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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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in die neue durch den nikolsburger Frieden geschaffene Aera eintrat. Vielleicht
ist es niemand damit Ernst gewesen. Wer aber wirklich solche Phantasien
hegte, mag jetzt schon erheblich ernüchtert sein. Nirgends die freudige Be¬
friedigung, mit der man an ein ehrliches Tagewerk geht, nirgends Lust zu
schaffen und die Früchte der über Nacht gewonnenen Selbständigkeit zu pflücken.
Verstimmt bleibt der Blick an der nächsten Vergangenheit hängen, die Litaneien
über Verrath unter den Bundesgenossen von gestern sind immer noch nicht zu
Ende, und die Selbständigkeit selbst droht eine unbequeme Last, eine Verlegen¬
heit zu werden. Es geht den Schwaben wie dem Armen, der plötzlich in den
Besitz eines glänzenden Palastes sich gezaubert findet: er steht verlegen unter
den Schätzen und weiß nichts mit ihnen anzufangen. Da ist z. B. die weiland
Bundeösestung Ulm, die während des Kriegs so manche Kleinodien beherbergen
durfte. Kaum ist sie dem würtembergischen Staat als freies Eigenthum zu¬
gesprochen, so entsteht ein Jammern, als stünde das trojanische Pferd Verderben-
schwanger auf der k. würtembergischen Gemarkung und von allen Seiten erhebt
sich der Ruf, das ebenso kostspielige als gefährliche Bauwesen schleunigst einzu¬
reihen. Diese Forderung wird mit einer für patriotische Gemüther zwischen
Tuttlingen und Bopfingen unangreifbaren Logik begründet: die Festung ist
gegen eine Aggression Frankreichs gebaut, sie soll französische Heere im Laus
gegen Osten aufhalten; was ist die Folge? was anders, als daß diese, im
Drang nach den bayerischen Gefilden aufgehalten, sich im würtemberger Land
einrichten und es nach Herzenslust aussaugen; die Feste ist also eine Gefahr,
nicht ein Schutz für diejenigen, so innerhalb der schwarzrothen Pfähle leben.
Vielleicht daß diese Logik noch durch einen Hintergedanken unterstützt wird.
Wiederholt ist das Gerücht aufgetaucht, es sei bereits über die Aufnahme preu¬
ßischer Besatzung nach Ulm verhandelt worden. Das Dementi, das erfolgte,
hat nicht ganz beruhigen können, zumal da Herr v. Varnbühler, von Hölder
über diesen Punkt interpellirt, jede Auskunft verweigerte. Später hat freilich
der Minister, als ihn eine durch denselben Gegenstand aufgeregte Deputation
von Abgeordneten aufsuchte, die befriedigendsten Zusicherungen ertheilt.. Immer¬
hin schwebt über den Ulmern zu dem Unglücke, von Wall und Graben umgeben
zu sein, die bedrohliche Eventualität, am Ende gar noch Preußen in ihre
Mauern aufnehmen zu müssen. Hinc illae laorimasl Ist es nicht besser,
durch Niederreißen der Werke diesen Schrecken ein für allemal abzuwenden, als
eines Tages von Preußen in das gemeinsame Netz der Vertheidigung von ganz
Deutschland gezogen zu werden?

Wozu auch bedarf Würtemberg künstlicher Festungen? Ihm genügt die
zermalmende Kraft seiner streitbaren Bürger. Ist es nicht die beliebteste Be¬
schäftigung der Gelehrten der particularistischen Partei, auszurechnen, welche
überwältigende Macht es im Verein mit den süddeutschen Staaten auf die


in die neue durch den nikolsburger Frieden geschaffene Aera eintrat. Vielleicht
ist es niemand damit Ernst gewesen. Wer aber wirklich solche Phantasien
hegte, mag jetzt schon erheblich ernüchtert sein. Nirgends die freudige Be¬
friedigung, mit der man an ein ehrliches Tagewerk geht, nirgends Lust zu
schaffen und die Früchte der über Nacht gewonnenen Selbständigkeit zu pflücken.
Verstimmt bleibt der Blick an der nächsten Vergangenheit hängen, die Litaneien
über Verrath unter den Bundesgenossen von gestern sind immer noch nicht zu
Ende, und die Selbständigkeit selbst droht eine unbequeme Last, eine Verlegen¬
heit zu werden. Es geht den Schwaben wie dem Armen, der plötzlich in den
Besitz eines glänzenden Palastes sich gezaubert findet: er steht verlegen unter
den Schätzen und weiß nichts mit ihnen anzufangen. Da ist z. B. die weiland
Bundeösestung Ulm, die während des Kriegs so manche Kleinodien beherbergen
durfte. Kaum ist sie dem würtembergischen Staat als freies Eigenthum zu¬
gesprochen, so entsteht ein Jammern, als stünde das trojanische Pferd Verderben-
schwanger auf der k. würtembergischen Gemarkung und von allen Seiten erhebt
sich der Ruf, das ebenso kostspielige als gefährliche Bauwesen schleunigst einzu¬
reihen. Diese Forderung wird mit einer für patriotische Gemüther zwischen
Tuttlingen und Bopfingen unangreifbaren Logik begründet: die Festung ist
gegen eine Aggression Frankreichs gebaut, sie soll französische Heere im Laus
gegen Osten aufhalten; was ist die Folge? was anders, als daß diese, im
Drang nach den bayerischen Gefilden aufgehalten, sich im würtemberger Land
einrichten und es nach Herzenslust aussaugen; die Feste ist also eine Gefahr,
nicht ein Schutz für diejenigen, so innerhalb der schwarzrothen Pfähle leben.
Vielleicht daß diese Logik noch durch einen Hintergedanken unterstützt wird.
Wiederholt ist das Gerücht aufgetaucht, es sei bereits über die Aufnahme preu¬
ßischer Besatzung nach Ulm verhandelt worden. Das Dementi, das erfolgte,
hat nicht ganz beruhigen können, zumal da Herr v. Varnbühler, von Hölder
über diesen Punkt interpellirt, jede Auskunft verweigerte. Später hat freilich
der Minister, als ihn eine durch denselben Gegenstand aufgeregte Deputation
von Abgeordneten aufsuchte, die befriedigendsten Zusicherungen ertheilt.. Immer¬
hin schwebt über den Ulmern zu dem Unglücke, von Wall und Graben umgeben
zu sein, die bedrohliche Eventualität, am Ende gar noch Preußen in ihre
Mauern aufnehmen zu müssen. Hinc illae laorimasl Ist es nicht besser,
durch Niederreißen der Werke diesen Schrecken ein für allemal abzuwenden, als
eines Tages von Preußen in das gemeinsame Netz der Vertheidigung von ganz
Deutschland gezogen zu werden?

Wozu auch bedarf Würtemberg künstlicher Festungen? Ihm genügt die
zermalmende Kraft seiner streitbaren Bürger. Ist es nicht die beliebteste Be¬
schäftigung der Gelehrten der particularistischen Partei, auszurechnen, welche
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[0486] in die neue durch den nikolsburger Frieden geschaffene Aera eintrat. Vielleicht ist es niemand damit Ernst gewesen. Wer aber wirklich solche Phantasien hegte, mag jetzt schon erheblich ernüchtert sein. Nirgends die freudige Be¬ friedigung, mit der man an ein ehrliches Tagewerk geht, nirgends Lust zu schaffen und die Früchte der über Nacht gewonnenen Selbständigkeit zu pflücken. Verstimmt bleibt der Blick an der nächsten Vergangenheit hängen, die Litaneien über Verrath unter den Bundesgenossen von gestern sind immer noch nicht zu Ende, und die Selbständigkeit selbst droht eine unbequeme Last, eine Verlegen¬ heit zu werden. Es geht den Schwaben wie dem Armen, der plötzlich in den Besitz eines glänzenden Palastes sich gezaubert findet: er steht verlegen unter den Schätzen und weiß nichts mit ihnen anzufangen. Da ist z. B. die weiland Bundeösestung Ulm, die während des Kriegs so manche Kleinodien beherbergen durfte. Kaum ist sie dem würtembergischen Staat als freies Eigenthum zu¬ gesprochen, so entsteht ein Jammern, als stünde das trojanische Pferd Verderben- schwanger auf der k. würtembergischen Gemarkung und von allen Seiten erhebt sich der Ruf, das ebenso kostspielige als gefährliche Bauwesen schleunigst einzu¬ reihen. Diese Forderung wird mit einer für patriotische Gemüther zwischen Tuttlingen und Bopfingen unangreifbaren Logik begründet: die Festung ist gegen eine Aggression Frankreichs gebaut, sie soll französische Heere im Laus gegen Osten aufhalten; was ist die Folge? was anders, als daß diese, im Drang nach den bayerischen Gefilden aufgehalten, sich im würtemberger Land einrichten und es nach Herzenslust aussaugen; die Feste ist also eine Gefahr, nicht ein Schutz für diejenigen, so innerhalb der schwarzrothen Pfähle leben. Vielleicht daß diese Logik noch durch einen Hintergedanken unterstützt wird. Wiederholt ist das Gerücht aufgetaucht, es sei bereits über die Aufnahme preu¬ ßischer Besatzung nach Ulm verhandelt worden. Das Dementi, das erfolgte, hat nicht ganz beruhigen können, zumal da Herr v. Varnbühler, von Hölder über diesen Punkt interpellirt, jede Auskunft verweigerte. Später hat freilich der Minister, als ihn eine durch denselben Gegenstand aufgeregte Deputation von Abgeordneten aufsuchte, die befriedigendsten Zusicherungen ertheilt.. Immer¬ hin schwebt über den Ulmern zu dem Unglücke, von Wall und Graben umgeben zu sein, die bedrohliche Eventualität, am Ende gar noch Preußen in ihre Mauern aufnehmen zu müssen. Hinc illae laorimasl Ist es nicht besser, durch Niederreißen der Werke diesen Schrecken ein für allemal abzuwenden, als eines Tages von Preußen in das gemeinsame Netz der Vertheidigung von ganz Deutschland gezogen zu werden? Wozu auch bedarf Würtemberg künstlicher Festungen? Ihm genügt die zermalmende Kraft seiner streitbaren Bürger. Ist es nicht die beliebteste Be¬ schäftigung der Gelehrten der particularistischen Partei, auszurechnen, welche überwältigende Macht es im Verein mit den süddeutschen Staaten auf die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/486>, abgerufen am 24.05.2024.