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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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So hätte der alte Frih nicht gehandelt, der ein Fläschchen mit Gift bei
sich trug als bestes Mittel, um nicht "in Kriegsgefangenschaft zu gerathen."

Wenn in Oestreich das deutsche Element dem slawischen gegenüber ins Ge¬
dränge geräth, wenn in Tirol die italienische 'Sprachgrenze in Eilmärschen nach
Norden zu avancirt, so haben wir die Ursache darin zu suchen, daß Oestreich
kein moderner Staat und kein deutscher Staat, sondern ein Völkercomplex ist,
der sich von seinen aus dem sinkenden Mittelalter überkommenen Formen noch
nicht hat emancipiren können. Und was die persönliche Freiheit anlangt, so
darf man in Tirol und Steiermark nicht einmal im Walde jodeln, weil sonst
die Herren Gemsen scheu werden könnten.

Unsere Verluste an der deutschen Westgrenze haben wir der Kleinstaaterei
zu verdanken.

Ich habe im Elsaß manchen lieben Freund, der fest an deutscher Sitte,
Cultur und Wissenschaft hält. Aber auf Frankreich, auf den modernen einheit¬
lichen Staat lassen si^trotz alledem nichts kommen. Wenn ich zuweilen eine
zudringliche Gewissensfrage that, dann hieß die Antwort: "Ja. Wenn's ein ein¬
heitliches Deutschland mit einem einzigen Monarchen und ohne innere Grenzen
gäbe, oder wenn wir die directen Nachbarn von Preußen wären, -- von Deutsch¬
oder Prcußischwerden. davon ließe sich reden. Aber wollen sie uns zumuthen,
badisch oder bayrisch zu werden? Sollen wir das Elend der Kleinstaaterei ein¬
tauschen gegen das Bewußtsein, einem großen Staate anzugehören, der uns ein
einheitlick,es und freies Wirthschaftsgebiet im Innern und seinen mächtigen Schutz
gegen Außen gewährt, in welchem jedem Talent und jeder Kraft die freie Wett¬
bewerbung um die höchsten Güter und Ehren der Nation offen steht, einem
Staat, der uns erlöst hat von Zunft und Zopf, von kleinem geistlichem und
weltlichem Krähwinkel? Wir sind gute Deutsche, aber das können Sie uns
nicht zumuthen!"

Seit 1866 habe ich eine Antwort darauf. Vor 1866 schämte ich mich und
schwieg.

Deshalb thut es mir in der Seele leid, daß Männer, wie Sie, das Jahr
1866 als nicht zu Recht bestehend betrachten.


Genehmigen Sie u. s. w.
I)r. K. Br.


So hätte der alte Frih nicht gehandelt, der ein Fläschchen mit Gift bei
sich trug als bestes Mittel, um nicht „in Kriegsgefangenschaft zu gerathen."

Wenn in Oestreich das deutsche Element dem slawischen gegenüber ins Ge¬
dränge geräth, wenn in Tirol die italienische 'Sprachgrenze in Eilmärschen nach
Norden zu avancirt, so haben wir die Ursache darin zu suchen, daß Oestreich
kein moderner Staat und kein deutscher Staat, sondern ein Völkercomplex ist,
der sich von seinen aus dem sinkenden Mittelalter überkommenen Formen noch
nicht hat emancipiren können. Und was die persönliche Freiheit anlangt, so
darf man in Tirol und Steiermark nicht einmal im Walde jodeln, weil sonst
die Herren Gemsen scheu werden könnten.

Unsere Verluste an der deutschen Westgrenze haben wir der Kleinstaaterei
zu verdanken.

Ich habe im Elsaß manchen lieben Freund, der fest an deutscher Sitte,
Cultur und Wissenschaft hält. Aber auf Frankreich, auf den modernen einheit¬
lichen Staat lassen si^trotz alledem nichts kommen. Wenn ich zuweilen eine
zudringliche Gewissensfrage that, dann hieß die Antwort: „Ja. Wenn's ein ein¬
heitliches Deutschland mit einem einzigen Monarchen und ohne innere Grenzen
gäbe, oder wenn wir die directen Nachbarn von Preußen wären, — von Deutsch¬
oder Prcußischwerden. davon ließe sich reden. Aber wollen sie uns zumuthen,
badisch oder bayrisch zu werden? Sollen wir das Elend der Kleinstaaterei ein¬
tauschen gegen das Bewußtsein, einem großen Staate anzugehören, der uns ein
einheitlick,es und freies Wirthschaftsgebiet im Innern und seinen mächtigen Schutz
gegen Außen gewährt, in welchem jedem Talent und jeder Kraft die freie Wett¬
bewerbung um die höchsten Güter und Ehren der Nation offen steht, einem
Staat, der uns erlöst hat von Zunft und Zopf, von kleinem geistlichem und
weltlichem Krähwinkel? Wir sind gute Deutsche, aber das können Sie uns
nicht zumuthen!"

Seit 1866 habe ich eine Antwort darauf. Vor 1866 schämte ich mich und
schwieg.

Deshalb thut es mir in der Seele leid, daß Männer, wie Sie, das Jahr
1866 als nicht zu Recht bestehend betrachten.


Genehmigen Sie u. s. w.
I)r. K. Br.


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[0152] So hätte der alte Frih nicht gehandelt, der ein Fläschchen mit Gift bei sich trug als bestes Mittel, um nicht „in Kriegsgefangenschaft zu gerathen." Wenn in Oestreich das deutsche Element dem slawischen gegenüber ins Ge¬ dränge geräth, wenn in Tirol die italienische 'Sprachgrenze in Eilmärschen nach Norden zu avancirt, so haben wir die Ursache darin zu suchen, daß Oestreich kein moderner Staat und kein deutscher Staat, sondern ein Völkercomplex ist, der sich von seinen aus dem sinkenden Mittelalter überkommenen Formen noch nicht hat emancipiren können. Und was die persönliche Freiheit anlangt, so darf man in Tirol und Steiermark nicht einmal im Walde jodeln, weil sonst die Herren Gemsen scheu werden könnten. Unsere Verluste an der deutschen Westgrenze haben wir der Kleinstaaterei zu verdanken. Ich habe im Elsaß manchen lieben Freund, der fest an deutscher Sitte, Cultur und Wissenschaft hält. Aber auf Frankreich, auf den modernen einheit¬ lichen Staat lassen si^trotz alledem nichts kommen. Wenn ich zuweilen eine zudringliche Gewissensfrage that, dann hieß die Antwort: „Ja. Wenn's ein ein¬ heitliches Deutschland mit einem einzigen Monarchen und ohne innere Grenzen gäbe, oder wenn wir die directen Nachbarn von Preußen wären, — von Deutsch¬ oder Prcußischwerden. davon ließe sich reden. Aber wollen sie uns zumuthen, badisch oder bayrisch zu werden? Sollen wir das Elend der Kleinstaaterei ein¬ tauschen gegen das Bewußtsein, einem großen Staate anzugehören, der uns ein einheitlick,es und freies Wirthschaftsgebiet im Innern und seinen mächtigen Schutz gegen Außen gewährt, in welchem jedem Talent und jeder Kraft die freie Wett¬ bewerbung um die höchsten Güter und Ehren der Nation offen steht, einem Staat, der uns erlöst hat von Zunft und Zopf, von kleinem geistlichem und weltlichem Krähwinkel? Wir sind gute Deutsche, aber das können Sie uns nicht zumuthen!" Seit 1866 habe ich eine Antwort darauf. Vor 1866 schämte ich mich und schwieg. Deshalb thut es mir in der Seele leid, daß Männer, wie Sie, das Jahr 1866 als nicht zu Recht bestehend betrachten. Genehmigen Sie u. s. w. I)r. K. Br.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/152>, abgerufen am 12.06.2024.