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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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in den Enthusiasmus sich mischt, entsprach ganz einer Zeit, die zu glauben der-
lernt hat und doch sich zuweilen in einer Sehnsucht zu glauben ertappt und
aus den Neiz des religiösen Elements nicht verzichten will. Daher der Erfolg,
den in der heutigen Gesellschaft, den Einwendungen der Wissenschaft zum Trotz,
jenes Buch über Jesus von Nazareth gehabt hat.

Diese Anziehungskraft des Persönlichen nun ist es, die dem Buch über die
Apostel durchaus abgeht. Es beginnt mit dem Tode Jesu und endigt mit dem
Jahr 46 als dem Zeitpunkt der ersten Missionsreise des Apostels Paulus. Die
eine große Persönlichkeit ist nicht mehr, von der andern sehen wir erst die An¬
fänge. Es schildert, wie Renan sagt, den Zeitraum einer gemeinsamen Thätig¬
keit, während dessen die kleine durch Jesus gebildete Familie, um den Mittel¬
punkt Jerusalem gelagert, eng verbunden vorgeht. Nun mag man die älteren
Apostel, die nach Jesus Tod dessen Werk fortsetzten, noch so hoch stellen, so
sind doch die beglaubigten Nachrichten über sie so dürftig, daß wir nur höchst
abgeblaßte Bilder von ihnen haben. Nicht mit Individualitäten und Charakteren
haben wir es zu thun, das Hauptgewicht fällt vielmehr auf innere Vorgänge,
auf die Bildung und Umbildung von Glaubensvorstellungen und diese ent¬
ziehen sich der Natur der Sache nach einer eigentlich geschichtlichen Darstellung.
Sehen wir genauer zu, so ist grade die Zeit vom Jahr 33 bis 45 die aller-
dunkelste in der Geschichte des Christenthums. Für das geschichtlich Thatsäch.
liebe haben wir nur eine sichere Quelle: die Andeutungen in den Briefen des
Paulus. Der ganze Inhalt dieser zwölf Jahre würde entweder in einen An¬
hang zum Leben Jesu oder in eine Einleitung zum Leben des Paulus gehören.

Ein Geschichtsbuch aus dieser Zeit zu machen, war nur möglich bei der
Art, wie Renan die Quellen behandelt. Er selbst gesteht, daß die vorhandenen
Urkunden für diesen Zeitabschnitt selten und ungenügend seien. Nur das Ganze
sei gewiß, die Einzelheiten wegen des legendarischen Charakters der Documente
zweifelhaft, die Hypothese somit unerläßlich. Aber, fährt er fort, das Gewissen
des Schriftstellers muß beruhigt sein, sobald er als gewiß geschildert hat, was
gewiß, als wahrscheinlich, was wahrscheinlich, als'möglich, was möglich ist.
Sehr richtig; wenn Renan nur diesem Grundsatz treu bliebe! Aber weder
scheidet er in den Urkunden das Legendarische streng von dem Geschichtlichen,
noch giebt er in seiner Darstellung dem Leser einen Wink, wo die Geschichte
aufhört und die Hypothese beginnt. Vielmehr verarbeitet er das Gewisse, das
Mögliche, das Wahrscheinliche, ja auch das Unwahrscheinliche und Unmögliche
in einander zu geschickt arrangirten Gemälden, die alles sind, nur nicht Ge¬
schichte; alles trägt er mit der Selbstgewißheit des Historikers vor, geschmackvoll
meist, aber im besten Falle doch nur sinnreiche Combinationen, die aus den
vorhandenen Notizen, unbeglaubigten wie beglaubigten, aufgebaut sind.

Eine Darstellung der apostolischen Zeit hängt wesentlich von der Kritik der


in den Enthusiasmus sich mischt, entsprach ganz einer Zeit, die zu glauben der-
lernt hat und doch sich zuweilen in einer Sehnsucht zu glauben ertappt und
aus den Neiz des religiösen Elements nicht verzichten will. Daher der Erfolg,
den in der heutigen Gesellschaft, den Einwendungen der Wissenschaft zum Trotz,
jenes Buch über Jesus von Nazareth gehabt hat.

Diese Anziehungskraft des Persönlichen nun ist es, die dem Buch über die
Apostel durchaus abgeht. Es beginnt mit dem Tode Jesu und endigt mit dem
Jahr 46 als dem Zeitpunkt der ersten Missionsreise des Apostels Paulus. Die
eine große Persönlichkeit ist nicht mehr, von der andern sehen wir erst die An¬
fänge. Es schildert, wie Renan sagt, den Zeitraum einer gemeinsamen Thätig¬
keit, während dessen die kleine durch Jesus gebildete Familie, um den Mittel¬
punkt Jerusalem gelagert, eng verbunden vorgeht. Nun mag man die älteren
Apostel, die nach Jesus Tod dessen Werk fortsetzten, noch so hoch stellen, so
sind doch die beglaubigten Nachrichten über sie so dürftig, daß wir nur höchst
abgeblaßte Bilder von ihnen haben. Nicht mit Individualitäten und Charakteren
haben wir es zu thun, das Hauptgewicht fällt vielmehr auf innere Vorgänge,
auf die Bildung und Umbildung von Glaubensvorstellungen und diese ent¬
ziehen sich der Natur der Sache nach einer eigentlich geschichtlichen Darstellung.
Sehen wir genauer zu, so ist grade die Zeit vom Jahr 33 bis 45 die aller-
dunkelste in der Geschichte des Christenthums. Für das geschichtlich Thatsäch.
liebe haben wir nur eine sichere Quelle: die Andeutungen in den Briefen des
Paulus. Der ganze Inhalt dieser zwölf Jahre würde entweder in einen An¬
hang zum Leben Jesu oder in eine Einleitung zum Leben des Paulus gehören.

Ein Geschichtsbuch aus dieser Zeit zu machen, war nur möglich bei der
Art, wie Renan die Quellen behandelt. Er selbst gesteht, daß die vorhandenen
Urkunden für diesen Zeitabschnitt selten und ungenügend seien. Nur das Ganze
sei gewiß, die Einzelheiten wegen des legendarischen Charakters der Documente
zweifelhaft, die Hypothese somit unerläßlich. Aber, fährt er fort, das Gewissen
des Schriftstellers muß beruhigt sein, sobald er als gewiß geschildert hat, was
gewiß, als wahrscheinlich, was wahrscheinlich, als'möglich, was möglich ist.
Sehr richtig; wenn Renan nur diesem Grundsatz treu bliebe! Aber weder
scheidet er in den Urkunden das Legendarische streng von dem Geschichtlichen,
noch giebt er in seiner Darstellung dem Leser einen Wink, wo die Geschichte
aufhört und die Hypothese beginnt. Vielmehr verarbeitet er das Gewisse, das
Mögliche, das Wahrscheinliche, ja auch das Unwahrscheinliche und Unmögliche
in einander zu geschickt arrangirten Gemälden, die alles sind, nur nicht Ge¬
schichte; alles trägt er mit der Selbstgewißheit des Historikers vor, geschmackvoll
meist, aber im besten Falle doch nur sinnreiche Combinationen, die aus den
vorhandenen Notizen, unbeglaubigten wie beglaubigten, aufgebaut sind.

Eine Darstellung der apostolischen Zeit hängt wesentlich von der Kritik der


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[0104] in den Enthusiasmus sich mischt, entsprach ganz einer Zeit, die zu glauben der- lernt hat und doch sich zuweilen in einer Sehnsucht zu glauben ertappt und aus den Neiz des religiösen Elements nicht verzichten will. Daher der Erfolg, den in der heutigen Gesellschaft, den Einwendungen der Wissenschaft zum Trotz, jenes Buch über Jesus von Nazareth gehabt hat. Diese Anziehungskraft des Persönlichen nun ist es, die dem Buch über die Apostel durchaus abgeht. Es beginnt mit dem Tode Jesu und endigt mit dem Jahr 46 als dem Zeitpunkt der ersten Missionsreise des Apostels Paulus. Die eine große Persönlichkeit ist nicht mehr, von der andern sehen wir erst die An¬ fänge. Es schildert, wie Renan sagt, den Zeitraum einer gemeinsamen Thätig¬ keit, während dessen die kleine durch Jesus gebildete Familie, um den Mittel¬ punkt Jerusalem gelagert, eng verbunden vorgeht. Nun mag man die älteren Apostel, die nach Jesus Tod dessen Werk fortsetzten, noch so hoch stellen, so sind doch die beglaubigten Nachrichten über sie so dürftig, daß wir nur höchst abgeblaßte Bilder von ihnen haben. Nicht mit Individualitäten und Charakteren haben wir es zu thun, das Hauptgewicht fällt vielmehr auf innere Vorgänge, auf die Bildung und Umbildung von Glaubensvorstellungen und diese ent¬ ziehen sich der Natur der Sache nach einer eigentlich geschichtlichen Darstellung. Sehen wir genauer zu, so ist grade die Zeit vom Jahr 33 bis 45 die aller- dunkelste in der Geschichte des Christenthums. Für das geschichtlich Thatsäch. liebe haben wir nur eine sichere Quelle: die Andeutungen in den Briefen des Paulus. Der ganze Inhalt dieser zwölf Jahre würde entweder in einen An¬ hang zum Leben Jesu oder in eine Einleitung zum Leben des Paulus gehören. Ein Geschichtsbuch aus dieser Zeit zu machen, war nur möglich bei der Art, wie Renan die Quellen behandelt. Er selbst gesteht, daß die vorhandenen Urkunden für diesen Zeitabschnitt selten und ungenügend seien. Nur das Ganze sei gewiß, die Einzelheiten wegen des legendarischen Charakters der Documente zweifelhaft, die Hypothese somit unerläßlich. Aber, fährt er fort, das Gewissen des Schriftstellers muß beruhigt sein, sobald er als gewiß geschildert hat, was gewiß, als wahrscheinlich, was wahrscheinlich, als'möglich, was möglich ist. Sehr richtig; wenn Renan nur diesem Grundsatz treu bliebe! Aber weder scheidet er in den Urkunden das Legendarische streng von dem Geschichtlichen, noch giebt er in seiner Darstellung dem Leser einen Wink, wo die Geschichte aufhört und die Hypothese beginnt. Vielmehr verarbeitet er das Gewisse, das Mögliche, das Wahrscheinliche, ja auch das Unwahrscheinliche und Unmögliche in einander zu geschickt arrangirten Gemälden, die alles sind, nur nicht Ge¬ schichte; alles trägt er mit der Selbstgewißheit des Historikers vor, geschmackvoll meist, aber im besten Falle doch nur sinnreiche Combinationen, die aus den vorhandenen Notizen, unbeglaubigten wie beglaubigten, aufgebaut sind. Eine Darstellung der apostolischen Zeit hängt wesentlich von der Kritik der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/104>, abgerufen am 23.05.2024.