Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

reichs Italien, hatte diesen Titel nicht abgelehnt, um ihn seinem Nebenbuhler
zuzugestehen. Oestreich wußte, welcher Zauber und welche Macht schon in dem
bloßen Namen lag. Zum Grasen San Marzano sagte Metternich im October
1814: der Kaiser, der den Geist des italienischen Jakobinismus ersticken und
durch Beseitigung der Gedanken an Verfassung und nationale Einheit die Ruhe
der Halbinsel sichern will, wird aus den Titel König von Italien verzichten;
mittlerweile hat er das italienische Heer aufgelöst, und alle Einrichtungen unter¬
drückt, welche als Vorbereitung eines großen nationalen Reichs dienen könnten.

Daß die Idee der Einheit übrigens rasch zündete, sobald die mindeste
Aussicht sich ihr eröffnete, zeigte sich namentlich zur Zeit der Unternehmung
MuratS. Graf Polignac. der im December 1814 im Austrag Frankreichs durch
Italien reiste, berichtet seinem Hofe, daß der Gedanke der itcHenischen Unab¬
hängigkeit und der Einigung aller Provinzen unter einem einzigen Fürsten dem
König Murat zahlreiche Anhänger verschaffe. Die Carboncm, die in Neapel, in
der Romagna, in Modena und der Lombardei tiefe Wurzeln geschlagen hatten,
wirkten, wie unklar und auseinandergehend sonst ihre Programme waren, in
unitarisch-nationalem Sinn und damit arbeiteten sie Murat in die Hand. Daß
dieser in seiner Proclamation vom 30. März 181S offen das Banner der Un¬
abhängigkeit Italiens entfaltete, gilt zumal bei dem tragischen Ausgang seines
Unternehmens in den Augen der nationalen Geschichtschreibung als vollgiltige
Sühne für seine Vergangenheit, und Bianchi wie Farini widmen seinem An¬
denken warme Worte. -- Das turiner Cabinet war von Anfang mit cousequenter
Feindschaft gegen Murat ausgetreten. Es war aus Legitimitätsgründen für
die Wiederherstellung der Bourbonen, aber es haßte ohne Zweifel zugleich in
Murat einen gefährlichen Rivalen und hatte allen Grund, den Versicherungen
des Herzogs Cämpochiaro zu mißtrauen, der, um die sardinische Regierung zu
sondiren, im December dem Grafen San Marzano eröffnete, sein König hege
den lebhaftesten Wunsch, das Haus Savoyen zu einer größeren Macht in Italien
gelangen zu sehen.

Als Curiosum mag bei diesen verfrühten und verirrten Einheitsbestrebungen
noch erwähnt werden, daß auch eine Partei von Patrioten existirte, welche in
Bologna, Mailand, Genua und Turin verbreitet die Aufrichtung eines italienischen
Reichs von dem Verbannten auf Elba erwartete. Nur verbat man sich dabei,
in üniversalmonarchische Pläne hineingezogen zu werden. Es erschienen Ab¬
geordnete dieser Partei in Portoferrajo, wo sie festlich empfangen wurden und
dem Kaiser eine Adresse überreichten, worin es hieß: Sire, im Namen des Vater¬
lands kommen wir, um Sie um Ihren Namen und um Ihr Schwert zu bitten
und Ihnen dagegen die Krone des wiedererstehenden römischen Reichs Anzubieten.
Italien bedarf Ihrer, die Natur hat Sie zum Italiener gewacht, Sie werden
seinem Ruf entsprechen. Belehre durch die Erfahrung Ihrer Unfälle, belebt von


reichs Italien, hatte diesen Titel nicht abgelehnt, um ihn seinem Nebenbuhler
zuzugestehen. Oestreich wußte, welcher Zauber und welche Macht schon in dem
bloßen Namen lag. Zum Grasen San Marzano sagte Metternich im October
1814: der Kaiser, der den Geist des italienischen Jakobinismus ersticken und
durch Beseitigung der Gedanken an Verfassung und nationale Einheit die Ruhe
der Halbinsel sichern will, wird aus den Titel König von Italien verzichten;
mittlerweile hat er das italienische Heer aufgelöst, und alle Einrichtungen unter¬
drückt, welche als Vorbereitung eines großen nationalen Reichs dienen könnten.

Daß die Idee der Einheit übrigens rasch zündete, sobald die mindeste
Aussicht sich ihr eröffnete, zeigte sich namentlich zur Zeit der Unternehmung
MuratS. Graf Polignac. der im December 1814 im Austrag Frankreichs durch
Italien reiste, berichtet seinem Hofe, daß der Gedanke der itcHenischen Unab¬
hängigkeit und der Einigung aller Provinzen unter einem einzigen Fürsten dem
König Murat zahlreiche Anhänger verschaffe. Die Carboncm, die in Neapel, in
der Romagna, in Modena und der Lombardei tiefe Wurzeln geschlagen hatten,
wirkten, wie unklar und auseinandergehend sonst ihre Programme waren, in
unitarisch-nationalem Sinn und damit arbeiteten sie Murat in die Hand. Daß
dieser in seiner Proclamation vom 30. März 181S offen das Banner der Un¬
abhängigkeit Italiens entfaltete, gilt zumal bei dem tragischen Ausgang seines
Unternehmens in den Augen der nationalen Geschichtschreibung als vollgiltige
Sühne für seine Vergangenheit, und Bianchi wie Farini widmen seinem An¬
denken warme Worte. — Das turiner Cabinet war von Anfang mit cousequenter
Feindschaft gegen Murat ausgetreten. Es war aus Legitimitätsgründen für
die Wiederherstellung der Bourbonen, aber es haßte ohne Zweifel zugleich in
Murat einen gefährlichen Rivalen und hatte allen Grund, den Versicherungen
des Herzogs Cämpochiaro zu mißtrauen, der, um die sardinische Regierung zu
sondiren, im December dem Grafen San Marzano eröffnete, sein König hege
den lebhaftesten Wunsch, das Haus Savoyen zu einer größeren Macht in Italien
gelangen zu sehen.

Als Curiosum mag bei diesen verfrühten und verirrten Einheitsbestrebungen
noch erwähnt werden, daß auch eine Partei von Patrioten existirte, welche in
Bologna, Mailand, Genua und Turin verbreitet die Aufrichtung eines italienischen
Reichs von dem Verbannten auf Elba erwartete. Nur verbat man sich dabei,
in üniversalmonarchische Pläne hineingezogen zu werden. Es erschienen Ab¬
geordnete dieser Partei in Portoferrajo, wo sie festlich empfangen wurden und
dem Kaiser eine Adresse überreichten, worin es hieß: Sire, im Namen des Vater¬
lands kommen wir, um Sie um Ihren Namen und um Ihr Schwert zu bitten
und Ihnen dagegen die Krone des wiedererstehenden römischen Reichs Anzubieten.
Italien bedarf Ihrer, die Natur hat Sie zum Italiener gewacht, Sie werden
seinem Ruf entsprechen. Belehre durch die Erfahrung Ihrer Unfälle, belebt von


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0484" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/285512"/>
          <p xml:id="ID_1467" prev="#ID_1466"> reichs Italien, hatte diesen Titel nicht abgelehnt, um ihn seinem Nebenbuhler<lb/>
zuzugestehen. Oestreich wußte, welcher Zauber und welche Macht schon in dem<lb/>
bloßen Namen lag. Zum Grasen San Marzano sagte Metternich im October<lb/>
1814: der Kaiser, der den Geist des italienischen Jakobinismus ersticken und<lb/>
durch Beseitigung der Gedanken an Verfassung und nationale Einheit die Ruhe<lb/>
der Halbinsel sichern will, wird aus den Titel König von Italien verzichten;<lb/>
mittlerweile hat er das italienische Heer aufgelöst, und alle Einrichtungen unter¬<lb/>
drückt, welche als Vorbereitung eines großen nationalen Reichs dienen könnten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1468"> Daß die Idee der Einheit übrigens rasch zündete, sobald die mindeste<lb/>
Aussicht sich ihr eröffnete, zeigte sich namentlich zur Zeit der Unternehmung<lb/>
MuratS. Graf Polignac. der im December 1814 im Austrag Frankreichs durch<lb/>
Italien reiste, berichtet seinem Hofe, daß der Gedanke der itcHenischen Unab¬<lb/>
hängigkeit und der Einigung aller Provinzen unter einem einzigen Fürsten dem<lb/>
König Murat zahlreiche Anhänger verschaffe. Die Carboncm, die in Neapel, in<lb/>
der Romagna, in Modena und der Lombardei tiefe Wurzeln geschlagen hatten,<lb/>
wirkten, wie unklar und auseinandergehend sonst ihre Programme waren, in<lb/>
unitarisch-nationalem Sinn und damit arbeiteten sie Murat in die Hand. Daß<lb/>
dieser in seiner Proclamation vom 30. März 181S offen das Banner der Un¬<lb/>
abhängigkeit Italiens entfaltete, gilt zumal bei dem tragischen Ausgang seines<lb/>
Unternehmens in den Augen der nationalen Geschichtschreibung als vollgiltige<lb/>
Sühne für seine Vergangenheit, und Bianchi wie Farini widmen seinem An¬<lb/>
denken warme Worte. &#x2014; Das turiner Cabinet war von Anfang mit cousequenter<lb/>
Feindschaft gegen Murat ausgetreten. Es war aus Legitimitätsgründen für<lb/>
die Wiederherstellung der Bourbonen, aber es haßte ohne Zweifel zugleich in<lb/>
Murat einen gefährlichen Rivalen und hatte allen Grund, den Versicherungen<lb/>
des Herzogs Cämpochiaro zu mißtrauen, der, um die sardinische Regierung zu<lb/>
sondiren, im December dem Grafen San Marzano eröffnete, sein König hege<lb/>
den lebhaftesten Wunsch, das Haus Savoyen zu einer größeren Macht in Italien<lb/>
gelangen zu sehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1469" next="#ID_1470"> Als Curiosum mag bei diesen verfrühten und verirrten Einheitsbestrebungen<lb/>
noch erwähnt werden, daß auch eine Partei von Patrioten existirte, welche in<lb/>
Bologna, Mailand, Genua und Turin verbreitet die Aufrichtung eines italienischen<lb/>
Reichs von dem Verbannten auf Elba erwartete. Nur verbat man sich dabei,<lb/>
in üniversalmonarchische Pläne hineingezogen zu werden. Es erschienen Ab¬<lb/>
geordnete dieser Partei in Portoferrajo, wo sie festlich empfangen wurden und<lb/>
dem Kaiser eine Adresse überreichten, worin es hieß: Sire, im Namen des Vater¬<lb/>
lands kommen wir, um Sie um Ihren Namen und um Ihr Schwert zu bitten<lb/>
und Ihnen dagegen die Krone des wiedererstehenden römischen Reichs Anzubieten.<lb/>
Italien bedarf Ihrer, die Natur hat Sie zum Italiener gewacht, Sie werden<lb/>
seinem Ruf entsprechen. Belehre durch die Erfahrung Ihrer Unfälle, belebt von</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0484] reichs Italien, hatte diesen Titel nicht abgelehnt, um ihn seinem Nebenbuhler zuzugestehen. Oestreich wußte, welcher Zauber und welche Macht schon in dem bloßen Namen lag. Zum Grasen San Marzano sagte Metternich im October 1814: der Kaiser, der den Geist des italienischen Jakobinismus ersticken und durch Beseitigung der Gedanken an Verfassung und nationale Einheit die Ruhe der Halbinsel sichern will, wird aus den Titel König von Italien verzichten; mittlerweile hat er das italienische Heer aufgelöst, und alle Einrichtungen unter¬ drückt, welche als Vorbereitung eines großen nationalen Reichs dienen könnten. Daß die Idee der Einheit übrigens rasch zündete, sobald die mindeste Aussicht sich ihr eröffnete, zeigte sich namentlich zur Zeit der Unternehmung MuratS. Graf Polignac. der im December 1814 im Austrag Frankreichs durch Italien reiste, berichtet seinem Hofe, daß der Gedanke der itcHenischen Unab¬ hängigkeit und der Einigung aller Provinzen unter einem einzigen Fürsten dem König Murat zahlreiche Anhänger verschaffe. Die Carboncm, die in Neapel, in der Romagna, in Modena und der Lombardei tiefe Wurzeln geschlagen hatten, wirkten, wie unklar und auseinandergehend sonst ihre Programme waren, in unitarisch-nationalem Sinn und damit arbeiteten sie Murat in die Hand. Daß dieser in seiner Proclamation vom 30. März 181S offen das Banner der Un¬ abhängigkeit Italiens entfaltete, gilt zumal bei dem tragischen Ausgang seines Unternehmens in den Augen der nationalen Geschichtschreibung als vollgiltige Sühne für seine Vergangenheit, und Bianchi wie Farini widmen seinem An¬ denken warme Worte. — Das turiner Cabinet war von Anfang mit cousequenter Feindschaft gegen Murat ausgetreten. Es war aus Legitimitätsgründen für die Wiederherstellung der Bourbonen, aber es haßte ohne Zweifel zugleich in Murat einen gefährlichen Rivalen und hatte allen Grund, den Versicherungen des Herzogs Cämpochiaro zu mißtrauen, der, um die sardinische Regierung zu sondiren, im December dem Grafen San Marzano eröffnete, sein König hege den lebhaftesten Wunsch, das Haus Savoyen zu einer größeren Macht in Italien gelangen zu sehen. Als Curiosum mag bei diesen verfrühten und verirrten Einheitsbestrebungen noch erwähnt werden, daß auch eine Partei von Patrioten existirte, welche in Bologna, Mailand, Genua und Turin verbreitet die Aufrichtung eines italienischen Reichs von dem Verbannten auf Elba erwartete. Nur verbat man sich dabei, in üniversalmonarchische Pläne hineingezogen zu werden. Es erschienen Ab¬ geordnete dieser Partei in Portoferrajo, wo sie festlich empfangen wurden und dem Kaiser eine Adresse überreichten, worin es hieß: Sire, im Namen des Vater¬ lands kommen wir, um Sie um Ihren Namen und um Ihr Schwert zu bitten und Ihnen dagegen die Krone des wiedererstehenden römischen Reichs Anzubieten. Italien bedarf Ihrer, die Natur hat Sie zum Italiener gewacht, Sie werden seinem Ruf entsprechen. Belehre durch die Erfahrung Ihrer Unfälle, belebt von

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/484
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/484>, abgerufen am 12.06.2024.