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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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militärische Exklusivität manchmal einen äußerst komischen Gegensatz zu "der
Vorliebe für öffentliche Vergnügungslocale aller Art", welche von einem scharfen
Beobachter*) als Eigenthümlichkeit der süddeutschen Offiziere mit Recht geschildert
wird und auch den unsern nicht fremd war. Vergeblich bemühete man sich, die
süße demokratische Gewohnheit der süddeutschen Nachlässigkeit und Gemüthlich¬
keit mit den norddeutschen Allüren eines Would-be-Aristokraten in Einklang zu
bringen.

Ich habe vielleicht bei der Schilderung des nassauischen Militärs zu lange
verweilt. Man wird mir sagen: wozu diese Rückblicke, die für die Gegenwart
und die Zukunft kein Interesse mehr haben? Ich antworte: sie haben aller¬
dings noch Interesse, erstens insofern sie dazu dienen, die Nothwendigkeit der
Centralisation der gesammten deutschen Wehrkraft in Einer Hand darzuthun;
zweitens insofern sie am besten geeignet sind, den Untergang der nassauischen
Negierung zu erläutern.

Der Eindruck, den ein Rückblick auf das Militärwesen in Nassau macht
läßt sich dahin zusammenfassen: Diese Truppen waren wohl dazu angethan, um
sie gegen das eigene Land, aber nicht um sie gegen eine fremde
Kriegsmacht zu gebrauchen. Die Frage, ob dieses Resultat absichtlich an¬
gestrebt worden ist, würde ich noch vor einem halben Jahre einfach mit "Ja"
beantwortet haben. Heute, angesichts der Schonung, weiche das Unglück, auch
das selbstverschuldete, in Anspruch nimmt, mag sie unbeantwortet bleiben.

Gewiß ist, daß in keinem Lande eine solche Entfremdung zwischen dem
Fürsten und Unterthanen herrschte, wie in Nassau. Ich nehme selbst Kurhessen
hierbei nicht aus. Denn dort war das Beamtenthum und der Offiziersstand
intact geblieben. Auch konnte man für die Regierungsweise des Kurfürsten
allerlei anführen: der Mangel an thronfolgeberechtigten Nachkommen; die von
Oestreich genährte Hoffnung, die Descendenz aus der Ehe zur linken Hand
dennoch für successionsfähig erklären zu können; die Meinung, von dem Bundes¬
tag zum Verfassungsumsturz gezwungen und nachher treulos im Stich gelassen
worden zu sein; der preußische Feldjäger; unangenehme häusliche Verhältnisse;
allerlei Familienmalheurs, -- dies alles zusammengenommen konnte einen alten
griesgrämiger Herrn wohl zeitweise zur Einstellung der Regierungsthätigkeit
veranlassen. So und nicht anders wird auch durchschnittlich die Sache auf¬
gefaßt von dem loyalen Volke der weiland Kurhessen, die zudem schon seit vier
Generationen nicht viel Gutes gewöhnt sind.

In Nassau aber war das alles anders. Der Herzog, 1840 in sehr jungen
Jahren zum Regiment gelangt, versah es anfangs eavalierement und daraus
soll ihm in Anbetracht seiner Jugend kein Vorwurf gemacht werden. Von 1840



Der Verf. ") Siehe Grenzboten Ur. 4S von 186K,

militärische Exklusivität manchmal einen äußerst komischen Gegensatz zu „der
Vorliebe für öffentliche Vergnügungslocale aller Art", welche von einem scharfen
Beobachter*) als Eigenthümlichkeit der süddeutschen Offiziere mit Recht geschildert
wird und auch den unsern nicht fremd war. Vergeblich bemühete man sich, die
süße demokratische Gewohnheit der süddeutschen Nachlässigkeit und Gemüthlich¬
keit mit den norddeutschen Allüren eines Would-be-Aristokraten in Einklang zu
bringen.

Ich habe vielleicht bei der Schilderung des nassauischen Militärs zu lange
verweilt. Man wird mir sagen: wozu diese Rückblicke, die für die Gegenwart
und die Zukunft kein Interesse mehr haben? Ich antworte: sie haben aller¬
dings noch Interesse, erstens insofern sie dazu dienen, die Nothwendigkeit der
Centralisation der gesammten deutschen Wehrkraft in Einer Hand darzuthun;
zweitens insofern sie am besten geeignet sind, den Untergang der nassauischen
Negierung zu erläutern.

Der Eindruck, den ein Rückblick auf das Militärwesen in Nassau macht
läßt sich dahin zusammenfassen: Diese Truppen waren wohl dazu angethan, um
sie gegen das eigene Land, aber nicht um sie gegen eine fremde
Kriegsmacht zu gebrauchen. Die Frage, ob dieses Resultat absichtlich an¬
gestrebt worden ist, würde ich noch vor einem halben Jahre einfach mit „Ja"
beantwortet haben. Heute, angesichts der Schonung, weiche das Unglück, auch
das selbstverschuldete, in Anspruch nimmt, mag sie unbeantwortet bleiben.

Gewiß ist, daß in keinem Lande eine solche Entfremdung zwischen dem
Fürsten und Unterthanen herrschte, wie in Nassau. Ich nehme selbst Kurhessen
hierbei nicht aus. Denn dort war das Beamtenthum und der Offiziersstand
intact geblieben. Auch konnte man für die Regierungsweise des Kurfürsten
allerlei anführen: der Mangel an thronfolgeberechtigten Nachkommen; die von
Oestreich genährte Hoffnung, die Descendenz aus der Ehe zur linken Hand
dennoch für successionsfähig erklären zu können; die Meinung, von dem Bundes¬
tag zum Verfassungsumsturz gezwungen und nachher treulos im Stich gelassen
worden zu sein; der preußische Feldjäger; unangenehme häusliche Verhältnisse;
allerlei Familienmalheurs, — dies alles zusammengenommen konnte einen alten
griesgrämiger Herrn wohl zeitweise zur Einstellung der Regierungsthätigkeit
veranlassen. So und nicht anders wird auch durchschnittlich die Sache auf¬
gefaßt von dem loyalen Volke der weiland Kurhessen, die zudem schon seit vier
Generationen nicht viel Gutes gewöhnt sind.

In Nassau aber war das alles anders. Der Herzog, 1840 in sehr jungen
Jahren zum Regiment gelangt, versah es anfangs eavalierement und daraus
soll ihm in Anbetracht seiner Jugend kein Vorwurf gemacht werden. Von 1840



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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/400>, abgerufen am 16.06.2024.