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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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er in solchem Falle bereit, ihn für den Bedrängten einzusetzen, während er für
sich selbst im strengsten Sinne des Wortes niemals einen Fuß oder eine Hand
geregt hat, um sich irgendeinen, wenn auch noch so sehr durch die allgemeine
Sitte erlaubten Vortheil zu verschaffen. Es genügte ihm nicht, mit einer bloßen-
wenn auch noch so reichlichen Unterstützung an Geld oder andern brauchbaren
Dingen sich einen solchen Hilfsbedürftigen vom Halse zu schaffen: er behielt
in seinem Herzen die fortwährende Verpflichtung für ihn zu sorgen, wo und wie
er konnte, bis jener selbst wieder so weit sich emporgearbeitet hatte, um sich allein
forthelfen zu können. Aber sogar die schriftlichen Zeugnisse für diese seine
edelsten Thaten suchte er so Viel wie möglich zu beseitigen, damit sie nicht durch
irgendwelchen Zufall in weniger zartfühlende Hände gerathen möchten, und
daher entzieht sich das meiste Derartige für immer der Kenntniß auch derer, die
^ getreu dem Geiste, in dem es geschehen ist, nur als eine heilige Erinnerung
der Stille des eignen Gemüths aufbewahren würden. Denn jedes Hervor¬
gehen an die Oeffentlichkeit würde in diesem Falle für eine Profanirung zu
rechnen sein.

Es ist schon bemerkt, daß es nicht die geringste Mühe kostete, mit ihm in
eine wahrhaft unerschöpfliche mündliche Unterhaltung zu gelangen. Jeder, dem
dies Glück zu Theil wurde, wird es bestätigen, zugleich aber auch, wenn er
dafür anders irgendeine Empfänglichkeit besaß, daß er den Eindruck eures
solchen Gesprächs als eine unauslöschliche Erinnerung für das ganze Leben
bewahrt. Es gab kaum einen Gegenstand in dem ganzen unendlichen Bereiche
menschlicher Interessen und Zustände, der nicht auch für ihn eine verständliche
und gemüthliche Beziehung gehabt hätte. Daher er denn auch mit sogenannten
gewöhnlichen Menschen gern und oft. wie es grade der Zufall nut sich brachte.
Verkehrte. Von einer vornehmen Zugeknöpftbeit. die ihm mancher andichtet, der
U)n nie gesprochen hat. besaß er auch nicht eine Spur. Nur wenn ihm ein
^r zu selbstgefälliger Redeschwall entgegenströmte, konnte er wohl einsilbig
werden oder auch ganz verstummen und Andern die Leitung der Unterhaltung
überlassen. Doch ließ er sich auch wohl solche Leute gefallen, wenn sie nur
seiner durchaus natürlichen Haltung nachgebend allmäl.g aus dem Gew.rre
ihrer Phrasen sich losmachten. Er liebte sehr ein belebtes Wechselgespräch und
Hörtees gern, wenn der Andre ohne alle Scheu seine besondern Ansichten oder
Ueberzeugungen, gleichviel welcher Art. den feurigen scharf und entschieden gegen¬
überstellte. Er selbst konnte nicht anders als stets seine volle und ganze Meinung
von irgendeiner Sache, einer wissenschaftlichen oder Tagesfrage, aussp.neben.
Reserven irgendwelcher Art gab es für ihn nicht. schwieg er ja einmal
"nein Andern gegenüber, der ihn nicht überzeugt hatte, so war es immer nur.
weil ihm grade diese Persönlichkeit und nicht'die Sache, die sie vertrat, einen
unangenehmen Eindruck machte. Selbst den eigentlichen Herzensfreunden, seinem


Grenzboten II. 18KS.

er in solchem Falle bereit, ihn für den Bedrängten einzusetzen, während er für
sich selbst im strengsten Sinne des Wortes niemals einen Fuß oder eine Hand
geregt hat, um sich irgendeinen, wenn auch noch so sehr durch die allgemeine
Sitte erlaubten Vortheil zu verschaffen. Es genügte ihm nicht, mit einer bloßen-
wenn auch noch so reichlichen Unterstützung an Geld oder andern brauchbaren
Dingen sich einen solchen Hilfsbedürftigen vom Halse zu schaffen: er behielt
in seinem Herzen die fortwährende Verpflichtung für ihn zu sorgen, wo und wie
er konnte, bis jener selbst wieder so weit sich emporgearbeitet hatte, um sich allein
forthelfen zu können. Aber sogar die schriftlichen Zeugnisse für diese seine
edelsten Thaten suchte er so Viel wie möglich zu beseitigen, damit sie nicht durch
irgendwelchen Zufall in weniger zartfühlende Hände gerathen möchten, und
daher entzieht sich das meiste Derartige für immer der Kenntniß auch derer, die
^ getreu dem Geiste, in dem es geschehen ist, nur als eine heilige Erinnerung
der Stille des eignen Gemüths aufbewahren würden. Denn jedes Hervor¬
gehen an die Oeffentlichkeit würde in diesem Falle für eine Profanirung zu
rechnen sein.

Es ist schon bemerkt, daß es nicht die geringste Mühe kostete, mit ihm in
eine wahrhaft unerschöpfliche mündliche Unterhaltung zu gelangen. Jeder, dem
dies Glück zu Theil wurde, wird es bestätigen, zugleich aber auch, wenn er
dafür anders irgendeine Empfänglichkeit besaß, daß er den Eindruck eures
solchen Gesprächs als eine unauslöschliche Erinnerung für das ganze Leben
bewahrt. Es gab kaum einen Gegenstand in dem ganzen unendlichen Bereiche
menschlicher Interessen und Zustände, der nicht auch für ihn eine verständliche
und gemüthliche Beziehung gehabt hätte. Daher er denn auch mit sogenannten
gewöhnlichen Menschen gern und oft. wie es grade der Zufall nut sich brachte.
Verkehrte. Von einer vornehmen Zugeknöpftbeit. die ihm mancher andichtet, der
U)n nie gesprochen hat. besaß er auch nicht eine Spur. Nur wenn ihm ein
^r zu selbstgefälliger Redeschwall entgegenströmte, konnte er wohl einsilbig
werden oder auch ganz verstummen und Andern die Leitung der Unterhaltung
überlassen. Doch ließ er sich auch wohl solche Leute gefallen, wenn sie nur
seiner durchaus natürlichen Haltung nachgebend allmäl.g aus dem Gew.rre
ihrer Phrasen sich losmachten. Er liebte sehr ein belebtes Wechselgespräch und
Hörtees gern, wenn der Andre ohne alle Scheu seine besondern Ansichten oder
Ueberzeugungen, gleichviel welcher Art. den feurigen scharf und entschieden gegen¬
überstellte. Er selbst konnte nicht anders als stets seine volle und ganze Meinung
von irgendeiner Sache, einer wissenschaftlichen oder Tagesfrage, aussp.neben.
Reserven irgendwelcher Art gab es für ihn nicht. schwieg er ja einmal
"nein Andern gegenüber, der ihn nicht überzeugt hatte, so war es immer nur.
weil ihm grade diese Persönlichkeit und nicht'die Sache, die sie vertrat, einen
unangenehmen Eindruck machte. Selbst den eigentlichen Herzensfreunden, seinem


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[0085] er in solchem Falle bereit, ihn für den Bedrängten einzusetzen, während er für sich selbst im strengsten Sinne des Wortes niemals einen Fuß oder eine Hand geregt hat, um sich irgendeinen, wenn auch noch so sehr durch die allgemeine Sitte erlaubten Vortheil zu verschaffen. Es genügte ihm nicht, mit einer bloßen- wenn auch noch so reichlichen Unterstützung an Geld oder andern brauchbaren Dingen sich einen solchen Hilfsbedürftigen vom Halse zu schaffen: er behielt in seinem Herzen die fortwährende Verpflichtung für ihn zu sorgen, wo und wie er konnte, bis jener selbst wieder so weit sich emporgearbeitet hatte, um sich allein forthelfen zu können. Aber sogar die schriftlichen Zeugnisse für diese seine edelsten Thaten suchte er so Viel wie möglich zu beseitigen, damit sie nicht durch irgendwelchen Zufall in weniger zartfühlende Hände gerathen möchten, und daher entzieht sich das meiste Derartige für immer der Kenntniß auch derer, die ^ getreu dem Geiste, in dem es geschehen ist, nur als eine heilige Erinnerung der Stille des eignen Gemüths aufbewahren würden. Denn jedes Hervor¬ gehen an die Oeffentlichkeit würde in diesem Falle für eine Profanirung zu rechnen sein. Es ist schon bemerkt, daß es nicht die geringste Mühe kostete, mit ihm in eine wahrhaft unerschöpfliche mündliche Unterhaltung zu gelangen. Jeder, dem dies Glück zu Theil wurde, wird es bestätigen, zugleich aber auch, wenn er dafür anders irgendeine Empfänglichkeit besaß, daß er den Eindruck eures solchen Gesprächs als eine unauslöschliche Erinnerung für das ganze Leben bewahrt. Es gab kaum einen Gegenstand in dem ganzen unendlichen Bereiche menschlicher Interessen und Zustände, der nicht auch für ihn eine verständliche und gemüthliche Beziehung gehabt hätte. Daher er denn auch mit sogenannten gewöhnlichen Menschen gern und oft. wie es grade der Zufall nut sich brachte. Verkehrte. Von einer vornehmen Zugeknöpftbeit. die ihm mancher andichtet, der U)n nie gesprochen hat. besaß er auch nicht eine Spur. Nur wenn ihm ein ^r zu selbstgefälliger Redeschwall entgegenströmte, konnte er wohl einsilbig werden oder auch ganz verstummen und Andern die Leitung der Unterhaltung überlassen. Doch ließ er sich auch wohl solche Leute gefallen, wenn sie nur seiner durchaus natürlichen Haltung nachgebend allmäl.g aus dem Gew.rre ihrer Phrasen sich losmachten. Er liebte sehr ein belebtes Wechselgespräch und Hörtees gern, wenn der Andre ohne alle Scheu seine besondern Ansichten oder Ueberzeugungen, gleichviel welcher Art. den feurigen scharf und entschieden gegen¬ überstellte. Er selbst konnte nicht anders als stets seine volle und ganze Meinung von irgendeiner Sache, einer wissenschaftlichen oder Tagesfrage, aussp.neben. Reserven irgendwelcher Art gab es für ihn nicht. schwieg er ja einmal "nein Andern gegenüber, der ihn nicht überzeugt hatte, so war es immer nur. weil ihm grade diese Persönlichkeit und nicht'die Sache, die sie vertrat, einen unangenehmen Eindruck machte. Selbst den eigentlichen Herzensfreunden, seinem Grenzboten II. 18KS.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/85>, abgerufen am 09.06.2024.