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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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ligionsgcscllschaft -- und zwar einer, der keineswegs die Mehrzahl der Bewoh¬
ner angehört -- alle Rechte und Freiheiten giebt, um sie allen übrigen Reli¬
gionsgesellschaften zu entziehen, und zwar am meisten derjenigen, welcher die
Mehrzahl der Staatsbürger angehört; daß man mit einem solchen Apparat in
dem hochgebildeten Deutschland in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhun¬
derts nicht mehr regieren, und in dem Sturme und Drange der Zeit nicht
mehr damit die Existenz eines Kleinstaats, eines Landes, das keine isolirte und
erstarrte Nvbinsonsinsel, sondern eines der rührigsten, sich dieses Zusammen¬
hanges hochbewußten Gliedes deS nationalen GesammtkörperS ist, retten kann,
-- das bedarf für den Kundigen kaum der Beweisführung.

Es kann zugegeben werden, daß die Gesetzgebung von 1848 und 1849
vielleicht in einzelnen Stücken die Staatsgewalt auch innerhalb des Gebiets,
das ihr unbestritten zusteht, etwas beeinträchtigt hat. Aber die Reaction der
Jahre 18S2---18S5 hat weit schlimmer nach der entgegengesetzten Seite gesün¬
digt. Sie hat die Staatsgewalt ausgedehnt auf Gebiete, die ihr nicht gehören
und auf welchen sie deshalb schwach ist. Sie hat dieselbe in der Absicht, sie
auszudehnen, geschwächt, wie man eine gute Brühe verdirbt, wenn man sie
durch Wasser verlängt. Es gilt nun, die richtige organische Mitte zwischen
1848 und 1834 zu finden. Sie wird sich einfach und klar bei der Revision
der 1849er Verfassung ergeben. Eine große Reihe der in der Periode von 1852
bis 1866 erlassenen Gesetze wird völlig unverändert bestehen bleiben. Darüber
wird man sich mit Leichtigkeit im Voraus verständigen. Aber diejenigen, welche
im Widerspruch stehen mit den Grundlagen des Constitutionsedicts von 1814
und der Verfassung von 1849, mit der Idee der modernen Civilisation und
mit den Einrichtungen der ganzen gebildeten Welt, müssen auf dem Wege der
entschlossenen Rückkehr zu dem modernen Entwickelungsstaate beseitigt werden,
weil es klüger ist, ein reparaturunfähiges baufälliges Haus abzutragen, als zu
warten, bis es einstürzt und uns unter die Trümmer begräbt.

Würde die Negierung auf diese Vorschläge eingehen, so würde sie wieder
in diejenige Stellung einrücken, welche sie niemals hätte verlassen sollen. Sie
würde wieder Autorität, Stärke und Vertrauen gewinnen, die sie durch Werren
verloren und bis jetzt nicht wieder gewonnen hat. Das Land, welches jetzt
hinter dem Landtag steht und gegen die Regierung Front macht, würde ihr
wieder seine Sympathie und seine Unterstützung zuwenden, ohne welche eine
Regierung nicht bestehen kann, namentlich in Zeiten, wie die jetzigen, wo ein
solcher Kleinstaat von tausend Gefahren umringt ist. Im Jahre 1814 hat
man, um die Existenz des Landes zu retten, eine freisinnige Verfassung gege¬
ben. Möge man heute zu demselben Zwecke eine freisinnige Verfassung wieder¬
herstellen.

Wir müssen gestehen, daß wenig Hoffnung vorhanden ist, unsere Vorschläge


ligionsgcscllschaft — und zwar einer, der keineswegs die Mehrzahl der Bewoh¬
ner angehört — alle Rechte und Freiheiten giebt, um sie allen übrigen Reli¬
gionsgesellschaften zu entziehen, und zwar am meisten derjenigen, welcher die
Mehrzahl der Staatsbürger angehört; daß man mit einem solchen Apparat in
dem hochgebildeten Deutschland in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhun¬
derts nicht mehr regieren, und in dem Sturme und Drange der Zeit nicht
mehr damit die Existenz eines Kleinstaats, eines Landes, das keine isolirte und
erstarrte Nvbinsonsinsel, sondern eines der rührigsten, sich dieses Zusammen¬
hanges hochbewußten Gliedes deS nationalen GesammtkörperS ist, retten kann,
— das bedarf für den Kundigen kaum der Beweisführung.

Es kann zugegeben werden, daß die Gesetzgebung von 1848 und 1849
vielleicht in einzelnen Stücken die Staatsgewalt auch innerhalb des Gebiets,
das ihr unbestritten zusteht, etwas beeinträchtigt hat. Aber die Reaction der
Jahre 18S2-—18S5 hat weit schlimmer nach der entgegengesetzten Seite gesün¬
digt. Sie hat die Staatsgewalt ausgedehnt auf Gebiete, die ihr nicht gehören
und auf welchen sie deshalb schwach ist. Sie hat dieselbe in der Absicht, sie
auszudehnen, geschwächt, wie man eine gute Brühe verdirbt, wenn man sie
durch Wasser verlängt. Es gilt nun, die richtige organische Mitte zwischen
1848 und 1834 zu finden. Sie wird sich einfach und klar bei der Revision
der 1849er Verfassung ergeben. Eine große Reihe der in der Periode von 1852
bis 1866 erlassenen Gesetze wird völlig unverändert bestehen bleiben. Darüber
wird man sich mit Leichtigkeit im Voraus verständigen. Aber diejenigen, welche
im Widerspruch stehen mit den Grundlagen des Constitutionsedicts von 1814
und der Verfassung von 1849, mit der Idee der modernen Civilisation und
mit den Einrichtungen der ganzen gebildeten Welt, müssen auf dem Wege der
entschlossenen Rückkehr zu dem modernen Entwickelungsstaate beseitigt werden,
weil es klüger ist, ein reparaturunfähiges baufälliges Haus abzutragen, als zu
warten, bis es einstürzt und uns unter die Trümmer begräbt.

Würde die Negierung auf diese Vorschläge eingehen, so würde sie wieder
in diejenige Stellung einrücken, welche sie niemals hätte verlassen sollen. Sie
würde wieder Autorität, Stärke und Vertrauen gewinnen, die sie durch Werren
verloren und bis jetzt nicht wieder gewonnen hat. Das Land, welches jetzt
hinter dem Landtag steht und gegen die Regierung Front macht, würde ihr
wieder seine Sympathie und seine Unterstützung zuwenden, ohne welche eine
Regierung nicht bestehen kann, namentlich in Zeiten, wie die jetzigen, wo ein
solcher Kleinstaat von tausend Gefahren umringt ist. Im Jahre 1814 hat
man, um die Existenz des Landes zu retten, eine freisinnige Verfassung gege¬
ben. Möge man heute zu demselben Zwecke eine freisinnige Verfassung wieder¬
herstellen.

Wir müssen gestehen, daß wenig Hoffnung vorhanden ist, unsere Vorschläge


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[0408] ligionsgcscllschaft — und zwar einer, der keineswegs die Mehrzahl der Bewoh¬ ner angehört — alle Rechte und Freiheiten giebt, um sie allen übrigen Reli¬ gionsgesellschaften zu entziehen, und zwar am meisten derjenigen, welcher die Mehrzahl der Staatsbürger angehört; daß man mit einem solchen Apparat in dem hochgebildeten Deutschland in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhun¬ derts nicht mehr regieren, und in dem Sturme und Drange der Zeit nicht mehr damit die Existenz eines Kleinstaats, eines Landes, das keine isolirte und erstarrte Nvbinsonsinsel, sondern eines der rührigsten, sich dieses Zusammen¬ hanges hochbewußten Gliedes deS nationalen GesammtkörperS ist, retten kann, — das bedarf für den Kundigen kaum der Beweisführung. Es kann zugegeben werden, daß die Gesetzgebung von 1848 und 1849 vielleicht in einzelnen Stücken die Staatsgewalt auch innerhalb des Gebiets, das ihr unbestritten zusteht, etwas beeinträchtigt hat. Aber die Reaction der Jahre 18S2-—18S5 hat weit schlimmer nach der entgegengesetzten Seite gesün¬ digt. Sie hat die Staatsgewalt ausgedehnt auf Gebiete, die ihr nicht gehören und auf welchen sie deshalb schwach ist. Sie hat dieselbe in der Absicht, sie auszudehnen, geschwächt, wie man eine gute Brühe verdirbt, wenn man sie durch Wasser verlängt. Es gilt nun, die richtige organische Mitte zwischen 1848 und 1834 zu finden. Sie wird sich einfach und klar bei der Revision der 1849er Verfassung ergeben. Eine große Reihe der in der Periode von 1852 bis 1866 erlassenen Gesetze wird völlig unverändert bestehen bleiben. Darüber wird man sich mit Leichtigkeit im Voraus verständigen. Aber diejenigen, welche im Widerspruch stehen mit den Grundlagen des Constitutionsedicts von 1814 und der Verfassung von 1849, mit der Idee der modernen Civilisation und mit den Einrichtungen der ganzen gebildeten Welt, müssen auf dem Wege der entschlossenen Rückkehr zu dem modernen Entwickelungsstaate beseitigt werden, weil es klüger ist, ein reparaturunfähiges baufälliges Haus abzutragen, als zu warten, bis es einstürzt und uns unter die Trümmer begräbt. Würde die Negierung auf diese Vorschläge eingehen, so würde sie wieder in diejenige Stellung einrücken, welche sie niemals hätte verlassen sollen. Sie würde wieder Autorität, Stärke und Vertrauen gewinnen, die sie durch Werren verloren und bis jetzt nicht wieder gewonnen hat. Das Land, welches jetzt hinter dem Landtag steht und gegen die Regierung Front macht, würde ihr wieder seine Sympathie und seine Unterstützung zuwenden, ohne welche eine Regierung nicht bestehen kann, namentlich in Zeiten, wie die jetzigen, wo ein solcher Kleinstaat von tausend Gefahren umringt ist. Im Jahre 1814 hat man, um die Existenz des Landes zu retten, eine freisinnige Verfassung gege¬ ben. Möge man heute zu demselben Zwecke eine freisinnige Verfassung wieder¬ herstellen. Wir müssen gestehen, daß wenig Hoffnung vorhanden ist, unsere Vorschläge

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/408>, abgerufen am 16.05.2024.