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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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nicht zu civilisiren. Es bedürfte der Katastrophe deS Knmkrieges, um Ru߬
land auf die Bahn der wirklichen Culturarbeit zu lenken. Europa blickt auf
die neuesten Bestrebungen Rußlands mit wohlwollender, durch das Zwischenspiel
in Polen nur momentan zurückgedrängter Theilnahme. Es wäre aber bedenklich,
an diese Bestrebungen zu große Hoffnungen zu knüpfen. Es ist nämlich wohl
zu beachten, daß die größere Freiheit der Bewegung, die der Kaiser Alexander
den Geistern gewährt hat, dazu beigetragen hat, den Hochmuth des Altrussen-
thums maßlos zu steigern. Daß die altrussische Partei die Reform des Staats-
lebens aber ausschließlich als ein Mittel betrachtet, um die unter dem Regime
des Absolutismus zuletzt erschlaffte Angriffskraft der Nation zu steigern, daß
aber die Civilisation als solche für dieselbe gar keinen Werth hat, ist unzweifel¬
haft. So macht sich die Barbarei der Civilisationsmethode Peters, die Un-
gründlichkeit und Oberflächlichkeit seiner Reformen, die systematische Eroberungs¬
tendenz seiner äußern Politik bis auf den heutigen Tag geltend; und schwerlich
ist der Kampf um Sebastopol der letzte Versuch gewesen, der Expansivkraft des
Reiches unüberwindliche Schranken entgegenzusetzen. Eine aufrichtige Bundes¬
genossenschaft Preußens und Oestreichs, die jedem der beiden Staaten in seiner
Machtsphäre die freieste Entwicklung gestattet, gewährt allein die Mittel, dem
russischen Ehrgeiz einen Damm zu setzen.

Der unbedeutendste der Helden dieses Buches, den man einigermaßen er¬
staunt ist, in so vornehmer Gesellschaft zu finden, ist Joachim Murat, der
übrigens bei Lamartine als das erscheint, was er war, als ein tapferer, gro߬
müthiger Empfindungen fähiger Soldat, aber ein durchaus untergeordneter,
schwankender Charakter, von einem Ehrgeize beherrscht, der weit über seine
Fähigkeiten ging. Die vortrefflich erzählte Geschichte seiner letzten Abenteuer,
von seiner wunderbaren Flucht aus Frankreich an bis zu seinem Untergange,
wird man nicht ohne Theilnahme lesen. Der Rache eines durchaus unwürdigen
Gegners zum Opfer zu fallen, ist ein unter allen Umständen Mitleiden erregen¬
des Loos, welches dies glänzende, aber verfehlte Leben in sühnender und ver¬
Z. söhnender Weise abschließt.




nicht zu civilisiren. Es bedürfte der Katastrophe deS Knmkrieges, um Ru߬
land auf die Bahn der wirklichen Culturarbeit zu lenken. Europa blickt auf
die neuesten Bestrebungen Rußlands mit wohlwollender, durch das Zwischenspiel
in Polen nur momentan zurückgedrängter Theilnahme. Es wäre aber bedenklich,
an diese Bestrebungen zu große Hoffnungen zu knüpfen. Es ist nämlich wohl
zu beachten, daß die größere Freiheit der Bewegung, die der Kaiser Alexander
den Geistern gewährt hat, dazu beigetragen hat, den Hochmuth des Altrussen-
thums maßlos zu steigern. Daß die altrussische Partei die Reform des Staats-
lebens aber ausschließlich als ein Mittel betrachtet, um die unter dem Regime
des Absolutismus zuletzt erschlaffte Angriffskraft der Nation zu steigern, daß
aber die Civilisation als solche für dieselbe gar keinen Werth hat, ist unzweifel¬
haft. So macht sich die Barbarei der Civilisationsmethode Peters, die Un-
gründlichkeit und Oberflächlichkeit seiner Reformen, die systematische Eroberungs¬
tendenz seiner äußern Politik bis auf den heutigen Tag geltend; und schwerlich
ist der Kampf um Sebastopol der letzte Versuch gewesen, der Expansivkraft des
Reiches unüberwindliche Schranken entgegenzusetzen. Eine aufrichtige Bundes¬
genossenschaft Preußens und Oestreichs, die jedem der beiden Staaten in seiner
Machtsphäre die freieste Entwicklung gestattet, gewährt allein die Mittel, dem
russischen Ehrgeiz einen Damm zu setzen.

Der unbedeutendste der Helden dieses Buches, den man einigermaßen er¬
staunt ist, in so vornehmer Gesellschaft zu finden, ist Joachim Murat, der
übrigens bei Lamartine als das erscheint, was er war, als ein tapferer, gro߬
müthiger Empfindungen fähiger Soldat, aber ein durchaus untergeordneter,
schwankender Charakter, von einem Ehrgeize beherrscht, der weit über seine
Fähigkeiten ging. Die vortrefflich erzählte Geschichte seiner letzten Abenteuer,
von seiner wunderbaren Flucht aus Frankreich an bis zu seinem Untergange,
wird man nicht ohne Theilnahme lesen. Der Rache eines durchaus unwürdigen
Gegners zum Opfer zu fallen, ist ein unter allen Umständen Mitleiden erregen¬
des Loos, welches dies glänzende, aber verfehlte Leben in sühnender und ver¬
Z. söhnender Weise abschließt.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/40>, abgerufen am 15.05.2024.