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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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und hingerichtet wurde. Die Anklage lautete auf Gottlosigkeit, jüdische Lebens¬
weise und verachtungswürdigste Unthätigkeit, Ausdrücke die es außer Zweifel
setzen, daß sein Verbrechen das christliche Bekenntniß war. Seine Gemahlin
Flavia Domitilla wurde mit zwei Kindern nach der Insel Pandataria verbannt,
erhielt aber später von Domitian die Erlaubniß zur Rückkehr. Die christliche
Sage weiß dann noch von einer andern Flavia Domitilla, einer Schwester¬
tochter des Flavius Clemens, die nach der Insel Ponza verbannt worden sei;
noch am Ende des vierten Jahrhunderts zeigte man die Felsenhöhlen daselbst,
in welchen sie Jahre der Verbannung zubrachte. Auch eine angebliche Tochter
des Petrus. Petronilla, wird in diesem Ucberlieferungskreise genannt, in welcher
Reumont gleichfalls ein Mitglied der slavischen Familie vermuthet. Tacitus
redet im Leben des Agricola von Exil und Flucht vieler hochstehender Frauen.

Dieser geschichtliche Flavius Clemens, der im Jahr vor seiner Hinrichtung
Consul war, hat nun freilich mit jenem Clemens nichts zu schaffen, der, ein
beständiger Begleiter des Petrus und zu Ende des Jahrhunderts Bischof der
Gemeinde gewesen sein soll; man macht deshalb den letzteren gewöhnlich zu
einem Verwandten oder bloßen Namensgenossen desselben. Allein es ist be¬
greiflich, daß das Schicksal eines so vornehmen Römers, der um des Christen¬
thums willen leiden mußte, in der Erinnerung der Gemeinde tiefen Eindruck
zurückließ, um so mehr, als sein Tod auch bei den Römern durch schreckhafte
Erscheinungen, die ihm folgten, großes Aufsehen machte. So wurde er früh¬
zeitig in die christliche Sagengeschichte verflochten, und einzelne Züge von ihm
gingen über in das Bild des römischen Clemens, wie es sich im Lauf des
zweiten Jahrhunderts in der Tradition festsetzte, des ersten römischen Bischofs,
der später zum bevorzugten Träger der apostolischen Ueberlieferungen und zum
Verfasser einer Anzahl schriftstellerischer Erzeugnisse gemacht wurde, die ebenso
durch ihren judaisuenden Lehrbegriff, wie durch ihre hierarchische Tendenz
charakteristisch sind.

Und eine dieser Schriften, die sogenannten Homilien, soll uns nun zu¬
nächst beschäftigen. Es ist ein Roman, angeblich von Clemens selbst in Form
von Briefen an Jakobus, den Bischof von Jerusalem geschrieben. Der Inhalt
ist die eigene Lebens- und Familiengeschichte des Clemens, in die zugleich die
Geschichte des Magiers verflochten ist.

Der Roman beginnt mit einer schönen, berühmt gewordenen Schilderung
des geistigen Zustandes, in welchem sich die besseren Elemente der Heidenwelt
zur Zeit Jesu befanden. Clemens schreibt dem Jakobus, wie er, schon von
früh aus ernste Dinge den Sinn gerichtet, viel mit dem Gedanken an den Tod
und was nach dem Tode sein werde, sich beschäftigt habe. Um auf solche und
ähnliche Fragen, z. B. ob die Welt einen Anfang habe oder von Ewigkeit her
gewesen sei, Antwort zu haben, wandte er sich an die Schulen der Philosophen,
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und hingerichtet wurde. Die Anklage lautete auf Gottlosigkeit, jüdische Lebens¬
weise und verachtungswürdigste Unthätigkeit, Ausdrücke die es außer Zweifel
setzen, daß sein Verbrechen das christliche Bekenntniß war. Seine Gemahlin
Flavia Domitilla wurde mit zwei Kindern nach der Insel Pandataria verbannt,
erhielt aber später von Domitian die Erlaubniß zur Rückkehr. Die christliche
Sage weiß dann noch von einer andern Flavia Domitilla, einer Schwester¬
tochter des Flavius Clemens, die nach der Insel Ponza verbannt worden sei;
noch am Ende des vierten Jahrhunderts zeigte man die Felsenhöhlen daselbst,
in welchen sie Jahre der Verbannung zubrachte. Auch eine angebliche Tochter
des Petrus. Petronilla, wird in diesem Ucberlieferungskreise genannt, in welcher
Reumont gleichfalls ein Mitglied der slavischen Familie vermuthet. Tacitus
redet im Leben des Agricola von Exil und Flucht vieler hochstehender Frauen.

Dieser geschichtliche Flavius Clemens, der im Jahr vor seiner Hinrichtung
Consul war, hat nun freilich mit jenem Clemens nichts zu schaffen, der, ein
beständiger Begleiter des Petrus und zu Ende des Jahrhunderts Bischof der
Gemeinde gewesen sein soll; man macht deshalb den letzteren gewöhnlich zu
einem Verwandten oder bloßen Namensgenossen desselben. Allein es ist be¬
greiflich, daß das Schicksal eines so vornehmen Römers, der um des Christen¬
thums willen leiden mußte, in der Erinnerung der Gemeinde tiefen Eindruck
zurückließ, um so mehr, als sein Tod auch bei den Römern durch schreckhafte
Erscheinungen, die ihm folgten, großes Aufsehen machte. So wurde er früh¬
zeitig in die christliche Sagengeschichte verflochten, und einzelne Züge von ihm
gingen über in das Bild des römischen Clemens, wie es sich im Lauf des
zweiten Jahrhunderts in der Tradition festsetzte, des ersten römischen Bischofs,
der später zum bevorzugten Träger der apostolischen Ueberlieferungen und zum
Verfasser einer Anzahl schriftstellerischer Erzeugnisse gemacht wurde, die ebenso
durch ihren judaisuenden Lehrbegriff, wie durch ihre hierarchische Tendenz
charakteristisch sind.

Und eine dieser Schriften, die sogenannten Homilien, soll uns nun zu¬
nächst beschäftigen. Es ist ein Roman, angeblich von Clemens selbst in Form
von Briefen an Jakobus, den Bischof von Jerusalem geschrieben. Der Inhalt
ist die eigene Lebens- und Familiengeschichte des Clemens, in die zugleich die
Geschichte des Magiers verflochten ist.

Der Roman beginnt mit einer schönen, berühmt gewordenen Schilderung
des geistigen Zustandes, in welchem sich die besseren Elemente der Heidenwelt
zur Zeit Jesu befanden. Clemens schreibt dem Jakobus, wie er, schon von
früh aus ernste Dinge den Sinn gerichtet, viel mit dem Gedanken an den Tod
und was nach dem Tode sein werde, sich beschäftigt habe. Um auf solche und
ähnliche Fragen, z. B. ob die Welt einen Anfang habe oder von Ewigkeit her
gewesen sei, Antwort zu haben, wandte er sich an die Schulen der Philosophen,
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[0181] und hingerichtet wurde. Die Anklage lautete auf Gottlosigkeit, jüdische Lebens¬ weise und verachtungswürdigste Unthätigkeit, Ausdrücke die es außer Zweifel setzen, daß sein Verbrechen das christliche Bekenntniß war. Seine Gemahlin Flavia Domitilla wurde mit zwei Kindern nach der Insel Pandataria verbannt, erhielt aber später von Domitian die Erlaubniß zur Rückkehr. Die christliche Sage weiß dann noch von einer andern Flavia Domitilla, einer Schwester¬ tochter des Flavius Clemens, die nach der Insel Ponza verbannt worden sei; noch am Ende des vierten Jahrhunderts zeigte man die Felsenhöhlen daselbst, in welchen sie Jahre der Verbannung zubrachte. Auch eine angebliche Tochter des Petrus. Petronilla, wird in diesem Ucberlieferungskreise genannt, in welcher Reumont gleichfalls ein Mitglied der slavischen Familie vermuthet. Tacitus redet im Leben des Agricola von Exil und Flucht vieler hochstehender Frauen. Dieser geschichtliche Flavius Clemens, der im Jahr vor seiner Hinrichtung Consul war, hat nun freilich mit jenem Clemens nichts zu schaffen, der, ein beständiger Begleiter des Petrus und zu Ende des Jahrhunderts Bischof der Gemeinde gewesen sein soll; man macht deshalb den letzteren gewöhnlich zu einem Verwandten oder bloßen Namensgenossen desselben. Allein es ist be¬ greiflich, daß das Schicksal eines so vornehmen Römers, der um des Christen¬ thums willen leiden mußte, in der Erinnerung der Gemeinde tiefen Eindruck zurückließ, um so mehr, als sein Tod auch bei den Römern durch schreckhafte Erscheinungen, die ihm folgten, großes Aufsehen machte. So wurde er früh¬ zeitig in die christliche Sagengeschichte verflochten, und einzelne Züge von ihm gingen über in das Bild des römischen Clemens, wie es sich im Lauf des zweiten Jahrhunderts in der Tradition festsetzte, des ersten römischen Bischofs, der später zum bevorzugten Träger der apostolischen Ueberlieferungen und zum Verfasser einer Anzahl schriftstellerischer Erzeugnisse gemacht wurde, die ebenso durch ihren judaisuenden Lehrbegriff, wie durch ihre hierarchische Tendenz charakteristisch sind. Und eine dieser Schriften, die sogenannten Homilien, soll uns nun zu¬ nächst beschäftigen. Es ist ein Roman, angeblich von Clemens selbst in Form von Briefen an Jakobus, den Bischof von Jerusalem geschrieben. Der Inhalt ist die eigene Lebens- und Familiengeschichte des Clemens, in die zugleich die Geschichte des Magiers verflochten ist. Der Roman beginnt mit einer schönen, berühmt gewordenen Schilderung des geistigen Zustandes, in welchem sich die besseren Elemente der Heidenwelt zur Zeit Jesu befanden. Clemens schreibt dem Jakobus, wie er, schon von früh aus ernste Dinge den Sinn gerichtet, viel mit dem Gedanken an den Tod und was nach dem Tode sein werde, sich beschäftigt habe. Um auf solche und ähnliche Fragen, z. B. ob die Welt einen Anfang habe oder von Ewigkeit her gewesen sei, Antwort zu haben, wandte er sich an die Schulen der Philosophen, * 22

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/181>, abgerufen am 12.06.2024.