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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Jetzt sieht derselbe Mann mit Schrecken, daß ein großer Fehler in seiner
Rechnung war. Die Festigkeit seiner deutschen Einheit war nur ein Phantasie¬
bild, tu Wirklichkeit fehlte ihr alle reale Grundlage der Dauer und Kraft.
Deutschland war ein Diplomatenbund, abhängig von den Interessen der Re¬
gierungen und Dynastien, ohne Theilnahme des Volkes geschlossen und erhalten,
ohne Mitwirkung der Völker zerrissen; ein Bund, unwahr seit seinem Beginn,
kraftlos während seines Bestehens, ruchlos in seinem Untergang.

Und derselbe Bürger fühlt noch Anderes mit tiefer Scham, rechtlos und
schutzlos waren die höchsten Interessen der Nation, die Lebenskraft seiner Stadt,
sein eigenes Wohl und Wehe preisgegeben dem zufälligen Urtheil Weniger,
die aus abgeschlossenen Kreisen mit vorgefaßten Meinungen über das Schicksal
der deutschen Völker verfügten. Er selbst hat M seinem kleinen Staat einmal
versucht, durch demüthige und loyale Bitte auf den Gang der Ereignisse ein¬
zuwirken; er ist ungnädig beschieden worden; die Anstrengung seiner Stadt, die
Landesregierung an die Lebensinteressen der Bevölkerung zu mahnen, war
fruchtlos wie ein Strohseil, welches ein fallendes Haus vor dem Sturze be¬
wahren soll, sein eigenes Deutschthum, die Lebensbedürfnisse seiner Stadt und
seines Landes gelten noch nichts, in dem Streit der Mächtigen. Was er für
gemeinschädlich hielt, es durfte geschehen vor seinen Augen, über seinem Haupte;
ja nicht einmal in seinem Staat hat er eine Volksvertretung gehabt, die diesen
Namen verdient. Er ist ein wackerer, tüchtiger, intelligenter Mann, vielleicht
Repräsentant weitreichender Interessen, aber er ist noch ein gänzlich einflußloses
und kraftloses Object in einem politischen Kampf. Es wird ihm nicht gewehrt,
in der Stille Partei zu nehmen je nach Gemüth und verständiger Erkenntniß, aber
für den Lauf der Dinge hat sich das so gleichgiltig erwiesen, als der Klageruf
eines Vogels auf dem Baume.

Ihm ist nicht nur seine Heimath lieb, auch der Name des Staates, dem
er angehört, vielleicht auch das milde Wesen eines angestammten Fürsten, und
er vergleicht gern die Vorzüge des Heimathlandes mit den Schwächen der
Nachbarstaaten. Aber wie sehr er eingelebt ist in sein engeres Vaterland und
seinen Staat, jetzt brennt die tiefe Demüthigung, daß alles, was ihm so hold
und werth war, in der entscheidenden Stunde ihn verließ, als einen machtlosen
und rechtlosen Spielball des Geschickes, und nicht nur ihn und seine Stadt, auch
Millionen seiner Landsleute. Es ist möglich, daß er der Gewalt, welche in
einem Nachbarstaat herrscht und jetzt über die Geschicke Deutschlands als Füh¬
rer des Nordens ist den Kampf getreten ist, ohne Vorliebe zusteht, aber die
Hälfte der Deutschen, welche dort unter einem Namen vereinigt ist, vermag
doch in dieser unfertigen Vereinigung das Größte zu wagen. Wie erbittert
d,orj im Frieden die Parteien gegen einander stießen, einträchtig kämpfen jetzt
alle in ilMM Heere für eine neue Einheit der deutschen Staaten. In der


Jetzt sieht derselbe Mann mit Schrecken, daß ein großer Fehler in seiner
Rechnung war. Die Festigkeit seiner deutschen Einheit war nur ein Phantasie¬
bild, tu Wirklichkeit fehlte ihr alle reale Grundlage der Dauer und Kraft.
Deutschland war ein Diplomatenbund, abhängig von den Interessen der Re¬
gierungen und Dynastien, ohne Theilnahme des Volkes geschlossen und erhalten,
ohne Mitwirkung der Völker zerrissen; ein Bund, unwahr seit seinem Beginn,
kraftlos während seines Bestehens, ruchlos in seinem Untergang.

Und derselbe Bürger fühlt noch Anderes mit tiefer Scham, rechtlos und
schutzlos waren die höchsten Interessen der Nation, die Lebenskraft seiner Stadt,
sein eigenes Wohl und Wehe preisgegeben dem zufälligen Urtheil Weniger,
die aus abgeschlossenen Kreisen mit vorgefaßten Meinungen über das Schicksal
der deutschen Völker verfügten. Er selbst hat M seinem kleinen Staat einmal
versucht, durch demüthige und loyale Bitte auf den Gang der Ereignisse ein¬
zuwirken; er ist ungnädig beschieden worden; die Anstrengung seiner Stadt, die
Landesregierung an die Lebensinteressen der Bevölkerung zu mahnen, war
fruchtlos wie ein Strohseil, welches ein fallendes Haus vor dem Sturze be¬
wahren soll, sein eigenes Deutschthum, die Lebensbedürfnisse seiner Stadt und
seines Landes gelten noch nichts, in dem Streit der Mächtigen. Was er für
gemeinschädlich hielt, es durfte geschehen vor seinen Augen, über seinem Haupte;
ja nicht einmal in seinem Staat hat er eine Volksvertretung gehabt, die diesen
Namen verdient. Er ist ein wackerer, tüchtiger, intelligenter Mann, vielleicht
Repräsentant weitreichender Interessen, aber er ist noch ein gänzlich einflußloses
und kraftloses Object in einem politischen Kampf. Es wird ihm nicht gewehrt,
in der Stille Partei zu nehmen je nach Gemüth und verständiger Erkenntniß, aber
für den Lauf der Dinge hat sich das so gleichgiltig erwiesen, als der Klageruf
eines Vogels auf dem Baume.

Ihm ist nicht nur seine Heimath lieb, auch der Name des Staates, dem
er angehört, vielleicht auch das milde Wesen eines angestammten Fürsten, und
er vergleicht gern die Vorzüge des Heimathlandes mit den Schwächen der
Nachbarstaaten. Aber wie sehr er eingelebt ist in sein engeres Vaterland und
seinen Staat, jetzt brennt die tiefe Demüthigung, daß alles, was ihm so hold
und werth war, in der entscheidenden Stunde ihn verließ, als einen machtlosen
und rechtlosen Spielball des Geschickes, und nicht nur ihn und seine Stadt, auch
Millionen seiner Landsleute. Es ist möglich, daß er der Gewalt, welche in
einem Nachbarstaat herrscht und jetzt über die Geschicke Deutschlands als Füh¬
rer des Nordens ist den Kampf getreten ist, ohne Vorliebe zusteht, aber die
Hälfte der Deutschen, welche dort unter einem Namen vereinigt ist, vermag
doch in dieser unfertigen Vereinigung das Größte zu wagen. Wie erbittert
d,orj im Frieden die Parteien gegen einander stießen, einträchtig kämpfen jetzt
alle in ilMM Heere für eine neue Einheit der deutschen Staaten. In der


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[0524] Jetzt sieht derselbe Mann mit Schrecken, daß ein großer Fehler in seiner Rechnung war. Die Festigkeit seiner deutschen Einheit war nur ein Phantasie¬ bild, tu Wirklichkeit fehlte ihr alle reale Grundlage der Dauer und Kraft. Deutschland war ein Diplomatenbund, abhängig von den Interessen der Re¬ gierungen und Dynastien, ohne Theilnahme des Volkes geschlossen und erhalten, ohne Mitwirkung der Völker zerrissen; ein Bund, unwahr seit seinem Beginn, kraftlos während seines Bestehens, ruchlos in seinem Untergang. Und derselbe Bürger fühlt noch Anderes mit tiefer Scham, rechtlos und schutzlos waren die höchsten Interessen der Nation, die Lebenskraft seiner Stadt, sein eigenes Wohl und Wehe preisgegeben dem zufälligen Urtheil Weniger, die aus abgeschlossenen Kreisen mit vorgefaßten Meinungen über das Schicksal der deutschen Völker verfügten. Er selbst hat M seinem kleinen Staat einmal versucht, durch demüthige und loyale Bitte auf den Gang der Ereignisse ein¬ zuwirken; er ist ungnädig beschieden worden; die Anstrengung seiner Stadt, die Landesregierung an die Lebensinteressen der Bevölkerung zu mahnen, war fruchtlos wie ein Strohseil, welches ein fallendes Haus vor dem Sturze be¬ wahren soll, sein eigenes Deutschthum, die Lebensbedürfnisse seiner Stadt und seines Landes gelten noch nichts, in dem Streit der Mächtigen. Was er für gemeinschädlich hielt, es durfte geschehen vor seinen Augen, über seinem Haupte; ja nicht einmal in seinem Staat hat er eine Volksvertretung gehabt, die diesen Namen verdient. Er ist ein wackerer, tüchtiger, intelligenter Mann, vielleicht Repräsentant weitreichender Interessen, aber er ist noch ein gänzlich einflußloses und kraftloses Object in einem politischen Kampf. Es wird ihm nicht gewehrt, in der Stille Partei zu nehmen je nach Gemüth und verständiger Erkenntniß, aber für den Lauf der Dinge hat sich das so gleichgiltig erwiesen, als der Klageruf eines Vogels auf dem Baume. Ihm ist nicht nur seine Heimath lieb, auch der Name des Staates, dem er angehört, vielleicht auch das milde Wesen eines angestammten Fürsten, und er vergleicht gern die Vorzüge des Heimathlandes mit den Schwächen der Nachbarstaaten. Aber wie sehr er eingelebt ist in sein engeres Vaterland und seinen Staat, jetzt brennt die tiefe Demüthigung, daß alles, was ihm so hold und werth war, in der entscheidenden Stunde ihn verließ, als einen machtlosen und rechtlosen Spielball des Geschickes, und nicht nur ihn und seine Stadt, auch Millionen seiner Landsleute. Es ist möglich, daß er der Gewalt, welche in einem Nachbarstaat herrscht und jetzt über die Geschicke Deutschlands als Füh¬ rer des Nordens ist den Kampf getreten ist, ohne Vorliebe zusteht, aber die Hälfte der Deutschen, welche dort unter einem Namen vereinigt ist, vermag doch in dieser unfertigen Vereinigung das Größte zu wagen. Wie erbittert d,orj im Frieden die Parteien gegen einander stießen, einträchtig kämpfen jetzt alle in ilMM Heere für eine neue Einheit der deutschen Staaten. In der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/524>, abgerufen am 05.06.2024.