Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

verein z. B., dessen erste Anfänge es schaffen half, war es fast der wichtigste
Bestandtheil. Dieses Hessen besteht zwar nicht mehr. Von der Provinz Ober¬
hessen, welche früher die Gestalt einer zeigenden Hand hatte, ist durch den Frie¬
densvertrag der gegen Norden weisende Finger abgeschnitten worden und nur
die Faust übrig geblieben. Dennoch ist jene frühere Bedeutung Hessens für
Gesammtdeutschland nicht gemindert, sondern erhöht. Grade weil der Gegen¬
sah zwischen Süd und Nord geschärft ist, haben die Momente der Vereinigung
an Wichtigkeit und Werth gewonnen. Hessen ist die Klammer geworden, welche
die beiden Theile zusammenhält, oder vielleicht besser: die Brücke, die von einem
zum andern hinüberführt. Das Dogma der Mainlinie ist damit durchlöchert
und so von vornherein constatirt, daß ihm weder innere Berechtigung noch
Dauer zukommt. Ja die Mainlinie ist auf Grund des Friedensvertrags schon
lädirt. Mainz, in der laut des Friedensvertrags gleichfalls "südlich des Mains
gelegenen" Provinz Rheinhessen, hat preußische Besatzung, und auch hier wird
wie in den übrigen Landestheilen preußischer Postwagen und preußischer Tele¬
graphendraht die südwärts gerichteten Gedanken der Leute durchkreuzen.

Eine Reihe anderer gemeinsamer Einrichtungen nach preußischem Muster
und unter preußischem Einfluß wird folgen müssen. Das wie? ist freilich zur
Zeit so unklar wie möglich. Doch zunächst und am tiefsten eingreifend ist bei
der jetzigen Veränderung die Einführung der preußischen Wehrverfassung in
Oberhessen. Können hierneben die beiden anderen Provinzen die ihre beibe¬
halten? Dort allgemeine Wehrpflicht, hier Conscription mit Loosziehung und
Stellvertretung? -- Man hat auch in andrer Beziehung das Gefühl, daß es
bei dieser Scheidung des Landes nicht bleiben könne. Allerdings sind Erschei¬
nungen, daß ein Fürst nur bezüglich eines Theils seiner Besitzungen einem
Bunde beitritt. nicht neu:. Luxemburg-Limburg, Holstein-Lauenburg, die Beschrän¬
kung Oestreichs und Preußens auf den Zutritt nur einzelner Länder und Pro¬
vinzen zum deutschen Bunde geben scheinbar Prcicedcnzien. Aber Luxemburg
und Holstein-Lauenburg standen mit den Niederlanden und Dänemark nur in
Personalunion; Oestreich und Preußen gestatteten den Bundesbeschlüssen auf
sich ohnedem nur Einwirkung, soweit sie damit einverstanden waren. Dazu
handelte es sich beim deutschen Bund nur um einen Staatenbund, und trotzdem
brachte dies Verhältniß für Limburg, das zugleich integrirender Bestandtheil der
Niederlande war, Unfrieden genug. Wie soll es werden gegenüber der strafferen
und eingreifenderen Gestaltung des Bundesstaats? Die Ständekammern in
Darmstadt, deren Kompetenz sich über das ganze Land erstreckt, werden bezüg¬
lich Oberhessens in all den Punkten beschränkt werden, worüber demnächst
der norddeutsche Reichstag zu verfügen hat. Sollen dann noch die ober¬
hessischen Abgeordneten mit über die diesen entsprechenden Angelegenheiten der
Unksmainischen Provinzen zu beschließen haben? Man steht, es ist hier --


Grenzboten IV. 186ö. 39

verein z. B., dessen erste Anfänge es schaffen half, war es fast der wichtigste
Bestandtheil. Dieses Hessen besteht zwar nicht mehr. Von der Provinz Ober¬
hessen, welche früher die Gestalt einer zeigenden Hand hatte, ist durch den Frie¬
densvertrag der gegen Norden weisende Finger abgeschnitten worden und nur
die Faust übrig geblieben. Dennoch ist jene frühere Bedeutung Hessens für
Gesammtdeutschland nicht gemindert, sondern erhöht. Grade weil der Gegen¬
sah zwischen Süd und Nord geschärft ist, haben die Momente der Vereinigung
an Wichtigkeit und Werth gewonnen. Hessen ist die Klammer geworden, welche
die beiden Theile zusammenhält, oder vielleicht besser: die Brücke, die von einem
zum andern hinüberführt. Das Dogma der Mainlinie ist damit durchlöchert
und so von vornherein constatirt, daß ihm weder innere Berechtigung noch
Dauer zukommt. Ja die Mainlinie ist auf Grund des Friedensvertrags schon
lädirt. Mainz, in der laut des Friedensvertrags gleichfalls „südlich des Mains
gelegenen" Provinz Rheinhessen, hat preußische Besatzung, und auch hier wird
wie in den übrigen Landestheilen preußischer Postwagen und preußischer Tele¬
graphendraht die südwärts gerichteten Gedanken der Leute durchkreuzen.

Eine Reihe anderer gemeinsamer Einrichtungen nach preußischem Muster
und unter preußischem Einfluß wird folgen müssen. Das wie? ist freilich zur
Zeit so unklar wie möglich. Doch zunächst und am tiefsten eingreifend ist bei
der jetzigen Veränderung die Einführung der preußischen Wehrverfassung in
Oberhessen. Können hierneben die beiden anderen Provinzen die ihre beibe¬
halten? Dort allgemeine Wehrpflicht, hier Conscription mit Loosziehung und
Stellvertretung? — Man hat auch in andrer Beziehung das Gefühl, daß es
bei dieser Scheidung des Landes nicht bleiben könne. Allerdings sind Erschei¬
nungen, daß ein Fürst nur bezüglich eines Theils seiner Besitzungen einem
Bunde beitritt. nicht neu:. Luxemburg-Limburg, Holstein-Lauenburg, die Beschrän¬
kung Oestreichs und Preußens auf den Zutritt nur einzelner Länder und Pro¬
vinzen zum deutschen Bunde geben scheinbar Prcicedcnzien. Aber Luxemburg
und Holstein-Lauenburg standen mit den Niederlanden und Dänemark nur in
Personalunion; Oestreich und Preußen gestatteten den Bundesbeschlüssen auf
sich ohnedem nur Einwirkung, soweit sie damit einverstanden waren. Dazu
handelte es sich beim deutschen Bund nur um einen Staatenbund, und trotzdem
brachte dies Verhältniß für Limburg, das zugleich integrirender Bestandtheil der
Niederlande war, Unfrieden genug. Wie soll es werden gegenüber der strafferen
und eingreifenderen Gestaltung des Bundesstaats? Die Ständekammern in
Darmstadt, deren Kompetenz sich über das ganze Land erstreckt, werden bezüg¬
lich Oberhessens in all den Punkten beschränkt werden, worüber demnächst
der norddeutsche Reichstag zu verfügen hat. Sollen dann noch die ober¬
hessischen Abgeordneten mit über die diesen entsprechenden Angelegenheiten der
Unksmainischen Provinzen zu beschließen haben? Man steht, es ist hier —


Grenzboten IV. 186ö. 39
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0329" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/286477"/>
          <p xml:id="ID_954" prev="#ID_953"> verein z. B., dessen erste Anfänge es schaffen half, war es fast der wichtigste<lb/>
Bestandtheil. Dieses Hessen besteht zwar nicht mehr. Von der Provinz Ober¬<lb/>
hessen, welche früher die Gestalt einer zeigenden Hand hatte, ist durch den Frie¬<lb/>
densvertrag der gegen Norden weisende Finger abgeschnitten worden und nur<lb/>
die Faust übrig geblieben. Dennoch ist jene frühere Bedeutung Hessens für<lb/>
Gesammtdeutschland nicht gemindert, sondern erhöht. Grade weil der Gegen¬<lb/>
sah zwischen Süd und Nord geschärft ist, haben die Momente der Vereinigung<lb/>
an Wichtigkeit und Werth gewonnen. Hessen ist die Klammer geworden, welche<lb/>
die beiden Theile zusammenhält, oder vielleicht besser: die Brücke, die von einem<lb/>
zum andern hinüberführt. Das Dogma der Mainlinie ist damit durchlöchert<lb/>
und so von vornherein constatirt, daß ihm weder innere Berechtigung noch<lb/>
Dauer zukommt. Ja die Mainlinie ist auf Grund des Friedensvertrags schon<lb/>
lädirt. Mainz, in der laut des Friedensvertrags gleichfalls &#x201E;südlich des Mains<lb/>
gelegenen" Provinz Rheinhessen, hat preußische Besatzung, und auch hier wird<lb/>
wie in den übrigen Landestheilen preußischer Postwagen und preußischer Tele¬<lb/>
graphendraht die südwärts gerichteten Gedanken der Leute durchkreuzen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_955" next="#ID_956"> Eine Reihe anderer gemeinsamer Einrichtungen nach preußischem Muster<lb/>
und unter preußischem Einfluß wird folgen müssen. Das wie? ist freilich zur<lb/>
Zeit so unklar wie möglich. Doch zunächst und am tiefsten eingreifend ist bei<lb/>
der jetzigen Veränderung die Einführung der preußischen Wehrverfassung in<lb/>
Oberhessen. Können hierneben die beiden anderen Provinzen die ihre beibe¬<lb/>
halten? Dort allgemeine Wehrpflicht, hier Conscription mit Loosziehung und<lb/>
Stellvertretung? &#x2014; Man hat auch in andrer Beziehung das Gefühl, daß es<lb/>
bei dieser Scheidung des Landes nicht bleiben könne. Allerdings sind Erschei¬<lb/>
nungen, daß ein Fürst nur bezüglich eines Theils seiner Besitzungen einem<lb/>
Bunde beitritt. nicht neu:. Luxemburg-Limburg, Holstein-Lauenburg, die Beschrän¬<lb/>
kung Oestreichs und Preußens auf den Zutritt nur einzelner Länder und Pro¬<lb/>
vinzen zum deutschen Bunde geben scheinbar Prcicedcnzien. Aber Luxemburg<lb/>
und Holstein-Lauenburg standen mit den Niederlanden und Dänemark nur in<lb/>
Personalunion; Oestreich und Preußen gestatteten den Bundesbeschlüssen auf<lb/>
sich ohnedem nur Einwirkung, soweit sie damit einverstanden waren. Dazu<lb/>
handelte es sich beim deutschen Bund nur um einen Staatenbund, und trotzdem<lb/>
brachte dies Verhältniß für Limburg, das zugleich integrirender Bestandtheil der<lb/>
Niederlande war, Unfrieden genug. Wie soll es werden gegenüber der strafferen<lb/>
und eingreifenderen Gestaltung des Bundesstaats? Die Ständekammern in<lb/>
Darmstadt, deren Kompetenz sich über das ganze Land erstreckt, werden bezüg¬<lb/>
lich Oberhessens in all den Punkten beschränkt werden, worüber demnächst<lb/>
der norddeutsche Reichstag zu verfügen hat. Sollen dann noch die ober¬<lb/>
hessischen Abgeordneten mit über die diesen entsprechenden Angelegenheiten der<lb/>
Unksmainischen Provinzen zu beschließen haben?  Man steht, es ist hier &#x2014;</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV. 186ö. 39</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0329] verein z. B., dessen erste Anfänge es schaffen half, war es fast der wichtigste Bestandtheil. Dieses Hessen besteht zwar nicht mehr. Von der Provinz Ober¬ hessen, welche früher die Gestalt einer zeigenden Hand hatte, ist durch den Frie¬ densvertrag der gegen Norden weisende Finger abgeschnitten worden und nur die Faust übrig geblieben. Dennoch ist jene frühere Bedeutung Hessens für Gesammtdeutschland nicht gemindert, sondern erhöht. Grade weil der Gegen¬ sah zwischen Süd und Nord geschärft ist, haben die Momente der Vereinigung an Wichtigkeit und Werth gewonnen. Hessen ist die Klammer geworden, welche die beiden Theile zusammenhält, oder vielleicht besser: die Brücke, die von einem zum andern hinüberführt. Das Dogma der Mainlinie ist damit durchlöchert und so von vornherein constatirt, daß ihm weder innere Berechtigung noch Dauer zukommt. Ja die Mainlinie ist auf Grund des Friedensvertrags schon lädirt. Mainz, in der laut des Friedensvertrags gleichfalls „südlich des Mains gelegenen" Provinz Rheinhessen, hat preußische Besatzung, und auch hier wird wie in den übrigen Landestheilen preußischer Postwagen und preußischer Tele¬ graphendraht die südwärts gerichteten Gedanken der Leute durchkreuzen. Eine Reihe anderer gemeinsamer Einrichtungen nach preußischem Muster und unter preußischem Einfluß wird folgen müssen. Das wie? ist freilich zur Zeit so unklar wie möglich. Doch zunächst und am tiefsten eingreifend ist bei der jetzigen Veränderung die Einführung der preußischen Wehrverfassung in Oberhessen. Können hierneben die beiden anderen Provinzen die ihre beibe¬ halten? Dort allgemeine Wehrpflicht, hier Conscription mit Loosziehung und Stellvertretung? — Man hat auch in andrer Beziehung das Gefühl, daß es bei dieser Scheidung des Landes nicht bleiben könne. Allerdings sind Erschei¬ nungen, daß ein Fürst nur bezüglich eines Theils seiner Besitzungen einem Bunde beitritt. nicht neu:. Luxemburg-Limburg, Holstein-Lauenburg, die Beschrän¬ kung Oestreichs und Preußens auf den Zutritt nur einzelner Länder und Pro¬ vinzen zum deutschen Bunde geben scheinbar Prcicedcnzien. Aber Luxemburg und Holstein-Lauenburg standen mit den Niederlanden und Dänemark nur in Personalunion; Oestreich und Preußen gestatteten den Bundesbeschlüssen auf sich ohnedem nur Einwirkung, soweit sie damit einverstanden waren. Dazu handelte es sich beim deutschen Bund nur um einen Staatenbund, und trotzdem brachte dies Verhältniß für Limburg, das zugleich integrirender Bestandtheil der Niederlande war, Unfrieden genug. Wie soll es werden gegenüber der strafferen und eingreifenderen Gestaltung des Bundesstaats? Die Ständekammern in Darmstadt, deren Kompetenz sich über das ganze Land erstreckt, werden bezüg¬ lich Oberhessens in all den Punkten beschränkt werden, worüber demnächst der norddeutsche Reichstag zu verfügen hat. Sollen dann noch die ober¬ hessischen Abgeordneten mit über die diesen entsprechenden Angelegenheiten der Unksmainischen Provinzen zu beschließen haben? Man steht, es ist hier — Grenzboten IV. 186ö. 39

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/329
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/329>, abgerufen am 16.06.2024.