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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Kraftentwickelung dort, in Wollen und Kampf muß er, wenn auch widerwillig,
etwas Großes anerkennen. Er aber sieht zu, er duldet und liegt wie weiches
Blei zwischen Hammer und Ambos. Sehr wacker und tüchtig war er, er ist
bis jetzt doch ein politisches Nichts gewesen; groß hat er sich im Festschmuck
seiner Stadt als Deutscher gefühlt, er war es nur so lange, als es einigen
lächelnden Diplomaten gefiel, oder bis der Zwang des Krieges, der die Wet>
ter über seinem Haupte sammelt, über ihn, sein Leben und seinen Namen ent-
scheidet.

Hat der Bürger in Wahrheit das Herz eines Mannes, so muß ihm diese
elende politische Lage, in der er bis jetzt dahingelebt hat, durch die letzten
Wochen unerträglich geworden sein; ist er nicht ganz stumpf an Urtheil und
entnervt im Willen und ganz verblendet durch Lataicndemuth, so muß in ihm
während dieser Tage der Gefahr und Noth die feste Ueberzeugung aufglühen,
daß das so mit ihm nicht bleiben darf; daß er trotz aller Privattugenden ein
schlechter Bürger seiner Stadt und seines Landes ist, wenn er nicht jeden
Muskel seiner Kraft anspannt, festere Grundlagen seines Lebens zu finden,
eine bessere Bürgschaft für sein Deutschthum, die ihm und seinen Kindern Ge-
währ giebt, daß dergleichen, was er jetzt erlebte, fortan unmöglich werde.

Dafür aber giebt es nur einen Weg, einen sichern und gefahrlosen. Was
Veranlassung dieses Krieges geworden ist, das vermag auch dem Opfer deS
Krieges und seiner Heimath Rettung zu bringen. Der Krieg ist entbrannt
nicht wegen altem Zwist zweier Großmächte um speergewonnenes Land, son¬
dern in Wahrheit, weil die eine den Muth hatte, eine neue Organisation der
Deutschen in festerem Bunde zu fordern. Es ist thöricht, an den letzten Motiven
zu mäkeln, welche die Forderung eines freien und einheitlich verbundenen
Deutschlands veranlaßt haben. Die Forderung an sich ist gut, höchst berechtigt
und nothwendig für unser Leben und Glück, für unsere Ehre und unsern
Stolz; sie ist für das Gedeihen unserer Stadt und des Einzelnen fortan die
einzige Hilfe und Rettung. Der Staat, welcher diese Forderung erhoben, hat
sie jetzt zur eigenen Lebensfrage gemacht, seine ganze waffenfähige Mannschaft
steht dafür im Felde. Es ist gewaltiger Ernst geworden, und an jeden tritt
die Forderung heran, sich zu entscheiden, ob er an diesem neuen Gebäude über
deutschem Boden helfen will oder nicht, ob er sein Haupt unter sicherem Dach
bergen, oder aber ohnmächtig und thatlos vegetiren will, ein Deutscher beim
Glase Wein, im Ernst des Lebens ein staatloses, kraftloses, verachtetes Einzel-
Wesen.

Es wird von ihm nicht verlangt, daß er seine eigene Art. den heimischen
Namen, Vorliebe und Abneigungen in sich ausrotten soll. Das wäre allzu
schwere Arbeit für diese Tage. Nur an seinen Vortheil und seine Ehre soll
er denken, an seine Arbeit, an die Häupter seine Söhne, denen er ein malum-


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Kraftentwickelung dort, in Wollen und Kampf muß er, wenn auch widerwillig,
etwas Großes anerkennen. Er aber sieht zu, er duldet und liegt wie weiches
Blei zwischen Hammer und Ambos. Sehr wacker und tüchtig war er, er ist
bis jetzt doch ein politisches Nichts gewesen; groß hat er sich im Festschmuck
seiner Stadt als Deutscher gefühlt, er war es nur so lange, als es einigen
lächelnden Diplomaten gefiel, oder bis der Zwang des Krieges, der die Wet>
ter über seinem Haupte sammelt, über ihn, sein Leben und seinen Namen ent-
scheidet.

Hat der Bürger in Wahrheit das Herz eines Mannes, so muß ihm diese
elende politische Lage, in der er bis jetzt dahingelebt hat, durch die letzten
Wochen unerträglich geworden sein; ist er nicht ganz stumpf an Urtheil und
entnervt im Willen und ganz verblendet durch Lataicndemuth, so muß in ihm
während dieser Tage der Gefahr und Noth die feste Ueberzeugung aufglühen,
daß das so mit ihm nicht bleiben darf; daß er trotz aller Privattugenden ein
schlechter Bürger seiner Stadt und seines Landes ist, wenn er nicht jeden
Muskel seiner Kraft anspannt, festere Grundlagen seines Lebens zu finden,
eine bessere Bürgschaft für sein Deutschthum, die ihm und seinen Kindern Ge-
währ giebt, daß dergleichen, was er jetzt erlebte, fortan unmöglich werde.

Dafür aber giebt es nur einen Weg, einen sichern und gefahrlosen. Was
Veranlassung dieses Krieges geworden ist, das vermag auch dem Opfer deS
Krieges und seiner Heimath Rettung zu bringen. Der Krieg ist entbrannt
nicht wegen altem Zwist zweier Großmächte um speergewonnenes Land, son¬
dern in Wahrheit, weil die eine den Muth hatte, eine neue Organisation der
Deutschen in festerem Bunde zu fordern. Es ist thöricht, an den letzten Motiven
zu mäkeln, welche die Forderung eines freien und einheitlich verbundenen
Deutschlands veranlaßt haben. Die Forderung an sich ist gut, höchst berechtigt
und nothwendig für unser Leben und Glück, für unsere Ehre und unsern
Stolz; sie ist für das Gedeihen unserer Stadt und des Einzelnen fortan die
einzige Hilfe und Rettung. Der Staat, welcher diese Forderung erhoben, hat
sie jetzt zur eigenen Lebensfrage gemacht, seine ganze waffenfähige Mannschaft
steht dafür im Felde. Es ist gewaltiger Ernst geworden, und an jeden tritt
die Forderung heran, sich zu entscheiden, ob er an diesem neuen Gebäude über
deutschem Boden helfen will oder nicht, ob er sein Haupt unter sicherem Dach
bergen, oder aber ohnmächtig und thatlos vegetiren will, ein Deutscher beim
Glase Wein, im Ernst des Lebens ein staatloses, kraftloses, verachtetes Einzel-
Wesen.

Es wird von ihm nicht verlangt, daß er seine eigene Art. den heimischen
Namen, Vorliebe und Abneigungen in sich ausrotten soll. Das wäre allzu
schwere Arbeit für diese Tage. Nur an seinen Vortheil und seine Ehre soll
er denken, an seine Arbeit, an die Häupter seine Söhne, denen er ein malum-


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[0525] Kraftentwickelung dort, in Wollen und Kampf muß er, wenn auch widerwillig, etwas Großes anerkennen. Er aber sieht zu, er duldet und liegt wie weiches Blei zwischen Hammer und Ambos. Sehr wacker und tüchtig war er, er ist bis jetzt doch ein politisches Nichts gewesen; groß hat er sich im Festschmuck seiner Stadt als Deutscher gefühlt, er war es nur so lange, als es einigen lächelnden Diplomaten gefiel, oder bis der Zwang des Krieges, der die Wet> ter über seinem Haupte sammelt, über ihn, sein Leben und seinen Namen ent- scheidet. Hat der Bürger in Wahrheit das Herz eines Mannes, so muß ihm diese elende politische Lage, in der er bis jetzt dahingelebt hat, durch die letzten Wochen unerträglich geworden sein; ist er nicht ganz stumpf an Urtheil und entnervt im Willen und ganz verblendet durch Lataicndemuth, so muß in ihm während dieser Tage der Gefahr und Noth die feste Ueberzeugung aufglühen, daß das so mit ihm nicht bleiben darf; daß er trotz aller Privattugenden ein schlechter Bürger seiner Stadt und seines Landes ist, wenn er nicht jeden Muskel seiner Kraft anspannt, festere Grundlagen seines Lebens zu finden, eine bessere Bürgschaft für sein Deutschthum, die ihm und seinen Kindern Ge- währ giebt, daß dergleichen, was er jetzt erlebte, fortan unmöglich werde. Dafür aber giebt es nur einen Weg, einen sichern und gefahrlosen. Was Veranlassung dieses Krieges geworden ist, das vermag auch dem Opfer deS Krieges und seiner Heimath Rettung zu bringen. Der Krieg ist entbrannt nicht wegen altem Zwist zweier Großmächte um speergewonnenes Land, son¬ dern in Wahrheit, weil die eine den Muth hatte, eine neue Organisation der Deutschen in festerem Bunde zu fordern. Es ist thöricht, an den letzten Motiven zu mäkeln, welche die Forderung eines freien und einheitlich verbundenen Deutschlands veranlaßt haben. Die Forderung an sich ist gut, höchst berechtigt und nothwendig für unser Leben und Glück, für unsere Ehre und unsern Stolz; sie ist für das Gedeihen unserer Stadt und des Einzelnen fortan die einzige Hilfe und Rettung. Der Staat, welcher diese Forderung erhoben, hat sie jetzt zur eigenen Lebensfrage gemacht, seine ganze waffenfähige Mannschaft steht dafür im Felde. Es ist gewaltiger Ernst geworden, und an jeden tritt die Forderung heran, sich zu entscheiden, ob er an diesem neuen Gebäude über deutschem Boden helfen will oder nicht, ob er sein Haupt unter sicherem Dach bergen, oder aber ohnmächtig und thatlos vegetiren will, ein Deutscher beim Glase Wein, im Ernst des Lebens ein staatloses, kraftloses, verachtetes Einzel- Wesen. Es wird von ihm nicht verlangt, daß er seine eigene Art. den heimischen Namen, Vorliebe und Abneigungen in sich ausrotten soll. Das wäre allzu schwere Arbeit für diese Tage. Nur an seinen Vortheil und seine Ehre soll er denken, an seine Arbeit, an die Häupter seine Söhne, denen er ein malum- 62"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/525>, abgerufen am 16.05.2024.