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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Kopp, Barth. Wangenheim. Stockmar konnte er noch in seinen späteren Jahren
mit einer Energie und Unumwundenheit seine Ansicht gegenüberstellen, die einen
Dritten, etwa einen blossen Zuhörer des Gesprächs, der die Art Rückerts so
wenig wie die seiner Freunde konnte, mit Zittern erfüllen mochte. Aber die
Andern machten es grade so, und so wenig wie sie von ihm forderten, daß er
irgendeine der herkömmlichen gesellschaftlichen Restriktionen des Ausdrucks
beobachtete, so wenig forderte er es von ihnen. Da nicht blos diese vertrauten
Freunde, sondern jeder, der nur irgend gesunde Empfindung mitbrachte, aus
jedem Worte Rückerts, auch wenn es mit einer bei Andern unerhörten Lebhaf¬
tigkeit und Emphase herauskam, seihe völlige Hingabe an den Gegenstand des
Gespräches, seine völlige und rücksichtslose Selbstentäußerung herausfühlte, so
konnte niemand von ihm beleidigt werden, auch wenn seine eigne Erregung
momentan ansteckend auf die Andern, selbst auf die ruhigsten Naturen wirkte.
Denn niemand war wieder leichter zu überzeugen als er, und von einer puren
Rechthaberei hatte er eigentlich gar keinen Begriff. Er wollte auch nie glauben,
das? irgendeiner seiner Opponenten einem so niedrigen und kindischen Einfluß
Raum gebe. Konnte er den Andern durch die Macht seiner Gründe nicht über¬
zeugen, so sah er gewöhnlich die Ursache des Mißlingens in seiner eignen un¬
zureichenden Auseinandersetzung der Sachlage und versuchte es dann ein zweites
und drittes Mal mit noch größerem Feuer und umfassenderer Begründung.
Gelang es auch dann nicht, so ärgerte er sich wohl über die träge Fassungs--
kraft des Andern, aber daran dachte er niemals, daß dieser gar nicht überzeugt
werden konnte, weil er aus Bequemlichkeit oder weil er einmal in Folge irgend¬
welcher äußerer Rücksicht seinen Standpunkt so oder so genommen hatte, nicht
überzeugt sein wollte. Machten ihm Andre bemerklich. daß er seine wunderbare
Geisteskraft an einen Unwürdigen verschwende, so wurde er Wohl momentan
etwas stutzig, aber sein guter Glaube an die Menschen und an jeden Menschen
siegte doch immer wieder. In jedem nächsten Fall trat er wieder, wie es ihm
seine Natur gebot, ganz und voll in ein Gespräch ein, gleichviel wer ihm gegen¬
überstand. Jene auf nur allzurichtiger Beurtheilung der Wirklichkeit basirte
Ansicht schien ihm eine bedenkliche Beimischung von Menschenverachtung zu
enthalten, die er weder in sich noch in Andern dulden wollte, so wenig wie die
damit genau zusammenhängende pessimistische Anschauung der großen Verhält¬
nisse des Lebens und der Zeit. Er war überzeugt, daß die Menschen und die
Dinge meist erst dadurch schlecht gemacht würden, weil man sie von vornherein
für schlecht oder für verloren ansehe, und darnach auch behandelte. Grade
darum war er, wie schon bemerkt wurde, seiner Zeit z. B. so wenig erbaut von
dem berliner geselligen Ton, der wenigstens als Manier und häusig nur durch
eine Art von lächerlicher Renommage ihm grade damals viel zu viel von jener
widerlichen Beimischung zeigte.


Kopp, Barth. Wangenheim. Stockmar konnte er noch in seinen späteren Jahren
mit einer Energie und Unumwundenheit seine Ansicht gegenüberstellen, die einen
Dritten, etwa einen blossen Zuhörer des Gesprächs, der die Art Rückerts so
wenig wie die seiner Freunde konnte, mit Zittern erfüllen mochte. Aber die
Andern machten es grade so, und so wenig wie sie von ihm forderten, daß er
irgendeine der herkömmlichen gesellschaftlichen Restriktionen des Ausdrucks
beobachtete, so wenig forderte er es von ihnen. Da nicht blos diese vertrauten
Freunde, sondern jeder, der nur irgend gesunde Empfindung mitbrachte, aus
jedem Worte Rückerts, auch wenn es mit einer bei Andern unerhörten Lebhaf¬
tigkeit und Emphase herauskam, seihe völlige Hingabe an den Gegenstand des
Gespräches, seine völlige und rücksichtslose Selbstentäußerung herausfühlte, so
konnte niemand von ihm beleidigt werden, auch wenn seine eigne Erregung
momentan ansteckend auf die Andern, selbst auf die ruhigsten Naturen wirkte.
Denn niemand war wieder leichter zu überzeugen als er, und von einer puren
Rechthaberei hatte er eigentlich gar keinen Begriff. Er wollte auch nie glauben,
das? irgendeiner seiner Opponenten einem so niedrigen und kindischen Einfluß
Raum gebe. Konnte er den Andern durch die Macht seiner Gründe nicht über¬
zeugen, so sah er gewöhnlich die Ursache des Mißlingens in seiner eignen un¬
zureichenden Auseinandersetzung der Sachlage und versuchte es dann ein zweites
und drittes Mal mit noch größerem Feuer und umfassenderer Begründung.
Gelang es auch dann nicht, so ärgerte er sich wohl über die träge Fassungs--
kraft des Andern, aber daran dachte er niemals, daß dieser gar nicht überzeugt
werden konnte, weil er aus Bequemlichkeit oder weil er einmal in Folge irgend¬
welcher äußerer Rücksicht seinen Standpunkt so oder so genommen hatte, nicht
überzeugt sein wollte. Machten ihm Andre bemerklich. daß er seine wunderbare
Geisteskraft an einen Unwürdigen verschwende, so wurde er Wohl momentan
etwas stutzig, aber sein guter Glaube an die Menschen und an jeden Menschen
siegte doch immer wieder. In jedem nächsten Fall trat er wieder, wie es ihm
seine Natur gebot, ganz und voll in ein Gespräch ein, gleichviel wer ihm gegen¬
überstand. Jene auf nur allzurichtiger Beurtheilung der Wirklichkeit basirte
Ansicht schien ihm eine bedenkliche Beimischung von Menschenverachtung zu
enthalten, die er weder in sich noch in Andern dulden wollte, so wenig wie die
damit genau zusammenhängende pessimistische Anschauung der großen Verhält¬
nisse des Lebens und der Zeit. Er war überzeugt, daß die Menschen und die
Dinge meist erst dadurch schlecht gemacht würden, weil man sie von vornherein
für schlecht oder für verloren ansehe, und darnach auch behandelte. Grade
darum war er, wie schon bemerkt wurde, seiner Zeit z. B. so wenig erbaut von
dem berliner geselligen Ton, der wenigstens als Manier und häusig nur durch
eine Art von lächerlicher Renommage ihm grade damals viel zu viel von jener
widerlichen Beimischung zeigte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/86>, abgerufen am 31.05.2024.