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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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Die englische Auslegung des londoner Vertrages vom
11. Mai d. I.

Ein drohendes Kriegsgewitter stand am Osterhimmel dieses Jahres. Die
flamändische Derbheit des Diplomaten Sr. Maj. des Königs von Holland und
Großherzogs von Luxemburg hatte den feinen Handel zwischen Paris und dem
Haag zur Kenntniß des berliner Cabinets gebracht. Hart bis zum Abschluß
waren die Verhandlungen gediehen; wenige Tage noch und die edlen Autoch¬
thonen Luxemburgs erwachten für den unverdienten Preis von 10 Millionen
eines schönen Morgens als Franzosen und marschirten mit an der Spitze der
Civilisation. In diese friedlichen harmlosen Pourparlers platzte die Depesche
Benedettis von Berlin, von deren furchtbarer Wirkung in Paris man trotz der
argen Beschreibungen im französischen Gelbbuch sich noch immerhin einen sehr
wohlthuenden Begriff machen kann. Tage majestätischen patriotischen Zornes kamen
über Deutschland, mächtig genährt durch das Bewußtsein, baß wir vom letzten
Sommer her noch eine große Rechnung auszugleichen hätten mit Frankreich,
und daß die Gunst des Augenblicks, die Kraft der nationalen Begeisterung, die
erprobte Schlagfertigkeit unserer Heeresmacht uns gehste, grade jetzt loszu¬
schlagen. Die Schuld unserer Feinde war es, daß eine wesentlich strategische
Frage, die Sorge um einen uns halb entwachsenen deutschen Stamm, sich zuspitzte
zu einer hohen Ehren- und Machtfrage deutscher Nation, und der Blut- und
Feuerprobe des schwererrungencn deutschen Staates. Denn so widerlich wie die
sinnverblendeten Schmähungen der Presse unsrer westlichen Nachbarn, so auf¬
reizend war die Ostentation ihrer Rüstungen. In diesem großen ernsten
Streit verhallten die üblichen Phrasenhymnen der Friedensphilister. Nur ein
Geringes fehlte, das Maß deutscher Geduld voll zu machen.

In diesem Augenblick trat zwischen die Streitenden der in Europa seit
Menschengedenken in so kritischer Lage stets sich aufdrängende Friedensmahn¬
ruf der sogenannten neutralen Mächte. Oestreich. Italien, Rußland. England
boten um die Wette ihre "guten Dienste" an. um unter dem Titel der Mensch¬
lichkeit den dem Staatsinteresse der Vermittler wenig liebsamen Krieg zu ver¬
meiden. Bei Oestreich und Italien lag die französische Triebfeder der Friedens-
-vermittlung klar zu Tage. Bei England paarte sie sich mit dem ängstlich-con-
servativen Geist der herrschenden Partei und der gemeinen Furcht vor Geld"
und Handelskrisen. Und doch besaß England die meisten Chancen, seine Inter¬
vention zur Friedenserhaltung beiden Parteien populär zu machen. England
war der verhältnißmäßig unparteiischste Garant des luxemburger Vertrags
von 1839, seine im Zweifel auf die Beherrschung des Weltverkehrs gerichtete,
an den continentalen Verhältnissen Europas nicht unmittelbar betheiligte Polj-


Die englische Auslegung des londoner Vertrages vom
11. Mai d. I.

Ein drohendes Kriegsgewitter stand am Osterhimmel dieses Jahres. Die
flamändische Derbheit des Diplomaten Sr. Maj. des Königs von Holland und
Großherzogs von Luxemburg hatte den feinen Handel zwischen Paris und dem
Haag zur Kenntniß des berliner Cabinets gebracht. Hart bis zum Abschluß
waren die Verhandlungen gediehen; wenige Tage noch und die edlen Autoch¬
thonen Luxemburgs erwachten für den unverdienten Preis von 10 Millionen
eines schönen Morgens als Franzosen und marschirten mit an der Spitze der
Civilisation. In diese friedlichen harmlosen Pourparlers platzte die Depesche
Benedettis von Berlin, von deren furchtbarer Wirkung in Paris man trotz der
argen Beschreibungen im französischen Gelbbuch sich noch immerhin einen sehr
wohlthuenden Begriff machen kann. Tage majestätischen patriotischen Zornes kamen
über Deutschland, mächtig genährt durch das Bewußtsein, baß wir vom letzten
Sommer her noch eine große Rechnung auszugleichen hätten mit Frankreich,
und daß die Gunst des Augenblicks, die Kraft der nationalen Begeisterung, die
erprobte Schlagfertigkeit unserer Heeresmacht uns gehste, grade jetzt loszu¬
schlagen. Die Schuld unserer Feinde war es, daß eine wesentlich strategische
Frage, die Sorge um einen uns halb entwachsenen deutschen Stamm, sich zuspitzte
zu einer hohen Ehren- und Machtfrage deutscher Nation, und der Blut- und
Feuerprobe des schwererrungencn deutschen Staates. Denn so widerlich wie die
sinnverblendeten Schmähungen der Presse unsrer westlichen Nachbarn, so auf¬
reizend war die Ostentation ihrer Rüstungen. In diesem großen ernsten
Streit verhallten die üblichen Phrasenhymnen der Friedensphilister. Nur ein
Geringes fehlte, das Maß deutscher Geduld voll zu machen.

In diesem Augenblick trat zwischen die Streitenden der in Europa seit
Menschengedenken in so kritischer Lage stets sich aufdrängende Friedensmahn¬
ruf der sogenannten neutralen Mächte. Oestreich. Italien, Rußland. England
boten um die Wette ihre „guten Dienste" an. um unter dem Titel der Mensch¬
lichkeit den dem Staatsinteresse der Vermittler wenig liebsamen Krieg zu ver¬
meiden. Bei Oestreich und Italien lag die französische Triebfeder der Friedens-
-vermittlung klar zu Tage. Bei England paarte sie sich mit dem ängstlich-con-
servativen Geist der herrschenden Partei und der gemeinen Furcht vor Geld«
und Handelskrisen. Und doch besaß England die meisten Chancen, seine Inter¬
vention zur Friedenserhaltung beiden Parteien populär zu machen. England
war der verhältnißmäßig unparteiischste Garant des luxemburger Vertrags
von 1839, seine im Zweifel auf die Beherrschung des Weltverkehrs gerichtete,
an den continentalen Verhältnissen Europas nicht unmittelbar betheiligte Polj-


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[0153] Die englische Auslegung des londoner Vertrages vom 11. Mai d. I. Ein drohendes Kriegsgewitter stand am Osterhimmel dieses Jahres. Die flamändische Derbheit des Diplomaten Sr. Maj. des Königs von Holland und Großherzogs von Luxemburg hatte den feinen Handel zwischen Paris und dem Haag zur Kenntniß des berliner Cabinets gebracht. Hart bis zum Abschluß waren die Verhandlungen gediehen; wenige Tage noch und die edlen Autoch¬ thonen Luxemburgs erwachten für den unverdienten Preis von 10 Millionen eines schönen Morgens als Franzosen und marschirten mit an der Spitze der Civilisation. In diese friedlichen harmlosen Pourparlers platzte die Depesche Benedettis von Berlin, von deren furchtbarer Wirkung in Paris man trotz der argen Beschreibungen im französischen Gelbbuch sich noch immerhin einen sehr wohlthuenden Begriff machen kann. Tage majestätischen patriotischen Zornes kamen über Deutschland, mächtig genährt durch das Bewußtsein, baß wir vom letzten Sommer her noch eine große Rechnung auszugleichen hätten mit Frankreich, und daß die Gunst des Augenblicks, die Kraft der nationalen Begeisterung, die erprobte Schlagfertigkeit unserer Heeresmacht uns gehste, grade jetzt loszu¬ schlagen. Die Schuld unserer Feinde war es, daß eine wesentlich strategische Frage, die Sorge um einen uns halb entwachsenen deutschen Stamm, sich zuspitzte zu einer hohen Ehren- und Machtfrage deutscher Nation, und der Blut- und Feuerprobe des schwererrungencn deutschen Staates. Denn so widerlich wie die sinnverblendeten Schmähungen der Presse unsrer westlichen Nachbarn, so auf¬ reizend war die Ostentation ihrer Rüstungen. In diesem großen ernsten Streit verhallten die üblichen Phrasenhymnen der Friedensphilister. Nur ein Geringes fehlte, das Maß deutscher Geduld voll zu machen. In diesem Augenblick trat zwischen die Streitenden der in Europa seit Menschengedenken in so kritischer Lage stets sich aufdrängende Friedensmahn¬ ruf der sogenannten neutralen Mächte. Oestreich. Italien, Rußland. England boten um die Wette ihre „guten Dienste" an. um unter dem Titel der Mensch¬ lichkeit den dem Staatsinteresse der Vermittler wenig liebsamen Krieg zu ver¬ meiden. Bei Oestreich und Italien lag die französische Triebfeder der Friedens- -vermittlung klar zu Tage. Bei England paarte sie sich mit dem ängstlich-con- servativen Geist der herrschenden Partei und der gemeinen Furcht vor Geld« und Handelskrisen. Und doch besaß England die meisten Chancen, seine Inter¬ vention zur Friedenserhaltung beiden Parteien populär zu machen. England war der verhältnißmäßig unparteiischste Garant des luxemburger Vertrags von 1839, seine im Zweifel auf die Beherrschung des Weltverkehrs gerichtete, an den continentalen Verhältnissen Europas nicht unmittelbar betheiligte Polj-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/153>, abgerufen am 12.06.2024.