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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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Beine bringen könne, wenn es entschlossen den Krebsschaden der stehenden
Heere beseitigen und die schweizerische Milizverfassung annehmen würde? Bis
zu den kühnsten Zahlen versteigen sich ihre Phantasien, um darzuthun, wie die
Macht der süddeutschen Legionen allen Feinden in Ost und West, in Nord und
Süd die Spitze zu bieten im Stande sei. Seltsamerweise wechseln dann mit
solchen Ergüssen prahlerischer Zuversicht wieder Aeußerungen ganz anderer Art.
So ganz geheuer scheint es den Helden der süddeutschen Freiheit in ihren vier
Wänden doch nicht zu sein. Sie haben Momente, in denen sie sich sehr ver¬
lassen fühlen. Dieselben, die den Anschluß an Preußen als schnöden Verrath
brandmarken, schleudern in demselben Athem heftige Vorwürfe gegen Preußen,
daß es durch die Mainlinie Süddeutschland schutzlos preisgegeben habe. Es ist
unschwer zu sehen, was aufrichtiger gemeint ist, jene Ueberhebung oder dieser
Ausdruck der Hilflosigkeit. Der nikolsburger Vertrag hat den süddeutschen
Staaten die Freiheit gegeben, aber mit der Freiheit auch das Gefühl der Grenzen
ihrer Macht, und wenn jene Stipulationen vielleicht auch den Zweck hatten, die
süddeutschen Staaten mit dem Bewußtsein ihrer Unmacht zu strafen, so ist dieser
Zweck jetzt schon ausreichend erfüllt.

Das Bedürfniß irgendeiner Anlehnung ist also vorhanden, wo soll sie ge-
sucht werden? Es wäre schwer zu sagen, welche Wege die Regierung zu gehen
gedenkt, eine bestimmte Richtung ist in der That nicht zu entdecken. Gleich
nach der Rückkehr des Herrn v. Varnbühler aus Berlin hieß es mit großer
Bestimmtheit, der gewandte Staatsmann sei mit beiden Füßen ins preußische
Lager gesprungen. Die günstigen Friedensbedingungen schienen dieses Gerücht
zu bestätigen. Daß der Minister seinen Schwiegersohn als Gesandten nach
Berlin schickte, ward in demselben Sinne gedeutet. Ueber die bundestreue Ge¬
sinnung Oestreichs, hieß es, sowie über dessen inneren Ruin seien ihm die
Augen vollständig aufgegangen, und die Enthüllung, wie Oestreich zu Nikols-
burg den bayerischen Staat rücklings um eine Provinz zu bringen gedachte,
war allerdings für alle süddeutschen Staaten lehrreich genug. Noch heute gilt
Herr v. Varnbühler. zumal in Hofkreisen, für preußisch gesinnt. Damit scheinen
nun freilich andere Thatsachen wenig zu stimmen. Daß Herr v. Varnbühler
während der Adreßdebatten im October sich aufs zurückhaltendste aussprach,
war erklärlich; die Kammermehrheit wäre im Stande gewesen, ihm den Hoch-
verrathsproceß zu machen, wenn er etwas wie Sympathie mit dem Feind von
Tauberbischofsheim hätte blicken lassen. Auffallender jedoch war, daß alle die¬
jenigen Abgeordneten, von welchen man annimmt, daß sie ihre politische Mei¬
nung mit der des Ministeriums in Uebereinstimmung zu halten bemüht sind,
den Chorus der fanatischen Preußenfeinde verstärkten und mit diesen jene
Fassung der Adresse durchsetzten, in welcher der schwäbische Separatismus einen
absichtlich schroffen Ausdruck gefunden hat. Mag sein, daß die Regierung vom


Beine bringen könne, wenn es entschlossen den Krebsschaden der stehenden
Heere beseitigen und die schweizerische Milizverfassung annehmen würde? Bis
zu den kühnsten Zahlen versteigen sich ihre Phantasien, um darzuthun, wie die
Macht der süddeutschen Legionen allen Feinden in Ost und West, in Nord und
Süd die Spitze zu bieten im Stande sei. Seltsamerweise wechseln dann mit
solchen Ergüssen prahlerischer Zuversicht wieder Aeußerungen ganz anderer Art.
So ganz geheuer scheint es den Helden der süddeutschen Freiheit in ihren vier
Wänden doch nicht zu sein. Sie haben Momente, in denen sie sich sehr ver¬
lassen fühlen. Dieselben, die den Anschluß an Preußen als schnöden Verrath
brandmarken, schleudern in demselben Athem heftige Vorwürfe gegen Preußen,
daß es durch die Mainlinie Süddeutschland schutzlos preisgegeben habe. Es ist
unschwer zu sehen, was aufrichtiger gemeint ist, jene Ueberhebung oder dieser
Ausdruck der Hilflosigkeit. Der nikolsburger Vertrag hat den süddeutschen
Staaten die Freiheit gegeben, aber mit der Freiheit auch das Gefühl der Grenzen
ihrer Macht, und wenn jene Stipulationen vielleicht auch den Zweck hatten, die
süddeutschen Staaten mit dem Bewußtsein ihrer Unmacht zu strafen, so ist dieser
Zweck jetzt schon ausreichend erfüllt.

Das Bedürfniß irgendeiner Anlehnung ist also vorhanden, wo soll sie ge-
sucht werden? Es wäre schwer zu sagen, welche Wege die Regierung zu gehen
gedenkt, eine bestimmte Richtung ist in der That nicht zu entdecken. Gleich
nach der Rückkehr des Herrn v. Varnbühler aus Berlin hieß es mit großer
Bestimmtheit, der gewandte Staatsmann sei mit beiden Füßen ins preußische
Lager gesprungen. Die günstigen Friedensbedingungen schienen dieses Gerücht
zu bestätigen. Daß der Minister seinen Schwiegersohn als Gesandten nach
Berlin schickte, ward in demselben Sinne gedeutet. Ueber die bundestreue Ge¬
sinnung Oestreichs, hieß es, sowie über dessen inneren Ruin seien ihm die
Augen vollständig aufgegangen, und die Enthüllung, wie Oestreich zu Nikols-
burg den bayerischen Staat rücklings um eine Provinz zu bringen gedachte,
war allerdings für alle süddeutschen Staaten lehrreich genug. Noch heute gilt
Herr v. Varnbühler. zumal in Hofkreisen, für preußisch gesinnt. Damit scheinen
nun freilich andere Thatsachen wenig zu stimmen. Daß Herr v. Varnbühler
während der Adreßdebatten im October sich aufs zurückhaltendste aussprach,
war erklärlich; die Kammermehrheit wäre im Stande gewesen, ihm den Hoch-
verrathsproceß zu machen, wenn er etwas wie Sympathie mit dem Feind von
Tauberbischofsheim hätte blicken lassen. Auffallender jedoch war, daß alle die¬
jenigen Abgeordneten, von welchen man annimmt, daß sie ihre politische Mei¬
nung mit der des Ministeriums in Uebereinstimmung zu halten bemüht sind,
den Chorus der fanatischen Preußenfeinde verstärkten und mit diesen jene
Fassung der Adresse durchsetzten, in welcher der schwäbische Separatismus einen
absichtlich schroffen Ausdruck gefunden hat. Mag sein, daß die Regierung vom


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/487>, abgerufen am 16.06.2024.