentativen Verfassung war dem Alter¬ thum, von einzelnen Anläufen abgesehen, fremd; in der Begründung dieses Princips liegt der Fortschritt der modernen Staatsidee, ein Fortschritt, der allerdings mit Opfern erkauft ist. — So würde das Gelingen des perikleischen Planes doch nur zur Unterwerfung Griechenlands unter Athen, nicht aber zur Gründung eines hellenischen Einheitsstaates geführt haben; und schwerlich würde die Obermacht Athens eine längere Dauer gehabt haben, als die spartanische Gewaltherrschaft nach dem peloponnesischen Kriege. Denn eine vollständige Unterwerfung des Peloponnes lag außer dem Bereiche der Möglichkeit; Sparta würde geschwächt, aber nicht unschädlich gemacht worden sein! Es würde stets mächtig genug geblieben sein, um zum Stützpunkt der Athen feindlichen Partei innerhalb der athenischen Symmachie zu dienen. Die Bundesgenossen aber in Athener umzuwandeln, sie den Bürgern Attikas durch gleiche Berechtigung zu assimiliren, dieser Gedanke war dem antiken Staatsprincip fremd, dessen vollständige Entwickelung bis zur Auflösung (in Griechenland hatte sie das Emporkommen Macedoniens nicht zum Abschluß kommen lassen) wir in Rom verfolgen können. Rom hat den natürlichen Verlauf des antiken Staatsprincips in normaler Entwickelung von Anfang bis zu Ende durchgemacht. Mit der Ertheilung des Bürgerrechtes an die Jtaliker wurde die alte Verfassung that¬ sächlich zu Grabe getragen, da die politische Bedeutung des Bürgerrechtes

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/36>, abgerufen am 15.05.2024.