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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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hier wie dort vermied der Sieger nach zwei gewonnenen Schlachten den letzten
entscheidenden Schlag zu führen, und die Folge beider Kriege war die Ein¬
richtung eines Zwischenzustandes, welcher unablässig zu Compromissen zwang,
Halbheiten aufnöthigte und deshalb im Laufe der Zeit unleidlich wurde. Ohne
Zweifel ist die Stellung Preußens in demselben Verhältniß günstiger als die
Italiens, wie seine eigene militärische Kraft die stärkere war. Aber wie dort
Venetien und Rom als Fragen der Zukunft zurückblicken, so wurde auch hier
in der Mainlinie und der constituirten Souveränetät der Südstaaten ein Hin¬
derniß für die völlige Einigung Deutschlands zurückgelassen. Dies Hinderniß
legt uns nicht so große Entbehrungen auf, als den Italienern durch Jahre
Venedig und Rom, es zwingt aber fortwährend, unsere Kräfte aufs äußerste zu
spannen, und stellt der Diplomatie des Grafen Bismarck die schwersten Auf¬
gaben. -- Es waren doch gemischte Empfindungen, mit denen der Reichstag die
Erklärungen des Ministerpräsidenten vernahm, daß der Zutritt des Großherzog-
thums Hessen zu dem Bundesstaat unter anderen auch eine Vereinbarung mit
Oestreich nothwendig mache, weil dieser Zutritt Bestimmungen des nikolsburger
Abkommens alterire. Wenn der östreichischen Presse zu trauen ist, hat Herr
von Reuse die bezügliche Notification ohne Widerspruch aufgenommen, aber
betont, daß er sich vorbehalte, die östreichischen Interesse" zu wahren. Man
weiß- in Wien sehr gut, daß man zur Zeit den deutschen Einheitsbestrebungen
nicht offen entgegenzutreten vermag, ja man sah es vielleicht nicht ungern, daß
Preußen genöthigt wurde, gegen die Südstaaten aus seiner vornehmen Zurück¬
haltung herauszutreten, denn man erhielt die Möglichkeit, in irgendeinem
günstigen Augenblicke einen diplomatischen Zwist zu beginnen, und empfand
mit geheimer Freude, daß durch die Constituirung Deutschlands über die Be¬
stimmung des prager Friedens hinaus für Oestreich eine gewisse Garantie
gegeben sei, im Nothfall an Frankreich einen Alliirten zu finden. Man liebt
dort wieder, die Politik der freien Hand, oder deutsch gesagt, man steht unter der
Herrschaft sehr verschiedener Wünsche und Antipathien. Und man ist, wie in
der letzten Zeit immer, in Gefahr, in entscheidender Stunde nach persönlicher
Gereiztheit und zufälligen Impulsen zu handeln.

Würde die Politik des Kaiserhauses Oestreich nur durch die Interessen des
schwergeprüften Staates dictirt, so wäre die Wahl nicht schwer. Grade durch
das letzte Jahr ist zwischen Oestreich und Deutschland ein klares Verhältniß
geschaffen, der Kaiserstaat kann jetzt durch enges Bündniß mit Preußen und dem
Bundesstaat nur gewinnen, er vermag nur dadurch das deutsche Element im
Reiche des zweiköpfigen Aars gegen die magyarische Seite zu stärken und er
vermag dadurch am sichersten die Vergrößerung im Orient durchzusetzen, welche
ihm gegenüber Rußland und Italien allmälig ein Lebensbedürfniß wird. Aber
am Kaiserhofe und im Heer stehen die Parteien einander ziemlich schroff gegen-


hier wie dort vermied der Sieger nach zwei gewonnenen Schlachten den letzten
entscheidenden Schlag zu führen, und die Folge beider Kriege war die Ein¬
richtung eines Zwischenzustandes, welcher unablässig zu Compromissen zwang,
Halbheiten aufnöthigte und deshalb im Laufe der Zeit unleidlich wurde. Ohne
Zweifel ist die Stellung Preußens in demselben Verhältniß günstiger als die
Italiens, wie seine eigene militärische Kraft die stärkere war. Aber wie dort
Venetien und Rom als Fragen der Zukunft zurückblicken, so wurde auch hier
in der Mainlinie und der constituirten Souveränetät der Südstaaten ein Hin¬
derniß für die völlige Einigung Deutschlands zurückgelassen. Dies Hinderniß
legt uns nicht so große Entbehrungen auf, als den Italienern durch Jahre
Venedig und Rom, es zwingt aber fortwährend, unsere Kräfte aufs äußerste zu
spannen, und stellt der Diplomatie des Grafen Bismarck die schwersten Auf¬
gaben. — Es waren doch gemischte Empfindungen, mit denen der Reichstag die
Erklärungen des Ministerpräsidenten vernahm, daß der Zutritt des Großherzog-
thums Hessen zu dem Bundesstaat unter anderen auch eine Vereinbarung mit
Oestreich nothwendig mache, weil dieser Zutritt Bestimmungen des nikolsburger
Abkommens alterire. Wenn der östreichischen Presse zu trauen ist, hat Herr
von Reuse die bezügliche Notification ohne Widerspruch aufgenommen, aber
betont, daß er sich vorbehalte, die östreichischen Interesse» zu wahren. Man
weiß- in Wien sehr gut, daß man zur Zeit den deutschen Einheitsbestrebungen
nicht offen entgegenzutreten vermag, ja man sah es vielleicht nicht ungern, daß
Preußen genöthigt wurde, gegen die Südstaaten aus seiner vornehmen Zurück¬
haltung herauszutreten, denn man erhielt die Möglichkeit, in irgendeinem
günstigen Augenblicke einen diplomatischen Zwist zu beginnen, und empfand
mit geheimer Freude, daß durch die Constituirung Deutschlands über die Be¬
stimmung des prager Friedens hinaus für Oestreich eine gewisse Garantie
gegeben sei, im Nothfall an Frankreich einen Alliirten zu finden. Man liebt
dort wieder, die Politik der freien Hand, oder deutsch gesagt, man steht unter der
Herrschaft sehr verschiedener Wünsche und Antipathien. Und man ist, wie in
der letzten Zeit immer, in Gefahr, in entscheidender Stunde nach persönlicher
Gereiztheit und zufälligen Impulsen zu handeln.

Würde die Politik des Kaiserhauses Oestreich nur durch die Interessen des
schwergeprüften Staates dictirt, so wäre die Wahl nicht schwer. Grade durch
das letzte Jahr ist zwischen Oestreich und Deutschland ein klares Verhältniß
geschaffen, der Kaiserstaat kann jetzt durch enges Bündniß mit Preußen und dem
Bundesstaat nur gewinnen, er vermag nur dadurch das deutsche Element im
Reiche des zweiköpfigen Aars gegen die magyarische Seite zu stärken und er
vermag dadurch am sichersten die Vergrößerung im Orient durchzusetzen, welche
ihm gegenüber Rußland und Italien allmälig ein Lebensbedürfniß wird. Aber
am Kaiserhofe und im Heer stehen die Parteien einander ziemlich schroff gegen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/246>, abgerufen am 26.05.2024.