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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Civilisation und Macht. Nach beiden Richtungen hin hat er aber im Wesent¬
lichen nur die Tendenzen, die seine Vorgänger seit Jahrhunderten im Auge gehabt
haben, systematisch weiter ausgebildet, indem er alle Hindernisse, die der rück¬
sichtslosen Verfolgung derselben im Wege standen, beseitigt hat. Er hat die
Kirche völlig unterjocht, die Macht des Adels gebrochen; daß er dies aber nicht
etwa aus Rücksicht für das Volkswohl gethan hat. geht daraus hervor, daß er
den Adel für den Verlust seiner politischen Macht durch Erweiterung seiner
Herrenrechte, durch Ausbildung des Instituts der Leibeigenschaft entschädigt hat;
er hat der Allmacht seines Willens sogar das Princip der legitimen Erbfolge
zum Opfer gebracht und damit alles gethan, was in seinen Kräften stand,
um die Palastrevolution zum stehenden Neichsinstitut zu machen. D'le große
Grundlage der Civilisation. Festigkeit des Besitzes und Freiheit der Person und
des Bodens, haben durch ihn keine Förderung erfahren. Noch bis auf den
heutigen Tag entbehrt der Russe des Hcimathsinns und damit des wirksamsten
Antriebs, sich aus seinem kriegerisch-nomadischen Aggregatzustande zur Seßhaftig¬
keit emporzuarbeiten.

Wie die Russen ein erobernder Stamm waren, so ist der Staat Peters
des Großen ein erobernder Staat geworden. Auch in dieser Hinsicht hat er
"n die alten Traditionen angeknüpft. Nicht daß er die Grenzen seines Reiches
bis an die Ostsee ausgedehnt hat, hat. wie Sybel sehr richtig hervorhebt, dem
Staat diesen Charakter aufgedrückt. Diese Eroberung war durch das Gebot
der Nothwendigkeit gerechtfertigt, da Peters Bestrebungen, sein Land der euro-
paschen Civilisation zu öffnen, völlig vergeblich gewesen wären, wenn er nicht
eine Seestraße, die das Reich mit dem Westen in Verbindung setzen konnte,
^öffnet hätte. Seine Einmischung in die polnischen Angelegenheiten, die Tendenz
seiner orientalischen Politik gehen dagegen weit über die Forderungen eines
nationalen oder eines Culturbedürfnisscs hinaus; sie sind systematischer, Schranken-
!°ser Eroberungssucht entsprungen. So schlägt sein Culturbestreben in das
Gegentheil um. Weil ihm bei seinen Reformen die Vollendung des autokra-
tischen Princips die Hauptsache war, ist Nußland, statt durch die Bildung des
Westens geadelt und befreit zu werden, der furchtbarste Feind der europäischen
Cultur geworden.

Erst von diesem Gesichtspunkte aus läßt sich Peters des Großen civilisa-
tonsches Verdienst richtig würdigen. Der Ruhm darf ihm nicht geschmälert
werden, daß er zuerst Rußland den Einwirkungen der westlichen Cultur er¬
schlossen und dasselbe aus einem astatischen Nomadenreiche zu einem Gliede
des europäischen Staatensystems umgewandelt hat. Dieser Schritt ist mit
solcher Sicherheit gethan worden, daß er nicht wieder zurückgethan werden kann.
Die positiven Ergebnisse seiner Culturarbeit dagegen sind maßlos überschätzt
worden: die intelligente Rohheit und Barbarei vermag zu discipliniren, aber


Civilisation und Macht. Nach beiden Richtungen hin hat er aber im Wesent¬
lichen nur die Tendenzen, die seine Vorgänger seit Jahrhunderten im Auge gehabt
haben, systematisch weiter ausgebildet, indem er alle Hindernisse, die der rück¬
sichtslosen Verfolgung derselben im Wege standen, beseitigt hat. Er hat die
Kirche völlig unterjocht, die Macht des Adels gebrochen; daß er dies aber nicht
etwa aus Rücksicht für das Volkswohl gethan hat. geht daraus hervor, daß er
den Adel für den Verlust seiner politischen Macht durch Erweiterung seiner
Herrenrechte, durch Ausbildung des Instituts der Leibeigenschaft entschädigt hat;
er hat der Allmacht seines Willens sogar das Princip der legitimen Erbfolge
zum Opfer gebracht und damit alles gethan, was in seinen Kräften stand,
um die Palastrevolution zum stehenden Neichsinstitut zu machen. D'le große
Grundlage der Civilisation. Festigkeit des Besitzes und Freiheit der Person und
des Bodens, haben durch ihn keine Förderung erfahren. Noch bis auf den
heutigen Tag entbehrt der Russe des Hcimathsinns und damit des wirksamsten
Antriebs, sich aus seinem kriegerisch-nomadischen Aggregatzustande zur Seßhaftig¬
keit emporzuarbeiten.

Wie die Russen ein erobernder Stamm waren, so ist der Staat Peters
des Großen ein erobernder Staat geworden. Auch in dieser Hinsicht hat er
"n die alten Traditionen angeknüpft. Nicht daß er die Grenzen seines Reiches
bis an die Ostsee ausgedehnt hat, hat. wie Sybel sehr richtig hervorhebt, dem
Staat diesen Charakter aufgedrückt. Diese Eroberung war durch das Gebot
der Nothwendigkeit gerechtfertigt, da Peters Bestrebungen, sein Land der euro-
paschen Civilisation zu öffnen, völlig vergeblich gewesen wären, wenn er nicht
eine Seestraße, die das Reich mit dem Westen in Verbindung setzen konnte,
^öffnet hätte. Seine Einmischung in die polnischen Angelegenheiten, die Tendenz
seiner orientalischen Politik gehen dagegen weit über die Forderungen eines
nationalen oder eines Culturbedürfnisscs hinaus; sie sind systematischer, Schranken-
!°ser Eroberungssucht entsprungen. So schlägt sein Culturbestreben in das
Gegentheil um. Weil ihm bei seinen Reformen die Vollendung des autokra-
tischen Princips die Hauptsache war, ist Nußland, statt durch die Bildung des
Westens geadelt und befreit zu werden, der furchtbarste Feind der europäischen
Cultur geworden.

Erst von diesem Gesichtspunkte aus läßt sich Peters des Großen civilisa-
tonsches Verdienst richtig würdigen. Der Ruhm darf ihm nicht geschmälert
werden, daß er zuerst Rußland den Einwirkungen der westlichen Cultur er¬
schlossen und dasselbe aus einem astatischen Nomadenreiche zu einem Gliede
des europäischen Staatensystems umgewandelt hat. Dieser Schritt ist mit
solcher Sicherheit gethan worden, daß er nicht wieder zurückgethan werden kann.
Die positiven Ergebnisse seiner Culturarbeit dagegen sind maßlos überschätzt
worden: die intelligente Rohheit und Barbarei vermag zu discipliniren, aber


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[0039] Civilisation und Macht. Nach beiden Richtungen hin hat er aber im Wesent¬ lichen nur die Tendenzen, die seine Vorgänger seit Jahrhunderten im Auge gehabt haben, systematisch weiter ausgebildet, indem er alle Hindernisse, die der rück¬ sichtslosen Verfolgung derselben im Wege standen, beseitigt hat. Er hat die Kirche völlig unterjocht, die Macht des Adels gebrochen; daß er dies aber nicht etwa aus Rücksicht für das Volkswohl gethan hat. geht daraus hervor, daß er den Adel für den Verlust seiner politischen Macht durch Erweiterung seiner Herrenrechte, durch Ausbildung des Instituts der Leibeigenschaft entschädigt hat; er hat der Allmacht seines Willens sogar das Princip der legitimen Erbfolge zum Opfer gebracht und damit alles gethan, was in seinen Kräften stand, um die Palastrevolution zum stehenden Neichsinstitut zu machen. D'le große Grundlage der Civilisation. Festigkeit des Besitzes und Freiheit der Person und des Bodens, haben durch ihn keine Förderung erfahren. Noch bis auf den heutigen Tag entbehrt der Russe des Hcimathsinns und damit des wirksamsten Antriebs, sich aus seinem kriegerisch-nomadischen Aggregatzustande zur Seßhaftig¬ keit emporzuarbeiten. Wie die Russen ein erobernder Stamm waren, so ist der Staat Peters des Großen ein erobernder Staat geworden. Auch in dieser Hinsicht hat er "n die alten Traditionen angeknüpft. Nicht daß er die Grenzen seines Reiches bis an die Ostsee ausgedehnt hat, hat. wie Sybel sehr richtig hervorhebt, dem Staat diesen Charakter aufgedrückt. Diese Eroberung war durch das Gebot der Nothwendigkeit gerechtfertigt, da Peters Bestrebungen, sein Land der euro- paschen Civilisation zu öffnen, völlig vergeblich gewesen wären, wenn er nicht eine Seestraße, die das Reich mit dem Westen in Verbindung setzen konnte, ^öffnet hätte. Seine Einmischung in die polnischen Angelegenheiten, die Tendenz seiner orientalischen Politik gehen dagegen weit über die Forderungen eines nationalen oder eines Culturbedürfnisscs hinaus; sie sind systematischer, Schranken- !°ser Eroberungssucht entsprungen. So schlägt sein Culturbestreben in das Gegentheil um. Weil ihm bei seinen Reformen die Vollendung des autokra- tischen Princips die Hauptsache war, ist Nußland, statt durch die Bildung des Westens geadelt und befreit zu werden, der furchtbarste Feind der europäischen Cultur geworden. Erst von diesem Gesichtspunkte aus läßt sich Peters des Großen civilisa- tonsches Verdienst richtig würdigen. Der Ruhm darf ihm nicht geschmälert werden, daß er zuerst Rußland den Einwirkungen der westlichen Cultur er¬ schlossen und dasselbe aus einem astatischen Nomadenreiche zu einem Gliede des europäischen Staatensystems umgewandelt hat. Dieser Schritt ist mit solcher Sicherheit gethan worden, daß er nicht wieder zurückgethan werden kann. Die positiven Ergebnisse seiner Culturarbeit dagegen sind maßlos überschätzt worden: die intelligente Rohheit und Barbarei vermag zu discipliniren, aber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/39>, abgerufen am 15.05.2024.