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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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den unsern, welche auch die stolze Seite der Institution kennen, mit allen mög¬
lichen Mitteln sträuben. Nur Herrscher von großer Kraft und mit dem Volke
fest verwebten Elementen werden im Stande sein aus diesen Kämpfen siegreich
hervorzugehen, wenn ihnen äußere Feinde nicht dadurch beistehen, daß sie ihnen
wirkliche Gefahren schaffen.

Diese Schwierigkeiten sind es aber nicht allein, welche sich der Einführung
der allgemeinen Wehrpflicht in andern Ländern entgegenstellen. Auch die Natur
des Heeres, welches aus der Allgemeinheit hervorgeht, ist nicht in allen Reichen
lebensfähig. Die nahe Verbindung, welche bei solchem Heer zwischen dem ein¬
zelnen Soldaten und seiner Heimath herrscht, zwingt dazu, in der Truppe auf
private Verhältnisse des Einzelnen Rücksicht zu nehmen. Der Soldat muß
seiner Pflicht im heimischen Bezirk genügen, muß sozusagen zu jeder Zeit nach
seinem Eigenthum sehen können. In Ländern also, wo zur Beherrschung des
einen Theils Truppen andrer Theile nothwendig sind, wo die Stimmung des
einen Stammes die Bildung von ganzen Truppentheilen aus ihm unzulässig
macht, wo die Heerestheile also keinenfalls in ihrer Heimath bleiben können,
würde die allgemeine Wehrpflicht so tief in die Privatverhältnisse eingreifen,
daß ihre Durchführung mindestens äußerst gewagt und schwierig wäre.

In Ländern, wo dir Beherrschung fremder Territorien und Colonien dazu
zwingt, Truppen auf längere Zeit weit weg oder gar über das Meer zu dis-
lociren, würde nicht allen Soldaten die gleiche Last auferlegt werden dürfen.
England, das nur den kleinsten Theil seiner Landmacht zu Hause hat, kann gar
nicht an. das preußische Wchrsystem denken. Frankreich würde sich dazu ent¬
schließen müssen, zwei Arten von Truppen zu haben, heimische und solche, welche
in Cochinchina u. s. w. verwandt werden könnten. So lesen wir denn auch,
baß die Neorganisationscommission in Paris vorgeschlagen hat, die Ersatz¬
pflichtigen in drei Classen zu theilen. In solche, welche ihrer vollen Dienst-
Pflicht genügen und also überall verwendet werden können, und in solche, welche
nur zwei bis drei Jahre dienen und in Frankreich verbleiben, und endlich in
solche, welche nur einige Monate jährlich bei der Fahne dienen und ihre Zeit
nur in den heimathlichen Bezirken absolviren. Der Unterschied in dieser Pflicht
hängt von der Summe des Geldes ab, mit welcher der Einzelne sich loskaufen
kann. Für den Fall des Krieges wären also alle Classen in der Armee, aber
es wäre keine Gleichheit unter den Soldaten, und der besitzende, der intelligentere
Theil würde an soldatischem Werth zurückstehen. Dem französischen Heere würde
damit die innere Einheit und vor allen Dingen der innere Werth des preu¬
ßischen fehlen. --

Nicht nur diese Uebelstände allein werden sich der mit Preußen gleichen
militärischen Machtentfalt'ung Frankreichs bei jener Art der Heeresbildung ent¬
gegenstellen, es ist noch ein sehr bedeutender zu erwähnen. Der gebildete


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den unsern, welche auch die stolze Seite der Institution kennen, mit allen mög¬
lichen Mitteln sträuben. Nur Herrscher von großer Kraft und mit dem Volke
fest verwebten Elementen werden im Stande sein aus diesen Kämpfen siegreich
hervorzugehen, wenn ihnen äußere Feinde nicht dadurch beistehen, daß sie ihnen
wirkliche Gefahren schaffen.

Diese Schwierigkeiten sind es aber nicht allein, welche sich der Einführung
der allgemeinen Wehrpflicht in andern Ländern entgegenstellen. Auch die Natur
des Heeres, welches aus der Allgemeinheit hervorgeht, ist nicht in allen Reichen
lebensfähig. Die nahe Verbindung, welche bei solchem Heer zwischen dem ein¬
zelnen Soldaten und seiner Heimath herrscht, zwingt dazu, in der Truppe auf
private Verhältnisse des Einzelnen Rücksicht zu nehmen. Der Soldat muß
seiner Pflicht im heimischen Bezirk genügen, muß sozusagen zu jeder Zeit nach
seinem Eigenthum sehen können. In Ländern also, wo zur Beherrschung des
einen Theils Truppen andrer Theile nothwendig sind, wo die Stimmung des
einen Stammes die Bildung von ganzen Truppentheilen aus ihm unzulässig
macht, wo die Heerestheile also keinenfalls in ihrer Heimath bleiben können,
würde die allgemeine Wehrpflicht so tief in die Privatverhältnisse eingreifen,
daß ihre Durchführung mindestens äußerst gewagt und schwierig wäre.

In Ländern, wo dir Beherrschung fremder Territorien und Colonien dazu
zwingt, Truppen auf längere Zeit weit weg oder gar über das Meer zu dis-
lociren, würde nicht allen Soldaten die gleiche Last auferlegt werden dürfen.
England, das nur den kleinsten Theil seiner Landmacht zu Hause hat, kann gar
nicht an. das preußische Wchrsystem denken. Frankreich würde sich dazu ent¬
schließen müssen, zwei Arten von Truppen zu haben, heimische und solche, welche
in Cochinchina u. s. w. verwandt werden könnten. So lesen wir denn auch,
baß die Neorganisationscommission in Paris vorgeschlagen hat, die Ersatz¬
pflichtigen in drei Classen zu theilen. In solche, welche ihrer vollen Dienst-
Pflicht genügen und also überall verwendet werden können, und in solche, welche
nur zwei bis drei Jahre dienen und in Frankreich verbleiben, und endlich in
solche, welche nur einige Monate jährlich bei der Fahne dienen und ihre Zeit
nur in den heimathlichen Bezirken absolviren. Der Unterschied in dieser Pflicht
hängt von der Summe des Geldes ab, mit welcher der Einzelne sich loskaufen
kann. Für den Fall des Krieges wären also alle Classen in der Armee, aber
es wäre keine Gleichheit unter den Soldaten, und der besitzende, der intelligentere
Theil würde an soldatischem Werth zurückstehen. Dem französischen Heere würde
damit die innere Einheit und vor allen Dingen der innere Werth des preu¬
ßischen fehlen. —

Nicht nur diese Uebelstände allein werden sich der mit Preußen gleichen
militärischen Machtentfalt'ung Frankreichs bei jener Art der Heeresbildung ent¬
gegenstellen, es ist noch ein sehr bedeutender zu erwähnen. Der gebildete


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[0483] den unsern, welche auch die stolze Seite der Institution kennen, mit allen mög¬ lichen Mitteln sträuben. Nur Herrscher von großer Kraft und mit dem Volke fest verwebten Elementen werden im Stande sein aus diesen Kämpfen siegreich hervorzugehen, wenn ihnen äußere Feinde nicht dadurch beistehen, daß sie ihnen wirkliche Gefahren schaffen. Diese Schwierigkeiten sind es aber nicht allein, welche sich der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in andern Ländern entgegenstellen. Auch die Natur des Heeres, welches aus der Allgemeinheit hervorgeht, ist nicht in allen Reichen lebensfähig. Die nahe Verbindung, welche bei solchem Heer zwischen dem ein¬ zelnen Soldaten und seiner Heimath herrscht, zwingt dazu, in der Truppe auf private Verhältnisse des Einzelnen Rücksicht zu nehmen. Der Soldat muß seiner Pflicht im heimischen Bezirk genügen, muß sozusagen zu jeder Zeit nach seinem Eigenthum sehen können. In Ländern also, wo zur Beherrschung des einen Theils Truppen andrer Theile nothwendig sind, wo die Stimmung des einen Stammes die Bildung von ganzen Truppentheilen aus ihm unzulässig macht, wo die Heerestheile also keinenfalls in ihrer Heimath bleiben können, würde die allgemeine Wehrpflicht so tief in die Privatverhältnisse eingreifen, daß ihre Durchführung mindestens äußerst gewagt und schwierig wäre. In Ländern, wo dir Beherrschung fremder Territorien und Colonien dazu zwingt, Truppen auf längere Zeit weit weg oder gar über das Meer zu dis- lociren, würde nicht allen Soldaten die gleiche Last auferlegt werden dürfen. England, das nur den kleinsten Theil seiner Landmacht zu Hause hat, kann gar nicht an. das preußische Wchrsystem denken. Frankreich würde sich dazu ent¬ schließen müssen, zwei Arten von Truppen zu haben, heimische und solche, welche in Cochinchina u. s. w. verwandt werden könnten. So lesen wir denn auch, baß die Neorganisationscommission in Paris vorgeschlagen hat, die Ersatz¬ pflichtigen in drei Classen zu theilen. In solche, welche ihrer vollen Dienst- Pflicht genügen und also überall verwendet werden können, und in solche, welche nur zwei bis drei Jahre dienen und in Frankreich verbleiben, und endlich in solche, welche nur einige Monate jährlich bei der Fahne dienen und ihre Zeit nur in den heimathlichen Bezirken absolviren. Der Unterschied in dieser Pflicht hängt von der Summe des Geldes ab, mit welcher der Einzelne sich loskaufen kann. Für den Fall des Krieges wären also alle Classen in der Armee, aber es wäre keine Gleichheit unter den Soldaten, und der besitzende, der intelligentere Theil würde an soldatischem Werth zurückstehen. Dem französischen Heere würde damit die innere Einheit und vor allen Dingen der innere Werth des preu¬ ßischen fehlen. — Nicht nur diese Uebelstände allein werden sich der mit Preußen gleichen militärischen Machtentfalt'ung Frankreichs bei jener Art der Heeresbildung ent¬ gegenstellen, es ist noch ein sehr bedeutender zu erwähnen. Der gebildete 57"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/483>, abgerufen am 16.06.2024.