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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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geschaffen ist. Der Gelehrte, der sich daran wagen sollte, ein öffentliches Recht
des gegenwärtigen Deutschlands zu schreiben (und Klüber und Genossen mit
ihren Systemen des deutschen Bundesrechts sind doch wohl auf immer unbrauchbar
geworden), der wird seine großen Schwierigkeiten finden, freilich auch jenen
reichen Genuß, welchen dem deutschen Gelehrten solche Schwierigkeiten bieten,
indem sie seinen Scharfsinn herausfordern, unmögliche Thatsachen in einem
System unterzubringen. Nur zu stark möge man die Auflage dieses neuen
öffentlichen Rechts Deutschlands nicht machen; denn wir fürchten, oder richtiger
wir wünschen, daß es noch kürzer währen wird als das vor sechzig Jahren ge¬
schaffene Recht des rheinischen Bundes. In der That hat niemand das Gefühl,
als handele es sich hier um fertige Zustände. Man konnte das Ziel nicht in
einem Anlauf erreichen, nun bleibt man stehen, athmet auf, ruht und wird zum
geeigneten Zeitpunkt den Weg fortsetzen. Sind aber alle unsere deutschen Zu-
stände eben ein Uebergang, so sind speciell die hessischen -- um mich des mystisch¬
lustigen Ordensausdrucks aus Goethes wetzlarer Zeit zu bedienen -- des "Ueber¬
ganges Uebergang". und darin, daß sie dies sind, finden wir ihren specifischen
Vorzug.

Es ist noch in frischem Gedächtniß, wie Preußen dem Großherzogthum
Hessen gegenüber anfänglich auf der allerstrictcsten Mainlinie, also auf der Ab¬
tretung ganz Oberhessens bestand, wogegen Entschädigung durch bayerisches Ge¬
biet am Main in Aussicht gestellt war. Dieser Plan gefiel nirgends. Unsere
moderne Auffassung ist solchen Ländertauschen mit Grund entschieden abhold.
Die Bayern mochten nicht hessisch werden und die Odenwaldsberge hätten die
in Aussicht stehenden Neuerwerbungen von dem übrigen Lande mehr getrennt,
als sie damit verbunden. Der Großherzog erklärte denn auch bestimmt, seinen
Neffen nicht berauben zu wollen, und lehnte jede Entschädigung ab. Er soll
bereit gewesen sein, lieber Rheinhessen -- die neue Provinz -- aufzugeben, als
Oberhessen mit seinen uralten Stammlanden und seinen reichen Domänen. Zu
diesen mehr menschlichen Erwägungen kam erst später der staatsmännische Ge¬
danke, daß es in Deutschlands eigensten Interesse erwünscht, ja nothwendig sei,
daß Oberhessen (wenn auch in gemindertem GebietsbestqHd) beim Großherzog¬
thum bleibe.

Schon längst vor Verwirklichung der Mainlinie würdigte man die Wichtig¬
keit der geographischen Lage Hessens. Vom Neckar, wo die Sprache bereits
schwäbisch anklingt, zog es, allerdings in vielfach wunderlicher Gestaltung,
manchmal nur als schmale Landzunge, hier und da völlig unterbrochen, bis fast
dahin, wo die alten Chanen und die alten Sachsen aneinander grenzten. Es
ist nie ein rein süddeutscher Staat gewesen, wenn auch die Lage der Residenz,
das Vorwiegen der linksmainischen Bevölkerung, sowie Interesse und geschicht¬
liche Tradition der Regierung mehr nach dieser Seite drängten. Für den Zoll-


geschaffen ist. Der Gelehrte, der sich daran wagen sollte, ein öffentliches Recht
des gegenwärtigen Deutschlands zu schreiben (und Klüber und Genossen mit
ihren Systemen des deutschen Bundesrechts sind doch wohl auf immer unbrauchbar
geworden), der wird seine großen Schwierigkeiten finden, freilich auch jenen
reichen Genuß, welchen dem deutschen Gelehrten solche Schwierigkeiten bieten,
indem sie seinen Scharfsinn herausfordern, unmögliche Thatsachen in einem
System unterzubringen. Nur zu stark möge man die Auflage dieses neuen
öffentlichen Rechts Deutschlands nicht machen; denn wir fürchten, oder richtiger
wir wünschen, daß es noch kürzer währen wird als das vor sechzig Jahren ge¬
schaffene Recht des rheinischen Bundes. In der That hat niemand das Gefühl,
als handele es sich hier um fertige Zustände. Man konnte das Ziel nicht in
einem Anlauf erreichen, nun bleibt man stehen, athmet auf, ruht und wird zum
geeigneten Zeitpunkt den Weg fortsetzen. Sind aber alle unsere deutschen Zu-
stände eben ein Uebergang, so sind speciell die hessischen — um mich des mystisch¬
lustigen Ordensausdrucks aus Goethes wetzlarer Zeit zu bedienen — des „Ueber¬
ganges Uebergang". und darin, daß sie dies sind, finden wir ihren specifischen
Vorzug.

Es ist noch in frischem Gedächtniß, wie Preußen dem Großherzogthum
Hessen gegenüber anfänglich auf der allerstrictcsten Mainlinie, also auf der Ab¬
tretung ganz Oberhessens bestand, wogegen Entschädigung durch bayerisches Ge¬
biet am Main in Aussicht gestellt war. Dieser Plan gefiel nirgends. Unsere
moderne Auffassung ist solchen Ländertauschen mit Grund entschieden abhold.
Die Bayern mochten nicht hessisch werden und die Odenwaldsberge hätten die
in Aussicht stehenden Neuerwerbungen von dem übrigen Lande mehr getrennt,
als sie damit verbunden. Der Großherzog erklärte denn auch bestimmt, seinen
Neffen nicht berauben zu wollen, und lehnte jede Entschädigung ab. Er soll
bereit gewesen sein, lieber Rheinhessen — die neue Provinz — aufzugeben, als
Oberhessen mit seinen uralten Stammlanden und seinen reichen Domänen. Zu
diesen mehr menschlichen Erwägungen kam erst später der staatsmännische Ge¬
danke, daß es in Deutschlands eigensten Interesse erwünscht, ja nothwendig sei,
daß Oberhessen (wenn auch in gemindertem GebietsbestqHd) beim Großherzog¬
thum bleibe.

Schon längst vor Verwirklichung der Mainlinie würdigte man die Wichtig¬
keit der geographischen Lage Hessens. Vom Neckar, wo die Sprache bereits
schwäbisch anklingt, zog es, allerdings in vielfach wunderlicher Gestaltung,
manchmal nur als schmale Landzunge, hier und da völlig unterbrochen, bis fast
dahin, wo die alten Chanen und die alten Sachsen aneinander grenzten. Es
ist nie ein rein süddeutscher Staat gewesen, wenn auch die Lage der Residenz,
das Vorwiegen der linksmainischen Bevölkerung, sowie Interesse und geschicht¬
liche Tradition der Regierung mehr nach dieser Seite drängten. Für den Zoll-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/328>, abgerufen am 23.05.2024.