Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

gemeine Soldat fordert auch ein gebildetes Offiziercorps, was die französische
Armee bei ihrem jetzigen Ergänzungsmodus der Offiziere nicht entwickeln kann.
Wenn der Berufssoldat, also derjenige, dem die Mittel zur Reduction seiner
Dienstzeit durch Loskauf fehlen, die Offizierscharge durch einfache militärische
Leistung erreichen kann; wenn grade jener Theil des Heeres, welcher infolge
seiner längern Dienstzeit sich in den Colonien und auf den gefährlichen Posten
aufhält, am meisten Gelegenheit hat, sich hervorzuthun und also die obern
Stellen in der Armee zu gewinnen, so kann der Offizierstand nicht den Grad
geistiger Bildung enthalten, welcher ihn allein befähigt, die Leitung aller Classen
des Volks zu übernehmen und zu behaupten. Die Art des Avancements zu
ändern ist der demokratischen Grundanschauungen wegen in Frankreich wohl
kaum möglich. Den Offizieren Gelegenheit zu geben, oder ihnen zur Pflicht zu
machen, sich militärische Bildung anzueignen, würde nicht zum Ziele führen, da
zum Herrschen anerzogene Bildung und Routine, eine gewisse aristokratische
Sicherheit noch in höherem Grade gehört, als Kenntnisse. -- Kurz, von den
am Beginn dieser Aufsätze erwähnten drei entscheidenden Eigenthümlichkeiten
des preußischen Heeres, dem Zündnadelgewehr, der allgemeinen Dienstpflicht
und dem Offiziercorps, würde Frankreich im Stande sein, die erstere auch an¬
zunehmen, die zweite unvollständig und die dritte vorläufig nicht.

Rußlands einfache innern Verhältnisse, sein concentrirtes Staatsgebiet und
seine im Ganzen nicht zu disparate Bevölkerung würden noch am ersten die
Einführung der allgemeinen Wehrpflicht mit einem aristokratischen Offiziercorps
gestatten, aber dort ist das allgemeine Bildungsniveau noch auf so niedriger
Stufe, daß das Product an Güte zurückstehen müßte.

Oestreich entbehrt der innern Einheit und der consolidirtcn Machtverhält¬
nisse, um das Volk in Waffen aufstellen zu können; aber selbst wenn es das-
könnte, würde auch hier der Bildungsgrad der Masse nicht hinreichen, um seiner
Armee die nothwendige innere Kraft zu geben.

Von allen Continentalmächten würde also Frankreich allein mittelst der
allgemeinen Wehrpflicht ein in Betracht kommendes Heer ausstellen können,
wenn auch nicht von der innern Güte des preußischen. Da nun ferner in der
Bevölkerungszahl der Unterschied zwischen Frankreich u.,d Preußen mit den nord¬
deutschen Bundesstaaten nicht mehr so bedeutend ist, u.u die Zahl aufzuwiegen.
röelche Frankreich in seinen Kolonien u. s. w. bei einem europäischen Kriege ver¬
wenden muß, so hört auch in dieser Beziehung das französische Uebergewicht
auf. Ist aber Frankreich bis dahin anerkannt die erste Militärmacht Europas
gewesen, so kann nach den Erfahrungen des letzten Krieges jetzt diese Stellung
Preußen zugesprochen werden, sobald man annimmt, daß die Führung der Heere
bei beiden gleich gut ist. Wir haben bei Trautenau den Einfluß der Führung,
ob Sieg, ob Niederlage noch kennen gelernt.


gemeine Soldat fordert auch ein gebildetes Offiziercorps, was die französische
Armee bei ihrem jetzigen Ergänzungsmodus der Offiziere nicht entwickeln kann.
Wenn der Berufssoldat, also derjenige, dem die Mittel zur Reduction seiner
Dienstzeit durch Loskauf fehlen, die Offizierscharge durch einfache militärische
Leistung erreichen kann; wenn grade jener Theil des Heeres, welcher infolge
seiner längern Dienstzeit sich in den Colonien und auf den gefährlichen Posten
aufhält, am meisten Gelegenheit hat, sich hervorzuthun und also die obern
Stellen in der Armee zu gewinnen, so kann der Offizierstand nicht den Grad
geistiger Bildung enthalten, welcher ihn allein befähigt, die Leitung aller Classen
des Volks zu übernehmen und zu behaupten. Die Art des Avancements zu
ändern ist der demokratischen Grundanschauungen wegen in Frankreich wohl
kaum möglich. Den Offizieren Gelegenheit zu geben, oder ihnen zur Pflicht zu
machen, sich militärische Bildung anzueignen, würde nicht zum Ziele führen, da
zum Herrschen anerzogene Bildung und Routine, eine gewisse aristokratische
Sicherheit noch in höherem Grade gehört, als Kenntnisse. — Kurz, von den
am Beginn dieser Aufsätze erwähnten drei entscheidenden Eigenthümlichkeiten
des preußischen Heeres, dem Zündnadelgewehr, der allgemeinen Dienstpflicht
und dem Offiziercorps, würde Frankreich im Stande sein, die erstere auch an¬
zunehmen, die zweite unvollständig und die dritte vorläufig nicht.

Rußlands einfache innern Verhältnisse, sein concentrirtes Staatsgebiet und
seine im Ganzen nicht zu disparate Bevölkerung würden noch am ersten die
Einführung der allgemeinen Wehrpflicht mit einem aristokratischen Offiziercorps
gestatten, aber dort ist das allgemeine Bildungsniveau noch auf so niedriger
Stufe, daß das Product an Güte zurückstehen müßte.

Oestreich entbehrt der innern Einheit und der consolidirtcn Machtverhält¬
nisse, um das Volk in Waffen aufstellen zu können; aber selbst wenn es das-
könnte, würde auch hier der Bildungsgrad der Masse nicht hinreichen, um seiner
Armee die nothwendige innere Kraft zu geben.

Von allen Continentalmächten würde also Frankreich allein mittelst der
allgemeinen Wehrpflicht ein in Betracht kommendes Heer ausstellen können,
wenn auch nicht von der innern Güte des preußischen. Da nun ferner in der
Bevölkerungszahl der Unterschied zwischen Frankreich u.,d Preußen mit den nord¬
deutschen Bundesstaaten nicht mehr so bedeutend ist, u.u die Zahl aufzuwiegen.
röelche Frankreich in seinen Kolonien u. s. w. bei einem europäischen Kriege ver¬
wenden muß, so hört auch in dieser Beziehung das französische Uebergewicht
auf. Ist aber Frankreich bis dahin anerkannt die erste Militärmacht Europas
gewesen, so kann nach den Erfahrungen des letzten Krieges jetzt diese Stellung
Preußen zugesprochen werden, sobald man annimmt, daß die Führung der Heere
bei beiden gleich gut ist. Wir haben bei Trautenau den Einfluß der Führung,
ob Sieg, ob Niederlage noch kennen gelernt.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0484" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/286632"/>
          <p xml:id="ID_1438" prev="#ID_1437"> gemeine Soldat fordert auch ein gebildetes Offiziercorps, was die französische<lb/>
Armee bei ihrem jetzigen Ergänzungsmodus der Offiziere nicht entwickeln kann.<lb/>
Wenn der Berufssoldat, also derjenige, dem die Mittel zur Reduction seiner<lb/>
Dienstzeit durch Loskauf fehlen, die Offizierscharge durch einfache militärische<lb/>
Leistung erreichen kann; wenn grade jener Theil des Heeres, welcher infolge<lb/>
seiner längern Dienstzeit sich in den Colonien und auf den gefährlichen Posten<lb/>
aufhält, am meisten Gelegenheit hat, sich hervorzuthun und also die obern<lb/>
Stellen in der Armee zu gewinnen, so kann der Offizierstand nicht den Grad<lb/>
geistiger Bildung enthalten, welcher ihn allein befähigt, die Leitung aller Classen<lb/>
des Volks zu übernehmen und zu behaupten. Die Art des Avancements zu<lb/>
ändern ist der demokratischen Grundanschauungen wegen in Frankreich wohl<lb/>
kaum möglich. Den Offizieren Gelegenheit zu geben, oder ihnen zur Pflicht zu<lb/>
machen, sich militärische Bildung anzueignen, würde nicht zum Ziele führen, da<lb/>
zum Herrschen anerzogene Bildung und Routine, eine gewisse aristokratische<lb/>
Sicherheit noch in höherem Grade gehört, als Kenntnisse. &#x2014; Kurz, von den<lb/>
am Beginn dieser Aufsätze erwähnten drei entscheidenden Eigenthümlichkeiten<lb/>
des preußischen Heeres, dem Zündnadelgewehr, der allgemeinen Dienstpflicht<lb/>
und dem Offiziercorps, würde Frankreich im Stande sein, die erstere auch an¬<lb/>
zunehmen, die zweite unvollständig und die dritte vorläufig nicht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1439"> Rußlands einfache innern Verhältnisse, sein concentrirtes Staatsgebiet und<lb/>
seine im Ganzen nicht zu disparate Bevölkerung würden noch am ersten die<lb/>
Einführung der allgemeinen Wehrpflicht mit einem aristokratischen Offiziercorps<lb/>
gestatten, aber dort ist das allgemeine Bildungsniveau noch auf so niedriger<lb/>
Stufe, daß das Product an Güte zurückstehen müßte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1440"> Oestreich entbehrt der innern Einheit und der consolidirtcn Machtverhält¬<lb/>
nisse, um das Volk in Waffen aufstellen zu können; aber selbst wenn es das-<lb/>
könnte, würde auch hier der Bildungsgrad der Masse nicht hinreichen, um seiner<lb/>
Armee die nothwendige innere Kraft zu geben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1441"> Von allen Continentalmächten würde also Frankreich allein mittelst der<lb/>
allgemeinen Wehrpflicht ein in Betracht kommendes Heer ausstellen können,<lb/>
wenn auch nicht von der innern Güte des preußischen. Da nun ferner in der<lb/>
Bevölkerungszahl der Unterschied zwischen Frankreich u.,d Preußen mit den nord¬<lb/>
deutschen Bundesstaaten nicht mehr so bedeutend ist, u.u die Zahl aufzuwiegen.<lb/>
röelche Frankreich in seinen Kolonien u. s. w. bei einem europäischen Kriege ver¬<lb/>
wenden muß, so hört auch in dieser Beziehung das französische Uebergewicht<lb/>
auf. Ist aber Frankreich bis dahin anerkannt die erste Militärmacht Europas<lb/>
gewesen, so kann nach den Erfahrungen des letzten Krieges jetzt diese Stellung<lb/>
Preußen zugesprochen werden, sobald man annimmt, daß die Führung der Heere<lb/>
bei beiden gleich gut ist. Wir haben bei Trautenau den Einfluß der Führung,<lb/>
ob Sieg, ob Niederlage noch kennen gelernt.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0484] gemeine Soldat fordert auch ein gebildetes Offiziercorps, was die französische Armee bei ihrem jetzigen Ergänzungsmodus der Offiziere nicht entwickeln kann. Wenn der Berufssoldat, also derjenige, dem die Mittel zur Reduction seiner Dienstzeit durch Loskauf fehlen, die Offizierscharge durch einfache militärische Leistung erreichen kann; wenn grade jener Theil des Heeres, welcher infolge seiner längern Dienstzeit sich in den Colonien und auf den gefährlichen Posten aufhält, am meisten Gelegenheit hat, sich hervorzuthun und also die obern Stellen in der Armee zu gewinnen, so kann der Offizierstand nicht den Grad geistiger Bildung enthalten, welcher ihn allein befähigt, die Leitung aller Classen des Volks zu übernehmen und zu behaupten. Die Art des Avancements zu ändern ist der demokratischen Grundanschauungen wegen in Frankreich wohl kaum möglich. Den Offizieren Gelegenheit zu geben, oder ihnen zur Pflicht zu machen, sich militärische Bildung anzueignen, würde nicht zum Ziele führen, da zum Herrschen anerzogene Bildung und Routine, eine gewisse aristokratische Sicherheit noch in höherem Grade gehört, als Kenntnisse. — Kurz, von den am Beginn dieser Aufsätze erwähnten drei entscheidenden Eigenthümlichkeiten des preußischen Heeres, dem Zündnadelgewehr, der allgemeinen Dienstpflicht und dem Offiziercorps, würde Frankreich im Stande sein, die erstere auch an¬ zunehmen, die zweite unvollständig und die dritte vorläufig nicht. Rußlands einfache innern Verhältnisse, sein concentrirtes Staatsgebiet und seine im Ganzen nicht zu disparate Bevölkerung würden noch am ersten die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht mit einem aristokratischen Offiziercorps gestatten, aber dort ist das allgemeine Bildungsniveau noch auf so niedriger Stufe, daß das Product an Güte zurückstehen müßte. Oestreich entbehrt der innern Einheit und der consolidirtcn Machtverhält¬ nisse, um das Volk in Waffen aufstellen zu können; aber selbst wenn es das- könnte, würde auch hier der Bildungsgrad der Masse nicht hinreichen, um seiner Armee die nothwendige innere Kraft zu geben. Von allen Continentalmächten würde also Frankreich allein mittelst der allgemeinen Wehrpflicht ein in Betracht kommendes Heer ausstellen können, wenn auch nicht von der innern Güte des preußischen. Da nun ferner in der Bevölkerungszahl der Unterschied zwischen Frankreich u.,d Preußen mit den nord¬ deutschen Bundesstaaten nicht mehr so bedeutend ist, u.u die Zahl aufzuwiegen. röelche Frankreich in seinen Kolonien u. s. w. bei einem europäischen Kriege ver¬ wenden muß, so hört auch in dieser Beziehung das französische Uebergewicht auf. Ist aber Frankreich bis dahin anerkannt die erste Militärmacht Europas gewesen, so kann nach den Erfahrungen des letzten Krieges jetzt diese Stellung Preußen zugesprochen werden, sobald man annimmt, daß die Führung der Heere bei beiden gleich gut ist. Wir haben bei Trautenau den Einfluß der Führung, ob Sieg, ob Niederlage noch kennen gelernt.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/484
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/484>, abgerufen am 23.05.2024.