Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

sitionskampf in Preußen auf einen Verfall des Staates schlössen, auch die guten
Freunde im Ausland, welche der preußischen Opposion Mangel an Patriotismus
Schuld gaben. Diese Opposition hat bis zum letzten Augenblick, wo Friedens¬
worte wirken konnten, ihre Pflicht gethan, sie wird jetzt im Kriege ebenso voll
thun, was dem Preußen ziemt.

Es ist selbstverständlich, daß die Umwandlung in der Parteitaktik, welche
durch die gewandelte Lage geboten ist, nicht jedem gleich schnell in das Ge¬
müth geht; wer in Preußen Jahre lang erbitterte Opposition gegen das System
gemacht hat, der braucht vielleicht Zeit, sich von seinem Erstaunen zu erholen,
daß er jetzt plötzlich jeden Erfolg der Politik des Ministerpräsidenten als einen
Vortheil für den Staat und jeden Verlust des Heeres als sein eigenes Unglück,
empfindet. Aber ob sich schneller, ob sich langsamer in ihm vollziehe, was durch
den Krieg ihm zur Pflicht wird, mit Sicherheit ist vorauszusehen, daß jeder
wackere Mann die Nothwendigkeit erkennen wird, seine Forderungen dem Be¬
dürfniß des Staates anzupassen, ja man darf unbesorgt sein, das Gefühl wird
bei den Meisten der Arbeit des Verstandes vorauseilen.

Es war bis zum Ausbruch des Krieges patriotische Pflicht der Opposition,
die inneren Mißstände des Systems der Negierung unausgesetzt fühlbar zu
machen, schweigendes Ertragen wäre Unglück und Unrecht gewesen. Denn ihre
Aufgabe war damals, eine herausfordernde Politik zu erschweren, so weit ihre
Kraft reichte auf Beendigung des innern Zwistes zu dringen, vor dem civilisirten
Europa, vor den deutschen Bundesgenossen kund zu thun, daß Preußen kein
Feudalstaat sei, sondern daß sein Volk dieselben liberalen Forderungen und Inter¬
essen vertrete wie die Opposition in Hannover, Kurhessen, Nassau, Baden. Die
Regierung war ihrer Parteifarbe nach nicht im Stande, die auch für einen
Krieg unentbehrliche Popularität zu erwerben, der Opposition fiel deshalb die
Aufgabe zu, nach Kräften die Gemeinsamkeit der preußischen Gesinnung mit
dem übrigen Deutschland zu constatiren und die Sympathien der Bevölkerungen
für Preußen so viel als noch irgend möglich rege zu erhalten. Darum war,
so lange der Krieg nicht ausgebrochen, der äußerste Widerstand gegen das
System ein Vortheil Preußens. Jetzt ist mit einem Schlage das ganze Sach¬
verhältniß geändert, eine Coalition von Staaten des aufgelösten Bundes ist in
unerhörter Weise, wie über Nacht gegen Preußen gehäuft. Grade die berech¬
tigten und patriotischen Forderungen der preußischen Regierung haben diesen
Widerstand aufgeregt. Der Staat ist von Feinden umgeben, die preußischen
Heere haben die ungeheure Aufgabe, einen Kreisbogen, der von Görlitz bis
Trier läuft, eine Curve von 140 Meilen Länge militärisch zu behaupten. Die
Gefahr ist groß, die Existenz des Staates gefährdet.

Durch diese plötzliche Veränderung ist die Stellung der Opposition eine
völlig andere geworden, nicht nur weil jetzt die patriotische Pflicht eine andere


sitionskampf in Preußen auf einen Verfall des Staates schlössen, auch die guten
Freunde im Ausland, welche der preußischen Opposion Mangel an Patriotismus
Schuld gaben. Diese Opposition hat bis zum letzten Augenblick, wo Friedens¬
worte wirken konnten, ihre Pflicht gethan, sie wird jetzt im Kriege ebenso voll
thun, was dem Preußen ziemt.

Es ist selbstverständlich, daß die Umwandlung in der Parteitaktik, welche
durch die gewandelte Lage geboten ist, nicht jedem gleich schnell in das Ge¬
müth geht; wer in Preußen Jahre lang erbitterte Opposition gegen das System
gemacht hat, der braucht vielleicht Zeit, sich von seinem Erstaunen zu erholen,
daß er jetzt plötzlich jeden Erfolg der Politik des Ministerpräsidenten als einen
Vortheil für den Staat und jeden Verlust des Heeres als sein eigenes Unglück,
empfindet. Aber ob sich schneller, ob sich langsamer in ihm vollziehe, was durch
den Krieg ihm zur Pflicht wird, mit Sicherheit ist vorauszusehen, daß jeder
wackere Mann die Nothwendigkeit erkennen wird, seine Forderungen dem Be¬
dürfniß des Staates anzupassen, ja man darf unbesorgt sein, das Gefühl wird
bei den Meisten der Arbeit des Verstandes vorauseilen.

Es war bis zum Ausbruch des Krieges patriotische Pflicht der Opposition,
die inneren Mißstände des Systems der Negierung unausgesetzt fühlbar zu
machen, schweigendes Ertragen wäre Unglück und Unrecht gewesen. Denn ihre
Aufgabe war damals, eine herausfordernde Politik zu erschweren, so weit ihre
Kraft reichte auf Beendigung des innern Zwistes zu dringen, vor dem civilisirten
Europa, vor den deutschen Bundesgenossen kund zu thun, daß Preußen kein
Feudalstaat sei, sondern daß sein Volk dieselben liberalen Forderungen und Inter¬
essen vertrete wie die Opposition in Hannover, Kurhessen, Nassau, Baden. Die
Regierung war ihrer Parteifarbe nach nicht im Stande, die auch für einen
Krieg unentbehrliche Popularität zu erwerben, der Opposition fiel deshalb die
Aufgabe zu, nach Kräften die Gemeinsamkeit der preußischen Gesinnung mit
dem übrigen Deutschland zu constatiren und die Sympathien der Bevölkerungen
für Preußen so viel als noch irgend möglich rege zu erhalten. Darum war,
so lange der Krieg nicht ausgebrochen, der äußerste Widerstand gegen das
System ein Vortheil Preußens. Jetzt ist mit einem Schlage das ganze Sach¬
verhältniß geändert, eine Coalition von Staaten des aufgelösten Bundes ist in
unerhörter Weise, wie über Nacht gegen Preußen gehäuft. Grade die berech¬
tigten und patriotischen Forderungen der preußischen Regierung haben diesen
Widerstand aufgeregt. Der Staat ist von Feinden umgeben, die preußischen
Heere haben die ungeheure Aufgabe, einen Kreisbogen, der von Görlitz bis
Trier läuft, eine Curve von 140 Meilen Länge militärisch zu behaupten. Die
Gefahr ist groß, die Existenz des Staates gefährdet.

Durch diese plötzliche Veränderung ist die Stellung der Opposition eine
völlig andere geworden, nicht nur weil jetzt die patriotische Pflicht eine andere


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0527" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/285555"/>
          <p xml:id="ID_1593" prev="#ID_1592"> sitionskampf in Preußen auf einen Verfall des Staates schlössen, auch die guten<lb/>
Freunde im Ausland, welche der preußischen Opposion Mangel an Patriotismus<lb/>
Schuld gaben. Diese Opposition hat bis zum letzten Augenblick, wo Friedens¬<lb/>
worte wirken konnten, ihre Pflicht gethan, sie wird jetzt im Kriege ebenso voll<lb/>
thun, was dem Preußen ziemt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1594"> Es ist selbstverständlich, daß die Umwandlung in der Parteitaktik, welche<lb/>
durch die gewandelte Lage geboten ist, nicht jedem gleich schnell in das Ge¬<lb/>
müth geht; wer in Preußen Jahre lang erbitterte Opposition gegen das System<lb/>
gemacht hat, der braucht vielleicht Zeit, sich von seinem Erstaunen zu erholen,<lb/>
daß er jetzt plötzlich jeden Erfolg der Politik des Ministerpräsidenten als einen<lb/>
Vortheil für den Staat und jeden Verlust des Heeres als sein eigenes Unglück,<lb/>
empfindet. Aber ob sich schneller, ob sich langsamer in ihm vollziehe, was durch<lb/>
den Krieg ihm zur Pflicht wird, mit Sicherheit ist vorauszusehen, daß jeder<lb/>
wackere Mann die Nothwendigkeit erkennen wird, seine Forderungen dem Be¬<lb/>
dürfniß des Staates anzupassen, ja man darf unbesorgt sein, das Gefühl wird<lb/>
bei den Meisten der Arbeit des Verstandes vorauseilen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1595"> Es war bis zum Ausbruch des Krieges patriotische Pflicht der Opposition,<lb/>
die inneren Mißstände des Systems der Negierung unausgesetzt fühlbar zu<lb/>
machen, schweigendes Ertragen wäre Unglück und Unrecht gewesen. Denn ihre<lb/>
Aufgabe war damals, eine herausfordernde Politik zu erschweren, so weit ihre<lb/>
Kraft reichte auf Beendigung des innern Zwistes zu dringen, vor dem civilisirten<lb/>
Europa, vor den deutschen Bundesgenossen kund zu thun, daß Preußen kein<lb/>
Feudalstaat sei, sondern daß sein Volk dieselben liberalen Forderungen und Inter¬<lb/>
essen vertrete wie die Opposition in Hannover, Kurhessen, Nassau, Baden. Die<lb/>
Regierung war ihrer Parteifarbe nach nicht im Stande, die auch für einen<lb/>
Krieg unentbehrliche Popularität zu erwerben, der Opposition fiel deshalb die<lb/>
Aufgabe zu, nach Kräften die Gemeinsamkeit der preußischen Gesinnung mit<lb/>
dem übrigen Deutschland zu constatiren und die Sympathien der Bevölkerungen<lb/>
für Preußen so viel als noch irgend möglich rege zu erhalten. Darum war,<lb/>
so lange der Krieg nicht ausgebrochen, der äußerste Widerstand gegen das<lb/>
System ein Vortheil Preußens. Jetzt ist mit einem Schlage das ganze Sach¬<lb/>
verhältniß geändert, eine Coalition von Staaten des aufgelösten Bundes ist in<lb/>
unerhörter Weise, wie über Nacht gegen Preußen gehäuft. Grade die berech¬<lb/>
tigten und patriotischen Forderungen der preußischen Regierung haben diesen<lb/>
Widerstand aufgeregt. Der Staat ist von Feinden umgeben, die preußischen<lb/>
Heere haben die ungeheure Aufgabe, einen Kreisbogen, der von Görlitz bis<lb/>
Trier läuft, eine Curve von 140 Meilen Länge militärisch zu behaupten. Die<lb/>
Gefahr ist groß, die Existenz des Staates gefährdet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1596" next="#ID_1597"> Durch diese plötzliche Veränderung ist die Stellung der Opposition eine<lb/>
völlig andere geworden, nicht nur weil jetzt die patriotische Pflicht eine andere</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0527] sitionskampf in Preußen auf einen Verfall des Staates schlössen, auch die guten Freunde im Ausland, welche der preußischen Opposion Mangel an Patriotismus Schuld gaben. Diese Opposition hat bis zum letzten Augenblick, wo Friedens¬ worte wirken konnten, ihre Pflicht gethan, sie wird jetzt im Kriege ebenso voll thun, was dem Preußen ziemt. Es ist selbstverständlich, daß die Umwandlung in der Parteitaktik, welche durch die gewandelte Lage geboten ist, nicht jedem gleich schnell in das Ge¬ müth geht; wer in Preußen Jahre lang erbitterte Opposition gegen das System gemacht hat, der braucht vielleicht Zeit, sich von seinem Erstaunen zu erholen, daß er jetzt plötzlich jeden Erfolg der Politik des Ministerpräsidenten als einen Vortheil für den Staat und jeden Verlust des Heeres als sein eigenes Unglück, empfindet. Aber ob sich schneller, ob sich langsamer in ihm vollziehe, was durch den Krieg ihm zur Pflicht wird, mit Sicherheit ist vorauszusehen, daß jeder wackere Mann die Nothwendigkeit erkennen wird, seine Forderungen dem Be¬ dürfniß des Staates anzupassen, ja man darf unbesorgt sein, das Gefühl wird bei den Meisten der Arbeit des Verstandes vorauseilen. Es war bis zum Ausbruch des Krieges patriotische Pflicht der Opposition, die inneren Mißstände des Systems der Negierung unausgesetzt fühlbar zu machen, schweigendes Ertragen wäre Unglück und Unrecht gewesen. Denn ihre Aufgabe war damals, eine herausfordernde Politik zu erschweren, so weit ihre Kraft reichte auf Beendigung des innern Zwistes zu dringen, vor dem civilisirten Europa, vor den deutschen Bundesgenossen kund zu thun, daß Preußen kein Feudalstaat sei, sondern daß sein Volk dieselben liberalen Forderungen und Inter¬ essen vertrete wie die Opposition in Hannover, Kurhessen, Nassau, Baden. Die Regierung war ihrer Parteifarbe nach nicht im Stande, die auch für einen Krieg unentbehrliche Popularität zu erwerben, der Opposition fiel deshalb die Aufgabe zu, nach Kräften die Gemeinsamkeit der preußischen Gesinnung mit dem übrigen Deutschland zu constatiren und die Sympathien der Bevölkerungen für Preußen so viel als noch irgend möglich rege zu erhalten. Darum war, so lange der Krieg nicht ausgebrochen, der äußerste Widerstand gegen das System ein Vortheil Preußens. Jetzt ist mit einem Schlage das ganze Sach¬ verhältniß geändert, eine Coalition von Staaten des aufgelösten Bundes ist in unerhörter Weise, wie über Nacht gegen Preußen gehäuft. Grade die berech¬ tigten und patriotischen Forderungen der preußischen Regierung haben diesen Widerstand aufgeregt. Der Staat ist von Feinden umgeben, die preußischen Heere haben die ungeheure Aufgabe, einen Kreisbogen, der von Görlitz bis Trier läuft, eine Curve von 140 Meilen Länge militärisch zu behaupten. Die Gefahr ist groß, die Existenz des Staates gefährdet. Durch diese plötzliche Veränderung ist die Stellung der Opposition eine völlig andere geworden, nicht nur weil jetzt die patriotische Pflicht eine andere

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/527
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/527>, abgerufen am 15.05.2024.